graphische Schriften zu führen beginnen, im Detail mancherlei Modi- fikationen unterworfen, durch die sie zuweilen direkt in Widerspruch zu derjenigen Dichtung treten, deren Inhalt sie doch eigentlich wiedergeben wollen. Sobald die Hypotheseis in den mythologischen Handbüchern zu einer zusammenhängenden Darstellung der Hel- densage zusammengestellt werden, ist es ganz natürlich, dass man die zwischen den einzelnen Hypotheseis bestehenden Wider- sprüche, soweit es sich mit leichter Hand thun lässt, auszu- gleichen oder wenigstens zu mildern bemüht ist. Beispiele dafür liefern die Bibliothek des Apollodor und die Fabeln des Hygin fast auf jeder Seite. Da ferner diese mythographischen Hand- bücher wesentlich Schulzwecken dienen, so wird eine möglichst enge Anlehnung an das wichtigste Buch der Schullektüre, an die homerischen Gedichte, erstrebt und durch Änderung des Wortlautes der upotheseis, oft nur in Kleinigkeiten, auch wirklich erreicht. Ein recht augenfälliges Beispiel dafür findet sich in der apollodorischen Bibliothek. Ich habe schon früher (de Apol- lodori bibliotheca p. 77) darauf hingewiesen, dass die in jener Schrift vorliegende Darstellung der Argofahrt grösstenteils auf Apollonios zurückgeht; insbesondere die Episode von den Symple- gaden lehnt sich auch im Ausdruck genau an die Verse des Apollonios an (Apollodor I 9, 22 Apollon. B 549--618). Um so auffälliger ist die Abweichung in einem scheinbar ganz gering- fügigen Punkt. Bei Apollonios giebt Athena, bei Apollodor Hera dem Schiffe den helfenden Stoss. Wie kommt Apollodor zu dieser Änderung? Ich wusste mir früher dieser Schwierigkeit gegenüber so wenig zu helfen, dass ich einen Schreibfehler entweder des Verfassers selbst oder seiner Abschreiber annehmen zu müssen glaubte. Erst später habe ich erkannt, dass der Odysseevers m 72
all Ere parepempsen, epei philos een Ieson
die Veranlassung zu der Änderung gewesen ist. Konkordanz mit Homer soll, soweit es irgend geht, hergestellt werden.
Dieser Art von Umarbeitung oder, wenn man will, Inter- polation waren aber mehr, als alle anderen, die Hypotheseis der kyklischen Epen ausgesetzt, zumal seit sie als Einleitung zu der
graphische Schriften zu führen beginnen, im Detail mancherlei Modi- fikationen unterworfen, durch die sie zuweilen direkt in Widerspruch zu derjenigen Dichtung treten, deren Inhalt sie doch eigentlich wiedergeben wollen. Sobald die Hypotheseis in den mythologischen Handbüchern zu einer zusammenhängenden Darstellung der Hel- densage zusammengestellt werden, ist es ganz natürlich, daſs man die zwischen den einzelnen Hypotheseis bestehenden Wider- sprüche, soweit es sich mit leichter Hand thun läſst, auszu- gleichen oder wenigstens zu mildern bemüht ist. Beispiele dafür liefern die Bibliothek des Apollodor und die Fabeln des Hygin fast auf jeder Seite. Da ferner diese mythographischen Hand- bücher wesentlich Schulzwecken dienen, so wird eine möglichst enge Anlehnung an das wichtigste Buch der Schullektüre, an die homerischen Gedichte, erstrebt und durch Änderung des Wortlautes der ὑποϑέσεις, oft nur in Kleinigkeiten, auch wirklich erreicht. Ein recht augenfälliges Beispiel dafür findet sich in der apollodorischen Bibliothek. Ich habe schon früher (de Apol- lodori bibliotheca p. 77) darauf hingewiesen, daſs die in jener Schrift vorliegende Darstellung der Argofahrt gröſstenteils auf Apollonios zurückgeht; insbesondere die Episode von den Symple- gaden lehnt sich auch im Ausdruck genau an die Verse des Apollonios an (Apollodor I 9, 22 Apollon. Β 549—618). Um so auffälliger ist die Abweichung in einem scheinbar ganz gering- fügigen Punkt. Bei Apollonios giebt Athena, bei Apollodor Hera dem Schiffe den helfenden Stoſs. Wie kommt Apollodor zu dieser Änderung? Ich wuſste mir früher dieser Schwierigkeit gegenüber so wenig zu helfen, daſs ich einen Schreibfehler entweder des Verfassers selbst oder seiner Abschreiber annehmen zu müssen glaubte. Erst später habe ich erkannt, daſs der Odysseevers μ 72
ἀλλ̕ Ἥρη παρέπεμψεν, ἐπεὶ φίλος ἦεν Ἰήσων
die Veranlassung zu der Änderung gewesen ist. Konkordanz mit Homer soll, soweit es irgend geht, hergestellt werden.
Dieser Art von Umarbeitung oder, wenn man will, Inter- polation waren aber mehr, als alle anderen, die Hypotheseis der kyklischen Epen ausgesetzt, zumal seit sie als Einleitung zu der
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[246/0260]
graphische Schriften zu führen beginnen, im Detail mancherlei Modi-
fikationen unterworfen, durch die sie zuweilen direkt in Widerspruch
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wiedergeben wollen. Sobald die Hypotheseis in den mythologischen
Handbüchern zu einer zusammenhängenden Darstellung der Hel-
densage zusammengestellt werden, ist es ganz natürlich, daſs
man die zwischen den einzelnen Hypotheseis bestehenden Wider-
sprüche, soweit es sich mit leichter Hand thun läſst, auszu-
gleichen oder wenigstens zu mildern bemüht ist. Beispiele dafür
liefern die Bibliothek des Apollodor und die Fabeln des Hygin
fast auf jeder Seite. Da ferner diese mythographischen Hand-
bücher wesentlich Schulzwecken dienen, so wird eine möglichst
enge Anlehnung an das wichtigste Buch der Schullektüre, an
die homerischen Gedichte, erstrebt und durch Änderung des
Wortlautes der ὑποϑέσεις, oft nur in Kleinigkeiten, auch wirklich
erreicht. Ein recht augenfälliges Beispiel dafür findet sich in
der apollodorischen Bibliothek. Ich habe schon früher (de Apol-
lodori bibliotheca p. 77) darauf hingewiesen, daſs die in jener
Schrift vorliegende Darstellung der Argofahrt gröſstenteils auf
Apollonios zurückgeht; insbesondere die Episode von den Symple-
gaden lehnt sich auch im Ausdruck genau an die Verse des
Apollonios an (Apollodor I 9, 22 Apollon. Β 549—618). Um so
auffälliger ist die Abweichung in einem scheinbar ganz gering-
fügigen Punkt. Bei Apollonios giebt Athena, bei Apollodor Hera
dem Schiffe den helfenden Stoſs. Wie kommt Apollodor zu dieser
Änderung? Ich wuſste mir früher dieser Schwierigkeit gegenüber
so wenig zu helfen, daſs ich einen Schreibfehler entweder des
Verfassers selbst oder seiner Abschreiber annehmen zu müssen
glaubte. Erst später habe ich erkannt, daſs der Odysseevers μ 72
ἀλλ̕ Ἥρη παρέπεμψεν, ἐπεὶ φίλος ἦεν Ἰήσων
die Veranlassung zu der Änderung gewesen ist. Konkordanz mit
Homer soll, soweit es irgend geht, hergestellt werden.
Dieser Art von Umarbeitung oder, wenn man will, Inter-
polation waren aber mehr, als alle anderen, die Hypotheseis der
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/260>, abgerufen am 26.06.2024.
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