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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Übereinstimmung mit der Dichtung bestimmter bewusst gewesen
sein mögen, als in früheren Zeiten. Es versteht sich von selbst,
dass es zunächst die dem Dramatiker durch dramaturgische Rück-
sichten gesetzten Schranken sind, welche der Künstler durchbricht.
Während in der Schlussscene der Antiopa nur Zethos, Amphion und
Hermes als theos ek mekhanes, allenfalls auch Lykos wenn
derselbe nicht vorher abgeführt war, auf der Bühne sein konnten,
fügt der Künstler nicht nur die Hauptfigur des Stückes Antiopa
hinzu, sondern stellt auch auf der anderen Seite des Bildes die
Schleifung der Dirke dar41); die litterarische Quelle bleibt nichts
desto weniger Euripides und nur Euripides, auch wenn bei ihm diese
Ereignisse weder gleichzeitig noch genau in derselben Weise statt-
haben, wie auf dem Bilde. Der Künstler hat weiter das Recht
und wahrt es sich, Personen menschlicher und göttlicher Wesen-
heit hinzuzufügen, von denen der Dichter nichts weiss; und ge-
rade hierin wird der Künstler am meisten dem Geschmack und
der Anschauung seiner eigenen Zeit gerecht. Die Vorliebe der
alexandrinischen Periode für Personifikation und Allegorie
führt ganz von selbst zur Einfügung jener dämonischen Ge-
stalten, jener Repräsentanten von Leidenschaften und anderen
abstracten Begriffen, denen schon das Epos je nach Bedürfnis Per-
sönlichkeit geliehen, die sogar in einzelnen Fällen der tragische
Dichter dem Zuschauer gezeigt hat. Die Leidenschaft, unter deren
Bann die Scene sich abspielt, stellt der Künstler leibhaftig dem
Beschauer vor Augen, Oistros und Lyssa reissen den Menschen
zum Verbrechen hin, Ate führt ihn ins Verderben. Den eigent-
lichen Anstoss hierzu hat allerdings das Drama gegeben, aber
es ist keineswegs notwendig, nicht einmal wahrscheinlich, dass
auch in jedem einzelnen Fall der Dichter es dem Künstler vor-
gemacht haben muss. Der hellenistische Künstler stellt neben
die kindermordende Medeia den Oistros, wie der römische
neben den jagenden Hippolytos die Virtus stellt, ohne dass
der eine darin einem nacheuripideischen griechischen, der andre

41) Vgl. Arch. Zeit. 1878 Taf. 7. Dilthey a. a. O. S. 43 giebt freilich den
Zusammenhang mit Euripides nur bedingt zu.

Übereinstimmung mit der Dichtung bestimmter bewuſst gewesen
sein mögen, als in früheren Zeiten. Es versteht sich von selbst,
daſs es zunächst die dem Dramatiker durch dramaturgische Rück-
sichten gesetzten Schranken sind, welche der Künstler durchbricht.
Während in der Schluſsscene der Antiopa nur Zethos, Amphion und
Hermes als ϑεὸς ἐκ μηχανῆς, allenfalls auch Lykos wenn
derselbe nicht vorher abgeführt war, auf der Bühne sein konnten,
fügt der Künstler nicht nur die Hauptfigur des Stückes Antiopa
hinzu, sondern stellt auch auf der anderen Seite des Bildes die
Schleifung der Dirke dar41); die litterarische Quelle bleibt nichts
desto weniger Euripides und nur Euripides, auch wenn bei ihm diese
Ereignisse weder gleichzeitig noch genau in derselben Weise statt-
haben, wie auf dem Bilde. Der Künstler hat weiter das Recht
und wahrt es sich, Personen menschlicher und göttlicher Wesen-
heit hinzuzufügen, von denen der Dichter nichts weiſs; und ge-
rade hierin wird der Künstler am meisten dem Geschmack und
der Anschauung seiner eigenen Zeit gerecht. Die Vorliebe der
alexandrinischen Periode für Personifikation und Allegorie
führt ganz von selbst zur Einfügung jener dämonischen Ge-
stalten, jener Repräsentanten von Leidenschaften und anderen
abstracten Begriffen, denen schon das Epos je nach Bedürfnis Per-
sönlichkeit geliehen, die sogar in einzelnen Fällen der tragische
Dichter dem Zuschauer gezeigt hat. Die Leidenschaft, unter deren
Bann die Scene sich abspielt, stellt der Künstler leibhaftig dem
Beschauer vor Augen, Oistros und Lyſsa reiſsen den Menschen
zum Verbrechen hin, Ate führt ihn ins Verderben. Den eigent-
lichen Anstoſs hierzu hat allerdings das Drama gegeben, aber
es ist keineswegs notwendig, nicht einmal wahrscheinlich, daſs
auch in jedem einzelnen Fall der Dichter es dem Künstler vor-
gemacht haben muſs. Der hellenistische Künstler stellt neben
die kindermordende Medeia den Oistros, wie der römische
neben den jagenden Hippolytos die Virtus stellt, ohne daſs
der eine darin einem nacheuripideischen griechischen, der andre

41) Vgl. Arch. Zeit. 1878 Taf. 7. Dilthey a. a. O. S. 43 giebt freilich den
Zusammenhang mit Euripides nur bedingt zu.
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[36/0050] Übereinstimmung mit der Dichtung bestimmter bewuſst gewesen sein mögen, als in früheren Zeiten. Es versteht sich von selbst, daſs es zunächst die dem Dramatiker durch dramaturgische Rück- sichten gesetzten Schranken sind, welche der Künstler durchbricht. Während in der Schluſsscene der Antiopa nur Zethos, Amphion und Hermes als ϑεὸς ἐκ μηχανῆς, allenfalls auch Lykos wenn derselbe nicht vorher abgeführt war, auf der Bühne sein konnten, fügt der Künstler nicht nur die Hauptfigur des Stückes Antiopa hinzu, sondern stellt auch auf der anderen Seite des Bildes die Schleifung der Dirke dar 41); die litterarische Quelle bleibt nichts desto weniger Euripides und nur Euripides, auch wenn bei ihm diese Ereignisse weder gleichzeitig noch genau in derselben Weise statt- haben, wie auf dem Bilde. Der Künstler hat weiter das Recht und wahrt es sich, Personen menschlicher und göttlicher Wesen- heit hinzuzufügen, von denen der Dichter nichts weiſs; und ge- rade hierin wird der Künstler am meisten dem Geschmack und der Anschauung seiner eigenen Zeit gerecht. Die Vorliebe der alexandrinischen Periode für Personifikation und Allegorie führt ganz von selbst zur Einfügung jener dämonischen Ge- stalten, jener Repräsentanten von Leidenschaften und anderen abstracten Begriffen, denen schon das Epos je nach Bedürfnis Per- sönlichkeit geliehen, die sogar in einzelnen Fällen der tragische Dichter dem Zuschauer gezeigt hat. Die Leidenschaft, unter deren Bann die Scene sich abspielt, stellt der Künstler leibhaftig dem Beschauer vor Augen, Oistros und Lyſsa reiſsen den Menschen zum Verbrechen hin, Ate führt ihn ins Verderben. Den eigent- lichen Anstoſs hierzu hat allerdings das Drama gegeben, aber es ist keineswegs notwendig, nicht einmal wahrscheinlich, daſs auch in jedem einzelnen Fall der Dichter es dem Künstler vor- gemacht haben muſs. Der hellenistische Künstler stellt neben die kindermordende Medeia den Oistros, wie der römische neben den jagenden Hippolytos die Virtus stellt, ohne daſs der eine darin einem nacheuripideischen griechischen, der andre 41) Vgl. Arch. Zeit. 1878 Taf. 7. Dilthey a. a. O. S. 43 giebt freilich den Zusammenhang mit Euripides nur bedingt zu.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/50>, abgerufen am 21.11.2024.