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[Rochow, Friedrich Eberhard von]: Versuch eines Schulbuches. Berlin, 1772.

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Einleitung.
können, froh zu entbehren. Sie sind we-
der mit Gott, noch mit der Obrigkeit zufrie-
den. Gott tadeln sie durch Murren, über
die Einrichtung Seiner Welt, und halten
Ihn für einen Stiefvater, der partheyisch
mit Seinen Kindern verfährt. Die Obrig-
keit aber sehen sie, bey jeder nöthigen Ein-
schränkung ihrer eigennützigen Wünsche und
Handlungen, als einen harten Statthalter
an, der das zur befohlenen Pflicht hat, ih-
nen das Leben zu verbittern.

Daher ist ihre Religion, meistentheils,
der verderblichste Fatalismus. Die ganze
vortrefliche Sittenlehre Jesu Christi und
Seiner Apostel liegt ihnen ganz außerhalb
der Sphäre der Ausübung. Sie wollen
zur Noth, wohl durch Christum selig, aber
nicht durch Christum vorher fromm werden.

Die Ursachen dieser sämmtlichen, den
Staat in seinem wichtigsten Theile, zerstö-
renden Uebel, liegt an der vernachläßigten
Erziehung der ländlichen Jugend. Bringt
man nichts in den Kopf, so kömmt auch
nichts ins Herz; oder deutlicher zu reden:
Ohne Begriffe und Grundsätze entstehen
keine Entschließungen -- kein moralisches
Urtheil, über gut und böse, wird gefällt --
kein moralischer Vortrag verstanden -- kei-

ne

Einleitung.
koͤnnen, froh zu entbehren. Sie ſind we-
der mit Gott, noch mit der Obrigkeit zufrie-
den. Gott tadeln ſie durch Murren, uͤber
die Einrichtung Seiner Welt, und halten
Ihn fuͤr einen Stiefvater, der partheyiſch
mit Seinen Kindern verfaͤhrt. Die Obrig-
keit aber ſehen ſie, bey jeder noͤthigen Ein-
ſchraͤnkung ihrer eigennuͤtzigen Wuͤnſche und
Handlungen, als einen harten Statthalter
an, der das zur befohlenen Pflicht hat, ih-
nen das Leben zu verbittern.

Daher iſt ihre Religion, meiſtentheils,
der verderblichſte Fatalismus. Die ganze
vortrefliche Sittenlehre Jeſu Chriſti und
Seiner Apoſtel liegt ihnen ganz außerhalb
der Sphaͤre der Ausuͤbung. Sie wollen
zur Noth, wohl durch Chriſtum ſelig, aber
nicht durch Chriſtum vorher fromm werden.

Die Urſachen dieſer ſaͤmmtlichen, den
Staat in ſeinem wichtigſten Theile, zerſtoͤ-
renden Uebel, liegt an der vernachlaͤßigten
Erziehung der laͤndlichen Jugend. Bringt
man nichts in den Kopf, ſo koͤmmt auch
nichts ins Herz; oder deutlicher zu reden:
Ohne Begriffe und Grundſaͤtze entſtehen
keine Entſchließungen — kein moraliſches
Urtheil, uͤber gut und boͤſe, wird gefaͤllt —
kein moraliſcher Vortrag verſtanden — kei-

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[0008] Einleitung. koͤnnen, froh zu entbehren. Sie ſind we- der mit Gott, noch mit der Obrigkeit zufrie- den. Gott tadeln ſie durch Murren, uͤber die Einrichtung Seiner Welt, und halten Ihn fuͤr einen Stiefvater, der partheyiſch mit Seinen Kindern verfaͤhrt. Die Obrig- keit aber ſehen ſie, bey jeder noͤthigen Ein- ſchraͤnkung ihrer eigennuͤtzigen Wuͤnſche und Handlungen, als einen harten Statthalter an, der das zur befohlenen Pflicht hat, ih- nen das Leben zu verbittern. Daher iſt ihre Religion, meiſtentheils, der verderblichſte Fatalismus. Die ganze vortrefliche Sittenlehre Jeſu Chriſti und Seiner Apoſtel liegt ihnen ganz außerhalb der Sphaͤre der Ausuͤbung. Sie wollen zur Noth, wohl durch Chriſtum ſelig, aber nicht durch Chriſtum vorher fromm werden. Die Urſachen dieſer ſaͤmmtlichen, den Staat in ſeinem wichtigſten Theile, zerſtoͤ- renden Uebel, liegt an der vernachlaͤßigten Erziehung der laͤndlichen Jugend. Bringt man nichts in den Kopf, ſo koͤmmt auch nichts ins Herz; oder deutlicher zu reden: Ohne Begriffe und Grundſaͤtze entſtehen keine Entſchließungen — kein moraliſches Urtheil, uͤber gut und boͤſe, wird gefaͤllt — kein moraliſcher Vortrag verſtanden — kei- ne

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Zitationshilfe: [Rochow, Friedrich Eberhard von]: Versuch eines Schulbuches. Berlin, 1772, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rochow_versuch_1772/8>, abgerufen am 25.04.2024.