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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Euripides finde; und weiter, dass auch nicht etwa eine nachlässig
geschriebene Bakchen-Hypothesis die Quelle des Scholions sein
könne, weil in einer solchen nicht sowohl von Semele als von
Pentheus die Rede sein müsse. Letzteres Argument bekenne ich,
nicht zu verstehen. Die Frage nach der göttlichen Geburt des
Dionysos ist so sehr der Angelpunkt des ganzen Stückes, dass
der Verfasser der Hypothesis gar nicht anders konnte, als die
Erzählung von der Liebe des Zeus zur Semele an die Spitze zu
stellen. Im Stücke selbst fand er darüber nur kurze An-
deutungen; nur das Einnähen der Frühgeburt in den Schenkel
des Zeus als der dem fünften Jahrhundert anstössigste Punkt
wird immer und immer wieder hervorgezogen, teils in poetischer
Ausmalung 521, teils als ieros logos 88--97, teils als Objekt
etymologisierend-allegorischer Pfaffenerklärung 286--297; letztere
konnte natürlich für die Hypothesis absolut nicht verwant werden,
und bei den übrigen Stellen genügte es, aus aller poetischen Aus-
schmückung die nackte Thatsache herauszuschälen: Semeles de
dia ton phobon eklipouses, exameniaion to brephos examblothen ek
tou puros arpasas enerrapse to mero. Im Übrigen war der
Verfasser der Hypothesis auf sich selbst angewiesen; er erzählt
die verbreitete Sagenform, welche aber nicht nur keinen Wider-
spruch mit dem Stück enthält, sondern wahrscheinlich eben diejenige
war, welche dem Dichter und dem attischen Publikum vor-
schwebte. Nicht also eine nachlässige, sondern eine sehr gute
Hypothesis ist die Quelle des Iliasscholions und der Anstoss,
den Schwartz nahm, erledigt sich durch die Erklärung, dass
auch in diesem Falle, wie bei den Namen, die Angaben der
Hypothesis stillschweigend auf Rechnung des Dichters gesetzt
werden.

Dieser Punkt ist also bei Benutzung der Hypotheseis für die
Rekonstruction verlorener Dichtungswerke wohl im Auge zu be-
halten. Während aber diese vom ursprünglichen Verfasser her-
rührenden Angaben und Zusätze wenigstens Nichts enthalten,
was mit der Dichtung direkt im Widerspruch stände, werden
die Hypotheseis von dem Moment an, wo sie von der Dichtung
losgelöst gewissermassen ein selbständiges Dasein als mytho-

Euripides finde; und weiter, daſs auch nicht etwa eine nachlässig
geschriebene Bakchen-Hypothesis die Quelle des Scholions sein
könne, weil in einer solchen nicht sowohl von Semele als von
Pentheus die Rede sein müsse. Letzteres Argument bekenne ich,
nicht zu verstehen. Die Frage nach der göttlichen Geburt des
Dionysos ist so sehr der Angelpunkt des ganzen Stückes, daſs
der Verfasser der Hypothesis gar nicht anders konnte, als die
Erzählung von der Liebe des Zeus zur Semele an die Spitze zu
stellen. Im Stücke selbst fand er darüber nur kurze An-
deutungen; nur das Einnähen der Frühgeburt in den Schenkel
des Zeus als der dem fünften Jahrhundert anstöſsigste Punkt
wird immer und immer wieder hervorgezogen, teils in poetischer
Ausmalung 521, teils als ἱερὸς λόγος 88—97, teils als Objekt
etymologisierend-allegorischer Pfaffenerklärung 286—297; letztere
konnte natürlich für die Hypothesis absolut nicht verwant werden,
und bei den übrigen Stellen genügte es, aus aller poetischen Aus-
schmückung die nackte Thatsache herauszuschälen: Σεμέλης δὲ
διὰ τὸν φόβον ἐκλιπούσης, ἑξαμηνιαῖον τὸ βρέφος ἐξαμβλωϑὲν ἐκ
τοῦ πυρὸς ἁρπάσας ἐνέρραψε τῷ μηρῷ. Im Übrigen war der
Verfasser der Hypothesis auf sich selbst angewiesen; er erzählt
die verbreitete Sagenform, welche aber nicht nur keinen Wider-
spruch mit dem Stück enthält, sondern wahrscheinlich eben diejenige
war, welche dem Dichter und dem attischen Publikum vor-
schwebte. Nicht also eine nachlässige, sondern eine sehr gute
Hypothesis ist die Quelle des Iliasscholions und der Anstoſs,
den Schwartz nahm, erledigt sich durch die Erklärung, daſs
auch in diesem Falle, wie bei den Namen, die Angaben der
Hypothesis stillschweigend auf Rechnung des Dichters gesetzt
werden.

Dieser Punkt ist also bei Benutzung der Hypotheseis für die
Rekonstruction verlorener Dichtungswerke wohl im Auge zu be-
halten. Während aber diese vom ursprünglichen Verfasser her-
rührenden Angaben und Zusätze wenigstens Nichts enthalten,
was mit der Dichtung direkt im Widerspruch stände, werden
die Hypotheseis von dem Moment an, wo sie von der Dichtung
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[245/0259] Euripides finde; und weiter, daſs auch nicht etwa eine nachlässig geschriebene Bakchen-Hypothesis die Quelle des Scholions sein könne, weil in einer solchen nicht sowohl von Semele als von Pentheus die Rede sein müsse. Letzteres Argument bekenne ich, nicht zu verstehen. Die Frage nach der göttlichen Geburt des Dionysos ist so sehr der Angelpunkt des ganzen Stückes, daſs der Verfasser der Hypothesis gar nicht anders konnte, als die Erzählung von der Liebe des Zeus zur Semele an die Spitze zu stellen. Im Stücke selbst fand er darüber nur kurze An- deutungen; nur das Einnähen der Frühgeburt in den Schenkel des Zeus als der dem fünften Jahrhundert anstöſsigste Punkt wird immer und immer wieder hervorgezogen, teils in poetischer Ausmalung 521, teils als ἱερὸς λόγος 88—97, teils als Objekt etymologisierend-allegorischer Pfaffenerklärung 286—297; letztere konnte natürlich für die Hypothesis absolut nicht verwant werden, und bei den übrigen Stellen genügte es, aus aller poetischen Aus- schmückung die nackte Thatsache herauszuschälen: Σεμέλης δὲ διὰ τὸν φόβον ἐκλιπούσης, ἑξαμηνιαῖον τὸ βρέφος ἐξαμβλωϑὲν ἐκ τοῦ πυρὸς ἁρπάσας ἐνέρραψε τῷ μηρῷ. Im Übrigen war der Verfasser der Hypothesis auf sich selbst angewiesen; er erzählt die verbreitete Sagenform, welche aber nicht nur keinen Wider- spruch mit dem Stück enthält, sondern wahrscheinlich eben diejenige war, welche dem Dichter und dem attischen Publikum vor- schwebte. Nicht also eine nachlässige, sondern eine sehr gute Hypothesis ist die Quelle des Iliasscholions und der Anstoſs, den Schwartz nahm, erledigt sich durch die Erklärung, daſs auch in diesem Falle, wie bei den Namen, die Angaben der Hypothesis stillschweigend auf Rechnung des Dichters gesetzt werden. Dieser Punkt ist also bei Benutzung der Hypotheseis für die Rekonstruction verlorener Dichtungswerke wohl im Auge zu be- halten. Während aber diese vom ursprünglichen Verfasser her- rührenden Angaben und Zusätze wenigstens Nichts enthalten, was mit der Dichtung direkt im Widerspruch stände, werden die Hypotheseis von dem Moment an, wo sie von der Dichtung losgelöst gewissermaſsen ein selbständiges Dasein als mytho-

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/259>, abgerufen am 21.11.2024.