Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 8. Berlin, Wien, 1917.Es zeigte sich aber bald, daß, um den Zustrom an Kapitalien flüssig zu erhalten, den Gesellschaften auch noch sonstige Erleichterungen und Vorteile außer der Zinsgarantie zugestanden werden müssen, die die Aussichten auf einen größeren Gewinn, als ihr die Zinsgarantie gewährleistete, eröffneten. Hierher gehörte das Recht der freien Bestimmung der Tarifsätze, für die nur eine obere Grenze statutenmäßig festgesetzt wurde, ferner der Verzicht der Staatsregierung, sich in innere wirtschaftliche Gebarungen der Gesellschaften einzumischen. Es kam hinzu, daß die Staatsregierung Baukostenanschläge für neue Bahnen genehmigte, die offensichtlich zu hoch waren, so daß den Bauunternehmern ein reicher Gewinn zufiel. Diese Maßnahmen, die alle mit großen Opfern für den Staat verbunden waren, hatten aber die erfreuliche Folge, daß Bewerbungen um neue Eisenbahnen in großer Zahl eingingen und es gelang, ohne direkte Belastung des Staatskredits schnell die notwendigsten Eisenbahnverbindungen herzustellen. Aber die wirtschaftlichen Erschütterungen, die der Staat überwinden mußte, waren doch gewaltige gewesen (der Krimkrieg 1853/56, der polnische Aufstand 1863) und sein Kredit war schwer erschüttert worden. Es kam das z. B. zum Ausdruck, als 1867 Obligationen der Nicolaibahn, die vom Staat mit 5% garantiert waren, zum Kurs von 61·5% abgegeben werden mußten. Der Finanzminister - Graf Reutern - erkannte die große Gefahr, die hier drohte, wenn ihr nicht mit wirksamen Mitteln entgegengetreten wurde. Die Befürchtung lag nahe, daß, wenn hier nicht Abhilfe geschaffen würde, das Ausland das Geld zum Bau für die unerläßlich notwendigen Bahnen nur herzugeben bereit sein würde, wenn Sicherstellung, etwa durch Verpfändung besonderer Staatseinnahmen, geboten werden könnte. Trat das ein, dann war der Kredit des Landes in seinen Grundfesten erschüttert und ein weiterer Ausbau des Eisenbahnnetzes schwer gefährdet. Dies versuchte Reutern durch folgendes zu verhüten: 1. durch Schaffung eines besonderen Eisenbahnfonds, der dazu dienen sollte, der Regierung jederzeit die Möglichkeit zu sichern, ihren Verpflichtungen in bezug auf die geleistete Garantie nachzukommen. Zunächst wurden zu diesem Zweck 45 Mill. Rubel (aus dem Ertrag einer inneren Prämienanleihe) überwiesen; 2. den Gesellschaften wurde nicht mehr gestattet, selbst die für ihre Bahn bestimmten Obligationen auf den Markt zu bringen. Die Staatsregierung übernahm sie vielmehr zu einem vereinbarten festen Satz, zahlte den Gesellschaften nach Maßgabe des Fortschritts des Baues die Baugelder und brachte ihrerseits die "konsolidierten" Obligationen zu ihr geeignet erscheinender Zeit auf den Markt, um den Eisenbahnfonds, aus dem die Baugelder geflossen waren, nach Bedarf wieder aufzufüllen. Mit Hilfe dieser finanztechnischen Maßnahme gelang es, den Kredit des Staates wieder so weit zu heben, daß nicht nur die befürchteten Forderungen der ausländischen Geldgeber nicht gestellt wurden, sondern auch daß der Kursstand der Obligationen wesentlich gehoben werden konnte (1869 76%). Aber der Barbestand des Eisenbahnfonds hatte in der Zwischenzeit eine Auffüllung über das bisherige Maß hinaus dringend notwendig gemacht. Um das ermöglichen zu können, entschloß sich die Regierung, die Nicolaibahn zu verkaufen (1868). Sie erhielt dadurch 1059 Mill. Rubel (s. Nicolaibahn). Allein der Verkauf der Nicolaibahn half doch immer noch nicht über die großen Finanzschwierigkeiten hinweg, die unvermeidlich als Folge des schnell vor sich gehenden Eisenbahnbaues eintraten. Es kam hinzu, daß die Regierung gezwungen gewesen war (s. Geschichte der Staatseisenbahnen im europäischen Rußland), den Bau einer Anzahl von Bahnen, die von den Gesellschaften nicht zu Ende geführt werden konnten, selbst durchzuführen (Odessa-Kiew, Moskau-Orel-Kursk u. m. a.), was wiederum einen weiteren Druck auf die Finanzwirtschaft ausübte. Da nun diese Bahnen gewissermaßen nur zwangsweise als Staatsbahnen ausgeführt worden waren, so lag es nahe, sie auch wieder bei passender Gelegenheit der Privatunternehmung zuzuführen. Das geschah denn auch in den Jahren 1870 und 1871, wodurch rd. 156 Mill. Rubel in die Staatskasse flossen, die die Möglichkeit schafften, ältere Verbindlichkeiten zu begleichen, namentlich aber weitere Unternehmungen zu fördern. Inzwischen hatte sich der Staatskredit weiter erheblich gebessert, so daß dazu übergegangen werden konnte, an die sich bildenden Baugesellschaften die Forderung zu stellen, daß sie 1/4 bis 1/3 des Baukapitals selbst aufzubringen (1869) hätten, u. zw. ohne daß der Staat eine Zinsgarantie übernahm. Lange blieb diese Art der Geldbeschaffung aber nicht in Übung, denn schon 1872 entschloß man sich wieder dazu, auch für diesen Teil des Baukapitals eine beschränkte Zinsgarantie, nämlich auf die Dauer der ersten 15 Jahre, zu übernehmen. Es ist aber eine große Errungenschaft der Finanzverwaltung, daß 1875 - allerdings mit Hilfe einer sehr guten Ernte - der Staatskredit so weit gestiegen war, daß die konsolidierten Obligationen zum Nennwert gehandelt wurden. Es zeigte sich aber bald, daß, um den Zustrom an Kapitalien flüssig zu erhalten, den Gesellschaften auch noch sonstige Erleichterungen und Vorteile außer der Zinsgarantie zugestanden werden müssen, die die Aussichten auf einen größeren Gewinn, als ihr die Zinsgarantie gewährleistete, eröffneten. Hierher gehörte das Recht der freien Bestimmung der Tarifsätze, für die nur eine obere Grenze statutenmäßig festgesetzt wurde, ferner der Verzicht der Staatsregierung, sich in innere wirtschaftliche Gebarungen der Gesellschaften einzumischen. Es kam hinzu, daß die Staatsregierung Baukostenanschläge für neue Bahnen genehmigte, die offensichtlich zu hoch waren, so daß den Bauunternehmern ein reicher Gewinn zufiel. Diese Maßnahmen, die alle mit großen Opfern für den Staat verbunden waren, hatten aber die erfreuliche Folge, daß Bewerbungen um neue Eisenbahnen in großer Zahl eingingen und es gelang, ohne direkte Belastung des Staatskredits schnell die notwendigsten Eisenbahnverbindungen herzustellen. Aber die wirtschaftlichen Erschütterungen, die der Staat überwinden mußte, waren doch gewaltige gewesen (der Krimkrieg 1853/56, der polnische Aufstand 1863) und sein Kredit war schwer erschüttert worden. Es kam das z. B. zum Ausdruck, als 1867 Obligationen der Nicolaibahn, die vom Staat mit 5% garantiert waren, zum Kurs von 61·5% abgegeben werden mußten. Der Finanzminister – Graf Reutern – erkannte die große Gefahr, die hier drohte, wenn ihr nicht mit wirksamen Mitteln entgegengetreten wurde. Die Befürchtung lag nahe, daß, wenn hier nicht Abhilfe geschaffen würde, das Ausland das Geld zum Bau für die unerläßlich notwendigen Bahnen nur herzugeben bereit sein würde, wenn Sicherstellung, etwa durch Verpfändung besonderer Staatseinnahmen, geboten werden könnte. Trat das ein, dann war der Kredit des Landes in seinen Grundfesten erschüttert und ein weiterer Ausbau des Eisenbahnnetzes schwer gefährdet. Dies versuchte Reutern durch folgendes zu verhüten: 1. durch Schaffung eines besonderen Eisenbahnfonds, der dazu dienen sollte, der Regierung jederzeit die Möglichkeit zu sichern, ihren Verpflichtungen in bezug auf die geleistete Garantie nachzukommen. Zunächst wurden zu diesem Zweck 45 Mill. Rubel (aus dem Ertrag einer inneren Prämienanleihe) überwiesen; 2. den Gesellschaften wurde nicht mehr gestattet, selbst die für ihre Bahn bestimmten Obligationen auf den Markt zu bringen. Die Staatsregierung übernahm sie vielmehr zu einem vereinbarten festen Satz, zahlte den Gesellschaften nach Maßgabe des Fortschritts des Baues die Baugelder und brachte ihrerseits die „konsolidierten“ Obligationen zu ihr geeignet erscheinender Zeit auf den Markt, um den Eisenbahnfonds, aus dem die Baugelder geflossen waren, nach Bedarf wieder aufzufüllen. Mit Hilfe dieser finanztechnischen Maßnahme gelang es, den Kredit des Staates wieder so weit zu heben, daß nicht nur die befürchteten Forderungen der ausländischen Geldgeber nicht gestellt wurden, sondern auch daß der Kursstand der Obligationen wesentlich gehoben werden konnte (1869 76%). Aber der Barbestand des Eisenbahnfonds hatte in der Zwischenzeit eine Auffüllung über das bisherige Maß hinaus dringend notwendig gemacht. Um das ermöglichen zu können, entschloß sich die Regierung, die Nicolaibahn zu verkaufen (1868). Sie erhielt dadurch 1059 Mill. Rubel (s. Nicolaibahn). Allein der Verkauf der Nicolaibahn half doch immer noch nicht über die großen Finanzschwierigkeiten hinweg, die unvermeidlich als Folge des schnell vor sich gehenden Eisenbahnbaues eintraten. Es kam hinzu, daß die Regierung gezwungen gewesen war (s. Geschichte der Staatseisenbahnen im europäischen Rußland), den Bau einer Anzahl von Bahnen, die von den Gesellschaften nicht zu Ende geführt werden konnten, selbst durchzuführen (Odessa-Kiew, Moskau-Orel-Kursk u. m. a.), was wiederum einen weiteren Druck auf die Finanzwirtschaft ausübte. Da nun diese Bahnen gewissermaßen nur zwangsweise als Staatsbahnen ausgeführt worden waren, so lag es nahe, sie auch wieder bei passender Gelegenheit der Privatunternehmung zuzuführen. Das geschah denn auch in den Jahren 1870 und 1871, wodurch rd. 156 Mill. Rubel in die Staatskasse flossen, die die Möglichkeit schafften, ältere Verbindlichkeiten zu begleichen, namentlich aber weitere Unternehmungen zu fördern. Inzwischen hatte sich der Staatskredit weiter erheblich gebessert, so daß dazu übergegangen werden konnte, an die sich bildenden Baugesellschaften die Forderung zu stellen, daß sie 1/4 bis 1/3 des Baukapitals selbst aufzubringen (1869) hätten, u. zw. ohne daß der Staat eine Zinsgarantie übernahm. Lange blieb diese Art der Geldbeschaffung aber nicht in Übung, denn schon 1872 entschloß man sich wieder dazu, auch für diesen Teil des Baukapitals eine beschränkte Zinsgarantie, nämlich auf die Dauer der ersten 15 Jahre, zu übernehmen. Es ist aber eine große Errungenschaft der Finanzverwaltung, daß 1875 – allerdings mit Hilfe einer sehr guten Ernte – der Staatskredit so weit gestiegen war, daß die konsolidierten Obligationen zum Nennwert gehandelt wurden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="lexiconEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0283" n="268"/> Es zeigte sich aber bald, daß, um den Zustrom an Kapitalien flüssig zu erhalten, den Gesellschaften auch noch sonstige Erleichterungen und Vorteile außer der Zinsgarantie zugestanden werden müssen, die die Aussichten auf einen größeren Gewinn, als ihr die Zinsgarantie gewährleistete, eröffneten. Hierher gehörte das Recht der freien Bestimmung der Tarifsätze, für die nur eine obere Grenze statutenmäßig festgesetzt wurde, ferner der Verzicht der Staatsregierung, sich in innere wirtschaftliche Gebarungen der Gesellschaften einzumischen. Es kam hinzu, daß die Staatsregierung Baukostenanschläge für neue Bahnen genehmigte, die offensichtlich zu hoch waren, so daß den Bauunternehmern ein reicher Gewinn zufiel. Diese Maßnahmen, die alle mit großen Opfern für den Staat verbunden waren, hatten aber die erfreuliche Folge, daß Bewerbungen um neue Eisenbahnen in großer Zahl eingingen und es gelang, ohne direkte Belastung des Staatskredits schnell die notwendigsten Eisenbahnverbindungen herzustellen.</p><lb/> <p>Aber die wirtschaftlichen Erschütterungen, die der Staat überwinden mußte, waren doch gewaltige gewesen (der Krimkrieg 1853/56, der polnische Aufstand 1863) und sein Kredit war schwer erschüttert worden. Es kam das z. B. zum Ausdruck, als 1867 Obligationen der Nicolaibahn, die vom Staat mit 5<hi rendition="#i">%</hi> garantiert waren, zum Kurs von 61·5<hi rendition="#i">%</hi> abgegeben werden mußten. 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Aber der Barbestand des Eisenbahnfonds hatte in der Zwischenzeit eine Auffüllung über das bisherige Maß hinaus dringend notwendig gemacht. Um das ermöglichen zu können, entschloß sich die Regierung, die Nicolaibahn zu verkaufen (1868). Sie erhielt dadurch 1059 Mill. Rubel (s. Nicolaibahn). Allein der Verkauf der Nicolaibahn half doch immer noch nicht über die großen Finanzschwierigkeiten hinweg, die unvermeidlich als Folge des schnell vor sich gehenden Eisenbahnbaues eintraten. Es kam hinzu, daß die Regierung gezwungen gewesen war (s. Geschichte der Staatseisenbahnen im europäischen Rußland), den Bau einer Anzahl von Bahnen, die von den Gesellschaften nicht zu Ende geführt werden konnten, selbst durchzuführen (Odessa-Kiew, Moskau-Orel-Kursk u. m. a.), was wiederum einen weiteren Druck auf die Finanzwirtschaft ausübte. Da nun diese Bahnen gewissermaßen nur zwangsweise als Staatsbahnen ausgeführt worden waren, so lag es nahe, sie auch wieder bei passender Gelegenheit der Privatunternehmung zuzuführen. Das geschah denn auch in den Jahren 1870 und 1871, wodurch rd. 156 Mill. Rubel in die Staatskasse flossen, die die Möglichkeit schafften, ältere Verbindlichkeiten zu begleichen, namentlich aber weitere Unternehmungen zu fördern. Inzwischen hatte sich der Staatskredit weiter erheblich gebessert, so daß dazu übergegangen werden konnte, an die sich bildenden Baugesellschaften die Forderung zu stellen, daß sie <hi rendition="#sup">1</hi>/<hi rendition="#sub">4</hi> bis <hi rendition="#sup">1</hi>/<hi rendition="#sub">3</hi> des Baukapitals selbst aufzubringen (1869) hätten, u. zw. ohne daß der Staat eine Zinsgarantie übernahm. Lange blieb diese Art der Geldbeschaffung aber nicht in Übung, denn schon 1872 entschloß man sich wieder dazu, auch für diesen Teil des Baukapitals eine beschränkte Zinsgarantie, nämlich auf die Dauer der ersten 15 Jahre, zu übernehmen. Es ist aber eine große Errungenschaft der Finanzverwaltung, daß 1875 – allerdings mit Hilfe einer sehr guten Ernte – der Staatskredit so weit gestiegen war, daß die konsolidierten Obligationen zum Nennwert gehandelt wurden. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [268/0283]
Es zeigte sich aber bald, daß, um den Zustrom an Kapitalien flüssig zu erhalten, den Gesellschaften auch noch sonstige Erleichterungen und Vorteile außer der Zinsgarantie zugestanden werden müssen, die die Aussichten auf einen größeren Gewinn, als ihr die Zinsgarantie gewährleistete, eröffneten. Hierher gehörte das Recht der freien Bestimmung der Tarifsätze, für die nur eine obere Grenze statutenmäßig festgesetzt wurde, ferner der Verzicht der Staatsregierung, sich in innere wirtschaftliche Gebarungen der Gesellschaften einzumischen. Es kam hinzu, daß die Staatsregierung Baukostenanschläge für neue Bahnen genehmigte, die offensichtlich zu hoch waren, so daß den Bauunternehmern ein reicher Gewinn zufiel. Diese Maßnahmen, die alle mit großen Opfern für den Staat verbunden waren, hatten aber die erfreuliche Folge, daß Bewerbungen um neue Eisenbahnen in großer Zahl eingingen und es gelang, ohne direkte Belastung des Staatskredits schnell die notwendigsten Eisenbahnverbindungen herzustellen.
Aber die wirtschaftlichen Erschütterungen, die der Staat überwinden mußte, waren doch gewaltige gewesen (der Krimkrieg 1853/56, der polnische Aufstand 1863) und sein Kredit war schwer erschüttert worden. Es kam das z. B. zum Ausdruck, als 1867 Obligationen der Nicolaibahn, die vom Staat mit 5% garantiert waren, zum Kurs von 61·5% abgegeben werden mußten. Der Finanzminister – Graf Reutern – erkannte die große Gefahr, die hier drohte, wenn ihr nicht mit wirksamen Mitteln entgegengetreten wurde. Die Befürchtung lag nahe, daß, wenn hier nicht Abhilfe geschaffen würde, das Ausland das Geld zum Bau für die unerläßlich notwendigen Bahnen nur herzugeben bereit sein würde, wenn Sicherstellung, etwa durch Verpfändung besonderer Staatseinnahmen, geboten werden könnte. Trat das ein, dann war der Kredit des Landes in seinen Grundfesten erschüttert und ein weiterer Ausbau des Eisenbahnnetzes schwer gefährdet. Dies versuchte Reutern durch folgendes zu verhüten:
1. durch Schaffung eines besonderen Eisenbahnfonds, der dazu dienen sollte, der Regierung jederzeit die Möglichkeit zu sichern, ihren Verpflichtungen in bezug auf die geleistete Garantie nachzukommen. Zunächst wurden zu diesem Zweck 45 Mill. Rubel (aus dem Ertrag einer inneren Prämienanleihe) überwiesen;
2. den Gesellschaften wurde nicht mehr gestattet, selbst die für ihre Bahn bestimmten Obligationen auf den Markt zu bringen. Die Staatsregierung übernahm sie vielmehr zu einem vereinbarten festen Satz, zahlte den Gesellschaften nach Maßgabe des Fortschritts des Baues die Baugelder und brachte ihrerseits die „konsolidierten“ Obligationen zu ihr geeignet erscheinender Zeit auf den Markt, um den Eisenbahnfonds, aus dem die Baugelder geflossen waren, nach Bedarf wieder aufzufüllen.
Mit Hilfe dieser finanztechnischen Maßnahme gelang es, den Kredit des Staates wieder so weit zu heben, daß nicht nur die befürchteten Forderungen der ausländischen Geldgeber nicht gestellt wurden, sondern auch daß der Kursstand der Obligationen wesentlich gehoben werden konnte (1869 76%). Aber der Barbestand des Eisenbahnfonds hatte in der Zwischenzeit eine Auffüllung über das bisherige Maß hinaus dringend notwendig gemacht. Um das ermöglichen zu können, entschloß sich die Regierung, die Nicolaibahn zu verkaufen (1868). Sie erhielt dadurch 1059 Mill. Rubel (s. Nicolaibahn). Allein der Verkauf der Nicolaibahn half doch immer noch nicht über die großen Finanzschwierigkeiten hinweg, die unvermeidlich als Folge des schnell vor sich gehenden Eisenbahnbaues eintraten. Es kam hinzu, daß die Regierung gezwungen gewesen war (s. Geschichte der Staatseisenbahnen im europäischen Rußland), den Bau einer Anzahl von Bahnen, die von den Gesellschaften nicht zu Ende geführt werden konnten, selbst durchzuführen (Odessa-Kiew, Moskau-Orel-Kursk u. m. a.), was wiederum einen weiteren Druck auf die Finanzwirtschaft ausübte. Da nun diese Bahnen gewissermaßen nur zwangsweise als Staatsbahnen ausgeführt worden waren, so lag es nahe, sie auch wieder bei passender Gelegenheit der Privatunternehmung zuzuführen. Das geschah denn auch in den Jahren 1870 und 1871, wodurch rd. 156 Mill. Rubel in die Staatskasse flossen, die die Möglichkeit schafften, ältere Verbindlichkeiten zu begleichen, namentlich aber weitere Unternehmungen zu fördern. Inzwischen hatte sich der Staatskredit weiter erheblich gebessert, so daß dazu übergegangen werden konnte, an die sich bildenden Baugesellschaften die Forderung zu stellen, daß sie 1/4 bis 1/3 des Baukapitals selbst aufzubringen (1869) hätten, u. zw. ohne daß der Staat eine Zinsgarantie übernahm. Lange blieb diese Art der Geldbeschaffung aber nicht in Übung, denn schon 1872 entschloß man sich wieder dazu, auch für diesen Teil des Baukapitals eine beschränkte Zinsgarantie, nämlich auf die Dauer der ersten 15 Jahre, zu übernehmen. Es ist aber eine große Errungenschaft der Finanzverwaltung, daß 1875 – allerdings mit Hilfe einer sehr guten Ernte – der Staatskredit so weit gestiegen war, daß die konsolidierten Obligationen zum Nennwert gehandelt wurden.
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