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[Rochow, Friedrich Eberhard von]: Versuch eines Schulbuches. Berlin, 1772.

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wieder alles zu leide, was sie konnten. Wenn
aber dieses beständig so fortgedauert hätte,
so wäre das menschliche Geschlecht bald zu
Grunde gegangen. Da traten viele Fami-
lien zusammen, und sagten: "Wir wollen uns
"vereinigen: Wir wollen gemeinschaftlich, uns
"und das Unsrige, gegen unsre Feinde beschü-
"tzen; und wollen uns auch sonst gemeinschaft-
"lich beystehen, in solchen Arbeiten, die zwar al-
"len nützlich sind, die aber, eine Familie allein,
"nicht zwingen kann."

Da entstanden die großen Gesellschaften,
die man Völker, Nationen, oder Staaten
heißt.

Die Leute merkten aber bald, daß sie,
durch die bloße Vereinigung in eine größre
Gesellschaft, noch nicht viel gebeßert wären.
Denn, wenn Noth war, so half der eine
fleißig, der andre war faul, und that we-
nig; der eine kam früh, der andre spät;
und sie konnten auch nicht eins werden,
was gethan werden sollte, weil ein jeder
wieder seinen besondern Vortheil suchte, und
das Beste der ganzen Gesellschaft, seinem
eignen Nutzen, nicht vorzog.

Als nun daraus, in der Gesellschaft, so
viel Noth entstand, daß einem jeden die
Augen aufgiengen; so wurden die Men-

schen
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wieder alles zu leide, was ſie konnten. Wenn
aber dieſes beſtaͤndig ſo fortgedauert haͤtte,
ſo waͤre das menſchliche Geſchlecht bald zu
Grunde gegangen. Da traten viele Fami-
lien zuſammen, und ſagten: „Wir wollen uns
„vereinigen: Wir wollen gemeinſchaftlich, uns
„und das Unſrige, gegen unſre Feinde beſchuͤ-
„tzen; und wollen uns auch ſonſt gemeinſchaft-
„lich beyſtehen, in ſolchen Arbeiten, die zwar al-
„len nuͤtzlich ſind, die aber, eine Familie allein,
„nicht zwingen kann.‟

Da entſtanden die großen Geſellſchaften,
die man Voͤlker, Nationen, oder Staaten
heißt.

Die Leute merkten aber bald, daß ſie,
durch die bloße Vereinigung in eine groͤßre
Geſellſchaft, noch nicht viel gebeßert waͤren.
Denn, wenn Noth war, ſo half der eine
fleißig, der andre war faul, und that we-
nig; der eine kam fruͤh, der andre ſpaͤt;
und ſie konnten auch nicht eins werden,
was gethan werden ſollte, weil ein jeder
wieder ſeinen beſondern Vortheil ſuchte, und
das Beſte der ganzen Geſellſchaft, ſeinem
eignen Nutzen, nicht vorzog.

Als nun daraus, in der Geſellſchaft, ſo
viel Noth entſtand, daß einem jeden die
Augen aufgiengen; ſo wurden die Men-

ſchen
E 5
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[73/0095] wieder alles zu leide, was ſie konnten. Wenn aber dieſes beſtaͤndig ſo fortgedauert haͤtte, ſo waͤre das menſchliche Geſchlecht bald zu Grunde gegangen. Da traten viele Fami- lien zuſammen, und ſagten: „Wir wollen uns „vereinigen: Wir wollen gemeinſchaftlich, uns „und das Unſrige, gegen unſre Feinde beſchuͤ- „tzen; und wollen uns auch ſonſt gemeinſchaft- „lich beyſtehen, in ſolchen Arbeiten, die zwar al- „len nuͤtzlich ſind, die aber, eine Familie allein, „nicht zwingen kann.‟ Da entſtanden die großen Geſellſchaften, die man Voͤlker, Nationen, oder Staaten heißt. Die Leute merkten aber bald, daß ſie, durch die bloße Vereinigung in eine groͤßre Geſellſchaft, noch nicht viel gebeßert waͤren. Denn, wenn Noth war, ſo half der eine fleißig, der andre war faul, und that we- nig; der eine kam fruͤh, der andre ſpaͤt; und ſie konnten auch nicht eins werden, was gethan werden ſollte, weil ein jeder wieder ſeinen beſondern Vortheil ſuchte, und das Beſte der ganzen Geſellſchaft, ſeinem eignen Nutzen, nicht vorzog. Als nun daraus, in der Geſellſchaft, ſo viel Noth entſtand, daß einem jeden die Augen aufgiengen; ſo wurden die Men- ſchen E 5

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Zitationshilfe: [Rochow, Friedrich Eberhard von]: Versuch eines Schulbuches. Berlin, 1772, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rochow_versuch_1772/95>, abgerufen am 04.12.2024.