gerüstet, die erschreckt nacheilende Timandra, das ist die aus Hesiod bekannte Schwester der Helena, abzuwehren sucht. Auf der rechten Seite wird die Darstellung durch eine aus drei Figuren bestehende Gruppe abgeschlossen. Hier überbringt Euopis, eine, so viel ich sehe, nicht vom Mythos ausgebildete Figur, die wir wohl als Dienerin oder Gespielin der Helena fassen müssen, den beiden erstaunten und entsetzten Alten, dem Grossvater Tyndareos und dem Grossoheim Ikarios, die Kunde vom Raub der Helena.
Was ist nun hier Erfindung und Zuthat des Hieron? und was ist durch bildliche Tradition überkommen? Ohne Weiteres auszuscheiden ist zunächst die Gruppe rechts "die Botenerzäh- lung", die wie oben dargestellt eines der beliebtesten Mittel der Künstler des fünften Jahrhunderts ist, um die Darstellung per- sonenreicher zu machen. Die dann noch übrig bleibenden vier Fi- guren bilden nun aber keine festgeschlossene, sondern eine ausein- anderfallende Gruppe; dies wird bewirkt durch das Einschreiten der Timandra, deren vergeblicher Rettungsversuch indessen ein zu unbedeutendes Motiv ist, um ihn für alt überliefert zu halten. Diese Erwägung führt also zu dem Resultat, dass der alte Typus nur aus drei Personen bestand, und zwar aus den durch Mythos und Poesie gegebenen: Paris, Aeneias und Helena.
Dies Resultat wird durch die Darstellung auf dem kürzlich gefundenen Skyphos3), welchen derselbe Hieron in Gemeinschaft mit dem bisher ganz unbekannten Vasenmaler Makron verfertigt hat, in erfreulichster Weise bestätigt. Auch hier finden wir die drei Hauptpersonen Paris, Helena und Aeneias wieder, nur dass letzterer voranschreitet, aber statt der übrigen Figuren der Ber- liner Schale finden wir die göttlichen Helferinnen bei dem Raub, Aphrodite und Peitho, hinter Helena herschreiten, während Eros vor ihr herfliegt und sie zu ermuntern scheint. Ein Knabe, der am rechten Ende der Darstellung unter dem Henkel angebracht mit erhobener Rechten seine Verwunderung kundgiebt, wird am natürlichsten als der Sohn der Helena, Nikostratos, erklärt wer-
3)Gazette archeologique 1880 pl. 8.
gerüstet, die erschreckt nacheilende Timandra, das ist die aus Hesiod bekannte Schwester der Helena, abzuwehren sucht. Auf der rechten Seite wird die Darstellung durch eine aus drei Figuren bestehende Gruppe abgeschlossen. Hier überbringt Euopis, eine, so viel ich sehe, nicht vom Mythos ausgebildete Figur, die wir wohl als Dienerin oder Gespielin der Helena fassen müssen, den beiden erstaunten und entsetzten Alten, dem Groſsvater Tyndareos und dem Groſsoheim Ikarios, die Kunde vom Raub der Helena.
Was ist nun hier Erfindung und Zuthat des Hieron? und was ist durch bildliche Tradition überkommen? Ohne Weiteres auszuscheiden ist zunächst die Gruppe rechts „die Botenerzäh- lung“, die wie oben dargestellt eines der beliebtesten Mittel der Künstler des fünften Jahrhunderts ist, um die Darstellung per- sonenreicher zu machen. Die dann noch übrig bleibenden vier Fi- guren bilden nun aber keine festgeschlossene, sondern eine ausein- anderfallende Gruppe; dies wird bewirkt durch das Einschreiten der Timandra, deren vergeblicher Rettungsversuch indessen ein zu unbedeutendes Motiv ist, um ihn für alt überliefert zu halten. Diese Erwägung führt also zu dem Resultat, daſs der alte Typus nur aus drei Personen bestand, und zwar aus den durch Mythos und Poesie gegebenen: Paris, Aeneias und Helena.
Dies Resultat wird durch die Darstellung auf dem kürzlich gefundenen Skyphos3), welchen derselbe Hieron in Gemeinschaft mit dem bisher ganz unbekannten Vasenmaler Makron verfertigt hat, in erfreulichster Weise bestätigt. Auch hier finden wir die drei Hauptpersonen Paris, Helena und Aeneias wieder, nur daſs letzterer voranschreitet, aber statt der übrigen Figuren der Ber- liner Schale finden wir die göttlichen Helferinnen bei dem Raub, Aphrodite und Peitho, hinter Helena herschreiten, während Eros vor ihr herfliegt und sie zu ermuntern scheint. Ein Knabe, der am rechten Ende der Darstellung unter dem Henkel angebracht mit erhobener Rechten seine Verwunderung kundgiebt, wird am natürlichsten als der Sohn der Helena, Nikostratos, erklärt wer-
3)Gazette archéologique 1880 pl. 8.
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[54/0068]
gerüstet, die erschreckt nacheilende Timandra, das ist die aus
Hesiod bekannte Schwester der Helena, abzuwehren sucht. Auf
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Figuren bestehende Gruppe abgeschlossen. Hier überbringt
Euopis, eine, so viel ich sehe, nicht vom Mythos ausgebildete
Figur, die wir wohl als Dienerin oder Gespielin der Helena
fassen müssen, den beiden erstaunten und entsetzten Alten, dem
Groſsvater Tyndareos und dem Groſsoheim Ikarios, die Kunde
vom Raub der Helena.
Was ist nun hier Erfindung und Zuthat des Hieron? und
was ist durch bildliche Tradition überkommen? Ohne Weiteres
auszuscheiden ist zunächst die Gruppe rechts „die Botenerzäh-
lung“, die wie oben dargestellt eines der beliebtesten Mittel der
Künstler des fünften Jahrhunderts ist, um die Darstellung per-
sonenreicher zu machen. Die dann noch übrig bleibenden vier Fi-
guren bilden nun aber keine festgeschlossene, sondern eine ausein-
anderfallende Gruppe; dies wird bewirkt durch das Einschreiten
der Timandra, deren vergeblicher Rettungsversuch indessen ein
zu unbedeutendes Motiv ist, um ihn für alt überliefert zu halten.
Diese Erwägung führt also zu dem Resultat, daſs der alte Typus
nur aus drei Personen bestand, und zwar aus den durch Mythos
und Poesie gegebenen: Paris, Aeneias und Helena.
Dies Resultat wird durch die Darstellung auf dem kürzlich
gefundenen Skyphos 3), welchen derselbe Hieron in Gemeinschaft
mit dem bisher ganz unbekannten Vasenmaler Makron verfertigt
hat, in erfreulichster Weise bestätigt. Auch hier finden wir die
drei Hauptpersonen Paris, Helena und Aeneias wieder, nur daſs
letzterer voranschreitet, aber statt der übrigen Figuren der Ber-
liner Schale finden wir die göttlichen Helferinnen bei dem Raub,
Aphrodite und Peitho, hinter Helena herschreiten, während Eros
vor ihr herfliegt und sie zu ermuntern scheint. Ein Knabe, der
am rechten Ende der Darstellung unter dem Henkel angebracht
mit erhobener Rechten seine Verwunderung kundgiebt, wird am
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3) Gazette archéologique 1880 pl. 8.
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/68>, abgerufen am 17.06.2024.
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