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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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hier die sophokleischen Namen giebt, und dass auch die erste
Notiz über Sophokles, wahrscheinlich auch die über Bakchylides
und die über den sonst unbekannten Tessandros (schol. Aen. II
211) auf Lysimachos zurückgeht, der in seinem Werke die ver-
schiedenen Sagenformen nebeneinander gestellt hatte. Die in den
Vergilscholien verderbten Namen hat Madvig zweifellos richtig zu
Porkes und Chariboia hergestellt. So lauten dieselben in den
alten Lykophronscholien zu V. 347: Porkes kai Khariboia ono-
mata; oi pleusantes ek ton Kaludnon neson elthon eis Troian
kai diephtheiran tous paidas Laokoontos en to tou Thum-
braiou Apollonos neo. o de Laokoon uios en Antenoros. touto
de gegone semeion tes Iliou aloseos. Derselbe Lysimachos, den
wir in den Vergilscholien citiert finden, ist wahrscheinlich auch
in den Lykophronscholien, freilich ohne Nennung des Namens,
benutzt, und so liegt es nahe, die angeführte Stelle direkt auf
die Nostoi dieses Schriftstellers zurückzuführen; indirekt ist aber
unbedingt Sophokles die Quelle; auf ihn dürfen wir nicht nur
die Namen, sondern auch die übrigen hier berichteten Züge um
so unbedenklicher zurückführen, als zwei derselben auch durch
Dionysios von Halikarnass bezeugt sind; einmal, dass die Kata-
strophe ein Zeichen für den nahen Untergang Troias ist, dann
weiter, dass nur die Söhne sterben. Denn es wäre bare Willkür,
annehmen zu wollen, dass sowohl Dionysios als Lysimachos oder
der Lykophronscholiast aus Ungenauigkeit den Tod des Vaters
übergangen hätten. Auch Lykophron selbst sagt V. 347:

kai paidobrotos Porkeos nesous diplas

offenbar gleichfalls nach Sophokles. Ich kann mich nicht enthalten,
hier gleich die unabweisbare Schlussfolgerung zu ziehen, dass die
vatikanische Gruppe mit dem sophokleischen Stück in keinem
Falle etwas zu thun haben kann 8).

Wie aber kam Sophokles dazu, den Schlangen Namen zu

8) Was Lessing Laokoon S. 53 als allgemein griechische Anschauung an-
nahm, ist also vielmehr die Version des Sophokles, vielleicht auch die des
Bakchylides.

hier die sophokleischen Namen giebt, und daſs auch die erste
Notiz über Sophokles, wahrscheinlich auch die über Bakchylides
und die über den sonst unbekannten Tessandros (schol. Aen. II
211) auf Lysimachos zurückgeht, der in seinem Werke die ver-
schiedenen Sagenformen nebeneinander gestellt hatte. Die in den
Vergilscholien verderbten Namen hat Madvig zweifellos richtig zu
Porkes und Chariboia hergestellt. So lauten dieselben in den
alten Lykophronscholien zu V. 347: Πόρκης καὶ Χαρίβοια ὀνό-
ματα· οἳ πλεύσαντες ἐκ τῶν Καλυδνῶν νήσων ἦλϑον εἰς Τροίαν
καὶ διέφϑειραν τοὺς παῖδας Λαοκόωντος ἐν τῷ τοῦ Θυμ-
βραίου Ἀπόλλωνος νεῷ. ὁ δὲ Λαοκόων υἱὸς ἦν Ἀντήνορος. τοῦτο
δὲ γέγονε σημεῖον τῆς Ἰλίου ἁλώσεως. Derselbe Lysimachos, den
wir in den Vergilscholien citiert finden, ist wahrscheinlich auch
in den Lykophronscholien, freilich ohne Nennung des Namens,
benutzt, und so liegt es nahe, die angeführte Stelle direkt auf
die Νόστοι dieses Schriftstellers zurückzuführen; indirekt ist aber
unbedingt Sophokles die Quelle; auf ihn dürfen wir nicht nur
die Namen, sondern auch die übrigen hier berichteten Züge um
so unbedenklicher zurückführen, als zwei derselben auch durch
Dionysios von Halikarnass bezeugt sind; einmal, daſs die Kata-
strophe ein Zeichen für den nahen Untergang Troias ist, dann
weiter, daſs nur die Söhne sterben. Denn es wäre bare Willkür,
annehmen zu wollen, daſs sowohl Dionysios als Lysimachos oder
der Lykophronscholiast aus Ungenauigkeit den Tod des Vaters
übergangen hätten. Auch Lykophron selbst sagt V. 347:

καὶ παιδοβρῶτος Πορκέως νήσους διπλᾶς

offenbar gleichfalls nach Sophokles. Ich kann mich nicht enthalten,
hier gleich die unabweisbare Schluſsfolgerung zu ziehen, daſs die
vatikanische Gruppe mit dem sophokleischen Stück in keinem
Falle etwas zu thun haben kann 8).

Wie aber kam Sophokles dazu, den Schlangen Namen zu

8) Was Lessing Laokoon S. 53 als allgemein griechische Anschauung an-
nahm, ist also vielmehr die Version des Sophokles, vielleicht auch die des
Bakchylides.
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[198/0212] hier die sophokleischen Namen giebt, und daſs auch die erste Notiz über Sophokles, wahrscheinlich auch die über Bakchylides und die über den sonst unbekannten Tessandros (schol. Aen. II 211) auf Lysimachos zurückgeht, der in seinem Werke die ver- schiedenen Sagenformen nebeneinander gestellt hatte. Die in den Vergilscholien verderbten Namen hat Madvig zweifellos richtig zu Porkes und Chariboia hergestellt. So lauten dieselben in den alten Lykophronscholien zu V. 347: Πόρκης καὶ Χαρίβοια ὀνό- ματα· οἳ πλεύσαντες ἐκ τῶν Καλυδνῶν νήσων ἦλϑον εἰς Τροίαν καὶ διέφϑειραν τοὺς παῖδας Λαοκόωντος ἐν τῷ τοῦ Θυμ- βραίου Ἀπόλλωνος νεῷ. ὁ δὲ Λαοκόων υἱὸς ἦν Ἀντήνορος. τοῦτο δὲ γέγονε σημεῖον τῆς Ἰλίου ἁλώσεως. Derselbe Lysimachos, den wir in den Vergilscholien citiert finden, ist wahrscheinlich auch in den Lykophronscholien, freilich ohne Nennung des Namens, benutzt, und so liegt es nahe, die angeführte Stelle direkt auf die Νόστοι dieses Schriftstellers zurückzuführen; indirekt ist aber unbedingt Sophokles die Quelle; auf ihn dürfen wir nicht nur die Namen, sondern auch die übrigen hier berichteten Züge um so unbedenklicher zurückführen, als zwei derselben auch durch Dionysios von Halikarnass bezeugt sind; einmal, daſs die Kata- strophe ein Zeichen für den nahen Untergang Troias ist, dann weiter, daſs nur die Söhne sterben. Denn es wäre bare Willkür, annehmen zu wollen, daſs sowohl Dionysios als Lysimachos oder der Lykophronscholiast aus Ungenauigkeit den Tod des Vaters übergangen hätten. Auch Lykophron selbst sagt V. 347: καὶ παιδοβρῶτος Πορκέως νήσους διπλᾶς offenbar gleichfalls nach Sophokles. Ich kann mich nicht enthalten, hier gleich die unabweisbare Schluſsfolgerung zu ziehen, daſs die vatikanische Gruppe mit dem sophokleischen Stück in keinem Falle etwas zu thun haben kann 8). Wie aber kam Sophokles dazu, den Schlangen Namen zu 8) Was Lessing Laokoon S. 53 als allgemein griechische Anschauung an- nahm, ist also vielmehr die Version des Sophokles, vielleicht auch die des Bakchylides.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/212>, abgerufen am 09.11.2024.