Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

geben? Die von C. Keil Anal. epigr. p. 191 Anm. angeführten
Analogieen, der Drache Ladon oder der Puthon, treffen nicht zu,
da es sich nicht um bekannte Tiere, die als Wächter bestellt
sind, sondern um plötzlich erscheinende Ungeheuer handelt, die
im Drama nur von dem Boten erwähnt werden konnten; woher
aber konnte dieser ihre Namen kennen? und wie seltsam, dass
der eine Name männlich, der andere weiblich ist! es handelt
sich also um ein Schlangenpaar. Und nun lese man noch ein-
mal das Lykophronscholion: Niemand würde aus diesen Worten
allein erraten, dass von Schlangen die Rede ist; ja der Ausdruck
pleusantes ist, von Schlangen gebraucht, kaum erträglich. Aus
diesen Schwierigkeiten giebt es, soviel ich sehe, nur einen Aus-
weg; man wird sich zu der Annahme entschliessen müssen, dass
Porkes und Chariboia bei Sophokles Personen waren, die von
den kalydnischen Inseln herüberkommen, sich aber plötzlich in
Schlangen verwandeln; von einer Verwandlung, nur freilich um-
gekehrt der Schlangen in Menschen, wusste auch Bakchylides,
wenn dem lakonischen Ausdruck der Vergilscholien zu trauen
ist. Einmal aufmerksam gemacht wird man auch den auffallenden
Zug der Vergilschen Schilderung, dass die Schlangen als Schlangen
über das Meer schwimmen, bemerken, ein Motiv, für das man
in der griechischen Mythologie schwerlich ein Analogon finden
wird. Das ketos schwimmt über das Meer, der ophis haust in
den dunklen Winkeln der Tempel oder in Höhlen oder unter der
Erde. Diese Anschauung verbietet uns, das Vergilsche Motiv,
dass die Schlangen über das Meer herbeischwimmen, auch schon
für Arktinos vorauszusetzen, zumal auch Proklos kein Wort da-
von sagt. Wenn Sophokles im Gegensatz zu Arktinos die
Schlangen oder vielmehr die Menschen, aus denen später Schlan-
gen werden, von den kalydnischen Inseln herkommen lässt, so
liegt hier, mag nun Sophokles das Motiv erfunden oder, wie wir
nach dem Vergilscholion fast notwendig anzunehmen gezwungen
sind, von Bakchylides übernommen haben, eine Weiterbildung
vor; sie kommen von derselben Stelle, wo die Achaierflotte verborgen
liegt und von wo sich das Verderben über ganz Ilion nahen wird.
Noch einen weiteren Anhalt bietet uns das Scholion zu Lykophron

geben? Die von C. Keil Anal. epigr. p. 191 Anm. angeführten
Analogieen, der Drache Λάδων oder der Πύϑων, treffen nicht zu,
da es sich nicht um bekannte Tiere, die als Wächter bestellt
sind, sondern um plötzlich erscheinende Ungeheuer handelt, die
im Drama nur von dem Boten erwähnt werden konnten; woher
aber konnte dieser ihre Namen kennen? und wie seltsam, daſs
der eine Name männlich, der andere weiblich ist! es handelt
sich also um ein Schlangenpaar. Und nun lese man noch ein-
mal das Lykophronscholion: Niemand würde aus diesen Worten
allein erraten, daſs von Schlangen die Rede ist; ja der Ausdruck
πλεύσαντες ist, von Schlangen gebraucht, kaum erträglich. Aus
diesen Schwierigkeiten giebt es, soviel ich sehe, nur einen Aus-
weg; man wird sich zu der Annahme entschlieſsen müssen, daſs
Porkes und Chariboia bei Sophokles Personen waren, die von
den kalydnischen Inseln herüberkommen, sich aber plötzlich in
Schlangen verwandeln; von einer Verwandlung, nur freilich um-
gekehrt der Schlangen in Menschen, wuſste auch Bakchylides,
wenn dem lakonischen Ausdruck der Vergilscholien zu trauen
ist. Einmal aufmerksam gemacht wird man auch den auffallenden
Zug der Vergilschen Schilderung, daſs die Schlangen als Schlangen
über das Meer schwimmen, bemerken, ein Motiv, für das man
in der griechischen Mythologie schwerlich ein Analogon finden
wird. Das κῆτος schwimmt über das Meer, der ὄφις haust in
den dunklen Winkeln der Tempel oder in Höhlen oder unter der
Erde. Diese Anschauung verbietet uns, das Vergilsche Motiv,
daſs die Schlangen über das Meer herbeischwimmen, auch schon
für Arktinos vorauszusetzen, zumal auch Proklos kein Wort da-
von sagt. Wenn Sophokles im Gegensatz zu Arktinos die
Schlangen oder vielmehr die Menschen, aus denen später Schlan-
gen werden, von den kalydnischen Inseln herkommen läſst, so
liegt hier, mag nun Sophokles das Motiv erfunden oder, wie wir
nach dem Vergilscholion fast notwendig anzunehmen gezwungen
sind, von Bakchylides übernommen haben, eine Weiterbildung
vor; sie kommen von derselben Stelle, wo die Achaierflotte verborgen
liegt und von wo sich das Verderben über ganz Ilion nahen wird.
Noch einen weiteren Anhalt bietet uns das Scholion zu Lykophron

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0213" n="199"/>
geben? Die von C. Keil Anal. epigr. p. 191 Anm. angeführten<lb/>
Analogieen, der Drache &#x039B;&#x03AC;&#x03B4;&#x03C9;&#x03BD; oder der &#x03A0;&#x03CD;&#x03D1;&#x03C9;&#x03BD;, treffen nicht zu,<lb/>
da es sich nicht um bekannte Tiere, die als Wächter bestellt<lb/>
sind, sondern um plötzlich erscheinende Ungeheuer handelt, die<lb/>
im Drama nur von dem Boten erwähnt werden konnten; woher<lb/>
aber konnte dieser ihre Namen kennen? und wie seltsam, da&#x017F;s<lb/>
der eine Name männlich, der andere weiblich ist! es handelt<lb/>
sich also um ein Schlangenpaar. Und nun lese man noch ein-<lb/>
mal das Lykophronscholion: Niemand würde aus diesen Worten<lb/>
allein erraten, da&#x017F;s von Schlangen die Rede ist; ja der Ausdruck<lb/>
&#x03C0;&#x03BB;&#x03B5;&#x03CD;&#x03C3;&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C2; ist, von Schlangen gebraucht, kaum erträglich. Aus<lb/>
diesen Schwierigkeiten giebt es, soviel ich sehe, nur einen Aus-<lb/>
weg; man wird sich zu der Annahme entschlie&#x017F;sen müssen, da&#x017F;s<lb/>
Porkes und Chariboia bei Sophokles Personen waren, die von<lb/>
den kalydnischen Inseln herüberkommen, sich aber plötzlich in<lb/>
Schlangen verwandeln; von einer Verwandlung, nur freilich um-<lb/>
gekehrt der Schlangen in Menschen, wu&#x017F;ste auch Bakchylides,<lb/>
wenn dem lakonischen Ausdruck der Vergilscholien zu trauen<lb/>
ist. Einmal aufmerksam gemacht wird man auch den auffallenden<lb/>
Zug der Vergilschen Schilderung, da&#x017F;s die Schlangen als Schlangen<lb/>
über das Meer schwimmen, bemerken, ein Motiv, für das man<lb/>
in der griechischen Mythologie schwerlich ein Analogon finden<lb/>
wird. Das &#x03BA;&#x1FC6;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; schwimmt über das Meer, der &#x1F44;&#x03C6;&#x03B9;&#x03C2; haust in<lb/>
den dunklen Winkeln der Tempel oder in Höhlen oder unter der<lb/>
Erde. Diese Anschauung verbietet uns, das Vergilsche Motiv,<lb/>
da&#x017F;s die Schlangen über das Meer herbeischwimmen, auch schon<lb/>
für Arktinos vorauszusetzen, zumal auch Proklos kein Wort da-<lb/>
von sagt. Wenn Sophokles im Gegensatz zu Arktinos die<lb/>
Schlangen oder vielmehr die Menschen, aus denen später Schlan-<lb/>
gen werden, von den kalydnischen Inseln herkommen lä&#x017F;st, so<lb/>
liegt hier, mag nun Sophokles das Motiv erfunden oder, wie wir<lb/>
nach dem Vergilscholion fast notwendig anzunehmen gezwungen<lb/>
sind, von Bakchylides übernommen haben, eine Weiterbildung<lb/>
vor; sie kommen von derselben Stelle, wo die Achaierflotte verborgen<lb/>
liegt und von wo sich das Verderben über ganz Ilion nahen wird.<lb/>
Noch einen weiteren Anhalt bietet uns das Scholion zu Lykophron<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0213] geben? Die von C. Keil Anal. epigr. p. 191 Anm. angeführten Analogieen, der Drache Λάδων oder der Πύϑων, treffen nicht zu, da es sich nicht um bekannte Tiere, die als Wächter bestellt sind, sondern um plötzlich erscheinende Ungeheuer handelt, die im Drama nur von dem Boten erwähnt werden konnten; woher aber konnte dieser ihre Namen kennen? und wie seltsam, daſs der eine Name männlich, der andere weiblich ist! es handelt sich also um ein Schlangenpaar. Und nun lese man noch ein- mal das Lykophronscholion: Niemand würde aus diesen Worten allein erraten, daſs von Schlangen die Rede ist; ja der Ausdruck πλεύσαντες ist, von Schlangen gebraucht, kaum erträglich. Aus diesen Schwierigkeiten giebt es, soviel ich sehe, nur einen Aus- weg; man wird sich zu der Annahme entschlieſsen müssen, daſs Porkes und Chariboia bei Sophokles Personen waren, die von den kalydnischen Inseln herüberkommen, sich aber plötzlich in Schlangen verwandeln; von einer Verwandlung, nur freilich um- gekehrt der Schlangen in Menschen, wuſste auch Bakchylides, wenn dem lakonischen Ausdruck der Vergilscholien zu trauen ist. Einmal aufmerksam gemacht wird man auch den auffallenden Zug der Vergilschen Schilderung, daſs die Schlangen als Schlangen über das Meer schwimmen, bemerken, ein Motiv, für das man in der griechischen Mythologie schwerlich ein Analogon finden wird. Das κῆτος schwimmt über das Meer, der ὄφις haust in den dunklen Winkeln der Tempel oder in Höhlen oder unter der Erde. Diese Anschauung verbietet uns, das Vergilsche Motiv, daſs die Schlangen über das Meer herbeischwimmen, auch schon für Arktinos vorauszusetzen, zumal auch Proklos kein Wort da- von sagt. Wenn Sophokles im Gegensatz zu Arktinos die Schlangen oder vielmehr die Menschen, aus denen später Schlan- gen werden, von den kalydnischen Inseln herkommen läſst, so liegt hier, mag nun Sophokles das Motiv erfunden oder, wie wir nach dem Vergilscholion fast notwendig anzunehmen gezwungen sind, von Bakchylides übernommen haben, eine Weiterbildung vor; sie kommen von derselben Stelle, wo die Achaierflotte verborgen liegt und von wo sich das Verderben über ganz Ilion nahen wird. Noch einen weiteren Anhalt bietet uns das Scholion zu Lykophron

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/213
Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/213>, abgerufen am 21.11.2024.