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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Dichtung abhängig, noch viel mehr als gewöhnlich schafft er
hierbei aus der im Volke lebendigen Sagenvorstellung heraus, mag
dieselbe auch selbst durch die Dichtung bestimmt sein. Wohin
ein Verkennen der Natur dieses Anwachsens der bildenden Typen
führt, davon liefern die letzten Arbeiten "über die Kyprien" ein
trauriges Beispiel.

Es ist eine äusserst lehrreiche Aufgabe, bei den ausgebildeten
und figurenreichen Darstellungen der Vasen des fünften Jahr-
hunderts den Kern und die Zuthaten zu scheiden und den alten
bildlichen Typus zu rekonstruieren, der sich dann auch nicht selten
als wirklich noch auf archaischen Kunstwerken vorhanden nach-
weisen lässt, deren richtige Deutung fast nur auf diesem Wege
erreicht werden kann. Zugleich glaube ich, dass solche Unter-
suchungen ein wichtiges Indicium für die Entstehungsperiode der
bildlichen Typen abgeben; Darstellungen wie die von der Erich-
thoniosschlange und den Kekropstöchtern oder von Paris Eintritt
ins Vaterhaus auf den Vasen1) des Brygos, die sich nicht auf einen
solchen einfachen Kern reduciren lassen, in denen keine Figur
entbehrt werden kann, tragen hierdurch in sich selbst die Gewähr
dafür, dass sie erst im fünften Jahrhundert und wesentlich so, wie
sie uns vorliegen, geschaffen worden sind.

Ich will versuchen dieses analytische Verfahren an einem Bei-
spiel klar zu machen. Auf der einen Seite der Berliner Schale
des Hieron2) ist bekanntlich die Entführung der Helena darge-
stellt. Die Komposition ist dreifach gegliedert. Links führt
Paris, den Petasos im Nacken und zwei Speere in der Hand,
die zögernd folgende Helena mit sich fort, die Mittelgruppe
zeigt Aineias, der, gleichfalls mit Petasos und zwei Speeren aus-

1) Die erste Darstellung ist publicirt A. d. I. 1850 tav. d'agg. G. Welcker
A. D. III. T. 12. Gerhard, Trinkschalen und Gefässe Taf. A. B. Wiener
Vorlegeblätter Ser. VIII Taf. II, die zweite A. d. I. 1856 tav. 14. Wiener
Vorlegeblätter Ser. VIII Taf. III. Die im Text befolgten Deutungen werden
unten im Kapitel III Auswahl und Zusammenstellung der Scenen ausführlich
begründet werden.
2) Gerhard Trinkschalen und Gefässe Taf. 11, 12. Overbeck Heroische
Gallerie XIII 3. Wiener Vorlegeblätter Ser. A. Taf. V.

Dichtung abhängig, noch viel mehr als gewöhnlich schafft er
hierbei aus der im Volke lebendigen Sagenvorstellung heraus, mag
dieselbe auch selbst durch die Dichtung bestimmt sein. Wohin
ein Verkennen der Natur dieses Anwachsens der bildenden Typen
führt, davon liefern die letzten Arbeiten „über die Kyprien“ ein
trauriges Beispiel.

Es ist eine äuſserst lehrreiche Aufgabe, bei den ausgebildeten
und figurenreichen Darstellungen der Vasen des fünften Jahr-
hunderts den Kern und die Zuthaten zu scheiden und den alten
bildlichen Typus zu rekonstruieren, der sich dann auch nicht selten
als wirklich noch auf archaischen Kunstwerken vorhanden nach-
weisen läſst, deren richtige Deutung fast nur auf diesem Wege
erreicht werden kann. Zugleich glaube ich, daſs solche Unter-
suchungen ein wichtiges Indicium für die Entstehungsperiode der
bildlichen Typen abgeben; Darstellungen wie die von der Erich-
thoniosschlange und den Kekropstöchtern oder von Paris Eintritt
ins Vaterhaus auf den Vasen1) des Brygos, die sich nicht auf einen
solchen einfachen Kern reduciren lassen, in denen keine Figur
entbehrt werden kann, tragen hierdurch in sich selbst die Gewähr
dafür, daſs sie erst im fünften Jahrhundert und wesentlich so, wie
sie uns vorliegen, geschaffen worden sind.

Ich will versuchen dieses analytische Verfahren an einem Bei-
spiel klar zu machen. Auf der einen Seite der Berliner Schale
des Hieron2) ist bekanntlich die Entführung der Helena darge-
stellt. Die Komposition ist dreifach gegliedert. Links führt
Paris, den Petasos im Nacken und zwei Speere in der Hand,
die zögernd folgende Helena mit sich fort, die Mittelgruppe
zeigt Aineias, der, gleichfalls mit Petasos und zwei Speeren aus-

1) Die erste Darstellung ist publicirt A. d. I. 1850 tav. d’agg. G. Welcker
A. D. III. T. 12. Gerhard, Trinkschalen und Gefässe Taf. A. B. Wiener
Vorlegeblätter Ser. VIII Taf. II, die zweite A. d. I. 1856 tav. 14. Wiener
Vorlegeblätter Ser. VIII Taf. III. Die im Text befolgten Deutungen werden
unten im Kapitel III Auswahl und Zusammenstellung der Scenen ausführlich
begründet werden.
2) Gerhard Trinkschalen und Gefässe Taf. 11, 12. Overbeck Heroische
Gallerie XIII 3. Wiener Vorlegeblätter Ser. A. Taf. V.
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[53/0067] Dichtung abhängig, noch viel mehr als gewöhnlich schafft er hierbei aus der im Volke lebendigen Sagenvorstellung heraus, mag dieselbe auch selbst durch die Dichtung bestimmt sein. Wohin ein Verkennen der Natur dieses Anwachsens der bildenden Typen führt, davon liefern die letzten Arbeiten „über die Kyprien“ ein trauriges Beispiel. Es ist eine äuſserst lehrreiche Aufgabe, bei den ausgebildeten und figurenreichen Darstellungen der Vasen des fünften Jahr- hunderts den Kern und die Zuthaten zu scheiden und den alten bildlichen Typus zu rekonstruieren, der sich dann auch nicht selten als wirklich noch auf archaischen Kunstwerken vorhanden nach- weisen läſst, deren richtige Deutung fast nur auf diesem Wege erreicht werden kann. Zugleich glaube ich, daſs solche Unter- suchungen ein wichtiges Indicium für die Entstehungsperiode der bildlichen Typen abgeben; Darstellungen wie die von der Erich- thoniosschlange und den Kekropstöchtern oder von Paris Eintritt ins Vaterhaus auf den Vasen 1) des Brygos, die sich nicht auf einen solchen einfachen Kern reduciren lassen, in denen keine Figur entbehrt werden kann, tragen hierdurch in sich selbst die Gewähr dafür, daſs sie erst im fünften Jahrhundert und wesentlich so, wie sie uns vorliegen, geschaffen worden sind. Ich will versuchen dieses analytische Verfahren an einem Bei- spiel klar zu machen. Auf der einen Seite der Berliner Schale des Hieron 2) ist bekanntlich die Entführung der Helena darge- stellt. Die Komposition ist dreifach gegliedert. Links führt Paris, den Petasos im Nacken und zwei Speere in der Hand, die zögernd folgende Helena mit sich fort, die Mittelgruppe zeigt Aineias, der, gleichfalls mit Petasos und zwei Speeren aus- 1) Die erste Darstellung ist publicirt A. d. I. 1850 tav. d’agg. G. Welcker A. D. III. T. 12. Gerhard, Trinkschalen und Gefässe Taf. A. B. Wiener Vorlegeblätter Ser. VIII Taf. II, die zweite A. d. I. 1856 tav. 14. Wiener Vorlegeblätter Ser. VIII Taf. III. Die im Text befolgten Deutungen werden unten im Kapitel III Auswahl und Zusammenstellung der Scenen ausführlich begründet werden. 2) Gerhard Trinkschalen und Gefässe Taf. 11, 12. Overbeck Heroische Gallerie XIII 3. Wiener Vorlegeblätter Ser. A. Taf. V.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/67>, abgerufen am 21.11.2024.