Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.Diese Freiheit und Ungebundenheit von Ort und Zeit auf der Alte Denkm. V T. 14 S. 253. Es ist gewiss schon oft bemerkt, aber meines
Wissens noch nicht ausgesprochen worden, dass Welcker in der Auffassung dieser korinthischen Vase geirrt hat und dass sich die richtige Deutung aus der Salustischen Hypothesis der Sophokleischen Antigone ergiebt. Dort heisst es: Mimnermos de phesi ten men Ismenen prosomilousan Theoklumeno upo Tudeos kata Athenas egkeleusin teleutesai. Es bedarf wohl kaum eines ausdrücklichen Hinweises, dass auf der genannten Vase dieser Vorgang dargestellt ist und dass auf diese Weise auch die Nacktheit der Ismene ihre Erklärung findet. Salust nennt den Liebhaber der Ismene Theoklymenos, ein Name, der in thebanischen Sagen sonst nicht vorkommt; und dass an den gleichnamigen Seher der Odyssee hier nicht gedacht werden kann, bedarf keines ausdrücklichen Be- weises. Auf der Vase hingegen heisst er Periklymenos, das ist der berühmte Sohn des Neleus oder nach andern des Poseidon, der Argonaut, der durch Posei- dons Gunst jede beliebige Gestalt annehmen kann und später von Herakles getötet wird. Im Krieg der Sieben steht er auf Seiten des Eteokles. In der Thebais (Paus. IX 18, 4) tötet er den Parthenopaios, und darin sind Euripides (Phoen. 1156) und Aristodemos in den Thebaika (schol. Eur. Phoen. 1156 fr. 4 F. H. G. III S. 309 Müller) dem Epos gefolgt; Apollodor hingegen III 6, 8 führt zwar auch die Euripideische Version als Variante an, erzählt aber in seinem Haupt- bericht, der wahrscheinlich in allen seinen Teilen dem Pherekydes entlehnt ist (vgl. de Apollodori bibliotheca p. 67 s.), dass es vielmehr Amphiaraos war, der von Periklymenos verfolgt und getötet ward. Ich bin absichtlich aus- führlich gewesen, um zu zeigen, dass dem antiken Kenner der theba- nischen Sagen die Figur des Periklymenos ebenso vertraut gewesen sein muss, wie dem heutigen Leser der Ilias ein Aineias oder Deiphobos. So häufig nun doppelte Namensformen bei weniger bekannten Heroen sind, so bekenne ich doch, dass mir diese Annahme bei einer so ausgebildeten Figur der Sage sehr bedenklich scheint und dass ich daher geneigt bin, in der Form Theoklumenos, wie sie die Hypothesis hat, nicht eine Variante, sondern eine Korruptel des wirklichen Namens Periklumenos zu sehen. -- Die auf der Vase dargestellte Sagenversion vom Tod der Ismene wird in der Hypothesis dem Mimnermos zugeschrieben; abweichend davon erzählte Pherekydes (schol. Eurip. Phoen. 53, fr. 48 Müller), dass Tydeus die Ismene an der Quelle tötete, die später ihren Namen trug, und diese Version hat man sich nach Welckers Vorgang gewöhnt, auch für die Thebais vorauszusetzen. Allein die unter Mimnermos Namen überlieferte Version hat mindestens den gleichen Anspruch, auf die Thebais zurückgeführt zu werden, um so mehr, als gerade Kolophon, die Heimat des Mimnermos, auf die abschliessende Gestaltung, die der theba- Diese Freiheit und Ungebundenheit von Ort und Zeit auf der Alte Denkm. V T. 14 S. 253. Es ist gewiſs schon oft bemerkt, aber meines
Wissens noch nicht ausgesprochen worden, daſs Welcker in der Auffassung dieser korinthischen Vase geirrt hat und daſs sich die richtige Deutung aus der Salustischen Hypothesis der Sophokleischen Antigone ergiebt. Dort heiſst es: Μίμνερμος δέ φησι τὴν μὲν Ἰσμήνην προσομιλοῦσαν Θεοκλυμένῳ ὑπὸ Τυδέως κατὰ Ἀϑηνᾶς ἐγκέλευσιν τελευτῆσαι. Es bedarf wohl kaum eines ausdrücklichen Hinweises, daſs auf der genannten Vase dieser Vorgang dargestellt ist und daſs auf diese Weise auch die Nacktheit der Ismene ihre Erklärung findet. Salust nennt den Liebhaber der Ismene Theoklymenos, ein Name, der in thebanischen Sagen sonst nicht vorkommt; und daſs an den gleichnamigen Seher der Odyssee hier nicht gedacht werden kann, bedarf keines ausdrücklichen Be- weises. Auf der Vase hingegen heiſst er Periklymenos, das ist der berühmte Sohn des Neleus oder nach andern des Poseidon, der Argonaut, der durch Posei- dons Gunst jede beliebige Gestalt annehmen kann und später von Herakles getötet wird. Im Krieg der Sieben steht er auf Seiten des Eteokles. In der Thebais (Paus. IX 18, 4) tötet er den Parthenopaios, und darin sind Euripides (Phoen. 1156) und Aristodemos in den Thebaika (schol. Eur. Phoen. 1156 fr. 4 F. H. G. III S. 309 Müller) dem Epos gefolgt; Apollodor hingegen III 6, 8 führt zwar auch die Euripideische Version als Variante an, erzählt aber in seinem Haupt- bericht, der wahrscheinlich in allen seinen Teilen dem Pherekydes entlehnt ist (vgl. de Apollodori bibliotheca p. 67 s.), daſs es vielmehr Amphiaraos war, der von Periklymenos verfolgt und getötet ward. Ich bin absichtlich aus- führlich gewesen, um zu zeigen, daſs dem antiken Kenner der theba- nischen Sagen die Figur des Periklymenos ebenso vertraut gewesen sein muſs, wie dem heutigen Leser der Ilias ein Aineias oder Deiphobos. So häufig nun doppelte Namensformen bei weniger bekannten Heroen sind, so bekenne ich doch, daſs mir diese Annahme bei einer so ausgebildeten Figur der Sage sehr bedenklich scheint und daſs ich daher geneigt bin, in der Form Θεοκλύμενος, wie sie die Hypothesis hat, nicht eine Variante, sondern eine Korruptel des wirklichen Namens Περικλύμενος zu sehen. — Die auf der Vase dargestellte Sagenversion vom Tod der Ismene wird in der Hypothesis dem Mimnermos zugeschrieben; abweichend davon erzählte Pherekydes (schol. Eurip. Phoen. 53, fr. 48 Müller), daſs Tydeus die Ismene an der Quelle tötete, die später ihren Namen trug, und diese Version hat man sich nach Welckers Vorgang gewöhnt, auch für die Thebais vorauszusetzen. Allein die unter Mimnermos Namen überlieferte Version hat mindestens den gleichen Anspruch, auf die Thebais zurückgeführt zu werden, um so mehr, als gerade Kolophon, die Heimat des Mimnermos, auf die abschlieſsende Gestaltung, die der theba- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0035" n="21"/> <p>Diese Freiheit und Ungebundenheit von Ort und Zeit auf der<lb/> einen, der Wunsch die Vorgänge möglichst vollständig darzustellen<lb/> auf der andern Seite verführen diese in ihrer jungen Schöpferlust<lb/><note next="#seg2pn_4_3" xml:id="seg2pn_4_2" prev="#seg2pn_4_1" place="foot" n="19)">Alte Denkm. V T. 14 S. 253. Es ist gewiſs schon oft bemerkt, aber meines<lb/> Wissens noch nicht ausgesprochen worden, daſs Welcker in der Auffassung<lb/> dieser korinthischen Vase geirrt hat und daſs sich die richtige Deutung aus<lb/> der Salustischen Hypothesis der Sophokleischen Antigone ergiebt. 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So<lb/> häufig nun doppelte Namensformen bei weniger bekannten Heroen sind, so<lb/> bekenne ich doch, daſs mir diese Annahme bei einer so ausgebildeten Figur<lb/> der Sage sehr bedenklich scheint und daſs ich daher geneigt bin, in der<lb/> Form Θεοκλύμενος, wie sie die Hypothesis hat, nicht eine Variante, sondern<lb/> eine Korruptel des wirklichen Namens Περικλύμενος zu sehen. — Die auf der<lb/> Vase dargestellte Sagenversion vom Tod der Ismene wird in der Hypothesis dem<lb/> Mimnermos zugeschrieben; abweichend davon erzählte Pherekydes (schol. Eurip.<lb/> Phoen. 53, fr. 48 Müller), daſs Tydeus die Ismene an der Quelle tötete, die später<lb/> ihren Namen trug, und diese Version hat man sich nach Welckers Vorgang<lb/> gewöhnt, auch für die Thebais vorauszusetzen. 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Diese Freiheit und Ungebundenheit von Ort und Zeit auf der
einen, der Wunsch die Vorgänge möglichst vollständig darzustellen
auf der andern Seite verführen diese in ihrer jungen Schöpferlust
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19) Alte Denkm. V T. 14 S. 253. Es ist gewiſs schon oft bemerkt, aber meines
Wissens noch nicht ausgesprochen worden, daſs Welcker in der Auffassung
dieser korinthischen Vase geirrt hat und daſs sich die richtige Deutung aus
der Salustischen Hypothesis der Sophokleischen Antigone ergiebt. Dort heiſst
es: Μίμνερμος δέ φησι τὴν μὲν Ἰσμήνην προσομιλοῦσαν Θεοκλυμένῳ ὑπὸ Τυδέως
κατὰ Ἀϑηνᾶς ἐγκέλευσιν τελευτῆσαι. Es bedarf wohl kaum eines ausdrücklichen
Hinweises, daſs auf der genannten Vase dieser Vorgang dargestellt ist und daſs
auf diese Weise auch die Nacktheit der Ismene ihre Erklärung findet.
Salust nennt den Liebhaber der Ismene Theoklymenos, ein Name, der in
thebanischen Sagen sonst nicht vorkommt; und daſs an den gleichnamigen Seher
der Odyssee hier nicht gedacht werden kann, bedarf keines ausdrücklichen Be-
weises. Auf der Vase hingegen heiſst er Periklymenos, das ist der berühmte
Sohn des Neleus oder nach andern des Poseidon, der Argonaut, der durch Posei-
dons Gunst jede beliebige Gestalt annehmen kann und später von Herakles getötet
wird. Im Krieg der Sieben steht er auf Seiten des Eteokles. In der Thebais
(Paus. IX 18, 4) tötet er den Parthenopaios, und darin sind Euripides (Phoen.
1156) und Aristodemos in den Thebaika (schol. Eur. Phoen. 1156 fr. 4 F. H. G.
III S. 309 Müller) dem Epos gefolgt; Apollodor hingegen III 6, 8 führt zwar
auch die Euripideische Version als Variante an, erzählt aber in seinem Haupt-
bericht, der wahrscheinlich in allen seinen Teilen dem Pherekydes entlehnt
ist (vgl. de Apollodori bibliotheca p. 67 s.), daſs es vielmehr Amphiaraos war,
der von Periklymenos verfolgt und getötet ward. Ich bin absichtlich aus-
führlich gewesen, um zu zeigen, daſs dem antiken Kenner der theba-
nischen Sagen die Figur des Periklymenos ebenso vertraut gewesen sein
muſs, wie dem heutigen Leser der Ilias ein Aineias oder Deiphobos. So
häufig nun doppelte Namensformen bei weniger bekannten Heroen sind, so
bekenne ich doch, daſs mir diese Annahme bei einer so ausgebildeten Figur
der Sage sehr bedenklich scheint und daſs ich daher geneigt bin, in der
Form Θεοκλύμενος, wie sie die Hypothesis hat, nicht eine Variante, sondern
eine Korruptel des wirklichen Namens Περικλύμενος zu sehen. — Die auf der
Vase dargestellte Sagenversion vom Tod der Ismene wird in der Hypothesis dem
Mimnermos zugeschrieben; abweichend davon erzählte Pherekydes (schol. Eurip.
Phoen. 53, fr. 48 Müller), daſs Tydeus die Ismene an der Quelle tötete, die später
ihren Namen trug, und diese Version hat man sich nach Welckers Vorgang
gewöhnt, auch für die Thebais vorauszusetzen. Allein die unter Mimnermos
Namen überlieferte Version hat mindestens den gleichen Anspruch, auf die
Thebais zurückgeführt zu werden, um so mehr, als gerade Kolophon, die
Heimat des Mimnermos, auf die abschlieſsende Gestaltung, die der theba-
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