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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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hatte bei der Lebenslänglichkeit der Ämter persönlich keine
Macht und kein Mittel, die einmal von ihm zu den Landes-
und Kronämtern Ernannten -- und die letzteren waren seine
Minister -- aus denselben wieder zu entfernen; nur der Reichs-
tag vermochte sie ihres Amtes zu entsetzen.

Und wie die Verwaltung, so lag auch die Gesetzgebung und
die Justiz, die Finanzen und das Kriegswesen weit über-
wiegend, ja fast ausschließlich in den Händen des Adels. Die
Gesetzgebung hing von den Land- und Reichstagen ab, auf
welchen er, auf den erstern Mann für Mann, auf den letztern
durch seine gewählten Vertreter, allein Sitz und Stimme hatte;
die Justiz ward von den Land- und Grodgerichten und den
Tribunalen gehandhabt, deren Mitglieder er allein wählte; die
Steuern hingen von seiner Bewilligung ab und der Kern der
Kriegsmacht lag in dem allgemeinen Aufgebot, in Folge dessen,
sobald es vom Reichstage erging, jeder Edelmann zu Pferd
sitzen sollte (Pospolite ruszenie). Mit einem Wort: der Adel
allein hatte die Macht im Lande, er war in seiner Gesamt-
heit der Souverain dieses Staatswesens, welches nicht mit Un-
recht die "Republik" genannt ward.

Diese Republik aber war ihrem Staatsrechte nach zwar
insofern eine Demokratie, als jeder Edelmann dem andern in
Rechten und Pflichten gesetzlich völlig gleich stand, und die fürst-
lichen und gräflichen Titel, welche einzelne Familien führten,
diesen auch nicht das geringste politische Vorrecht vor dem
ärmsten Edelmann gewährten 1). Auch lag der Form nach
auf allen Land- und Reichstagen noch immer die Entscheidung
in der Hand der Adelsmasse, und jeder einzelne Edelmann
konnte durch sein nie pozwalam (ich will nicht) in jedem
Augenblick Land- und Reichstage zerreißen und hiedurch jeden
Beschluß derselben verhindern. Aber diese Freiheit, deren die
Nation sich rühmte, in deren Bewußtsein der Pole mit Stolz,

1) Diese Rechtsgleichheit drückt das polnische Spruchwort: "Szlachzic
na zagrodzie, rowny wojewodzie"
("Der Edelmann auf seinem Morgen
Landes ist gleich dem Woiwoden") aus.

hatte bei der Lebenslänglichkeit der Ämter perſönlich keine
Macht und kein Mittel, die einmal von ihm zu den Landes-
und Kronämtern Ernannten — und die letzteren waren ſeine
Miniſter — aus denſelben wieder zu entfernen; nur der Reichs-
tag vermochte ſie ihres Amtes zu entſetzen.

Und wie die Verwaltung, ſo lag auch die Geſetzgebung und
die Juſtiz, die Finanzen und das Kriegsweſen weit über-
wiegend, ja faſt ausſchließlich in den Händen des Adels. Die
Geſetzgebung hing von den Land- und Reichstagen ab, auf
welchen er, auf den erſtern Mann für Mann, auf den letztern
durch ſeine gewählten Vertreter, allein Sitz und Stimme hatte;
die Juſtiz ward von den Land- und Grodgerichten und den
Tribunalen gehandhabt, deren Mitglieder er allein wählte; die
Steuern hingen von ſeiner Bewilligung ab und der Kern der
Kriegsmacht lag in dem allgemeinen Aufgebot, in Folge deſſen,
ſobald es vom Reichstage erging, jeder Edelmann zu Pferd
ſitzen ſollte (Pospolite ruszenie). Mit einem Wort: der Adel
allein hatte die Macht im Lande, er war in ſeiner Geſamt-
heit der Souverain dieſes Staatsweſens, welches nicht mit Un-
recht die „Republik“ genannt ward.

Dieſe Republik aber war ihrem Staatsrechte nach zwar
inſofern eine Demokratie, als jeder Edelmann dem andern in
Rechten und Pflichten geſetzlich völlig gleich ſtand, und die fürſt-
lichen und gräflichen Titel, welche einzelne Familien führten,
dieſen auch nicht das geringſte politiſche Vorrecht vor dem
ärmſten Edelmann gewährten 1). Auch lag der Form nach
auf allen Land- und Reichstagen noch immer die Entſcheidung
in der Hand der Adelsmaſſe, und jeder einzelne Edelmann
konnte durch ſein nie pozwalam (ich will nicht) in jedem
Augenblick Land- und Reichstage zerreißen und hiedurch jeden
Beſchluß derſelben verhindern. Aber dieſe Freiheit, deren die
Nation ſich rühmte, in deren Bewußtſein der Pole mit Stolz,

1) Dieſe Rechtsgleichheit drückt das polniſche Spruchwort: „Szlachzić
na zagrodzie, rowny wojewodzie“
(„Der Edelmann auf ſeinem Morgen
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[6/0020] hatte bei der Lebenslänglichkeit der Ämter perſönlich keine Macht und kein Mittel, die einmal von ihm zu den Landes- und Kronämtern Ernannten — und die letzteren waren ſeine Miniſter — aus denſelben wieder zu entfernen; nur der Reichs- tag vermochte ſie ihres Amtes zu entſetzen. Und wie die Verwaltung, ſo lag auch die Geſetzgebung und die Juſtiz, die Finanzen und das Kriegsweſen weit über- wiegend, ja faſt ausſchließlich in den Händen des Adels. Die Geſetzgebung hing von den Land- und Reichstagen ab, auf welchen er, auf den erſtern Mann für Mann, auf den letztern durch ſeine gewählten Vertreter, allein Sitz und Stimme hatte; die Juſtiz ward von den Land- und Grodgerichten und den Tribunalen gehandhabt, deren Mitglieder er allein wählte; die Steuern hingen von ſeiner Bewilligung ab und der Kern der Kriegsmacht lag in dem allgemeinen Aufgebot, in Folge deſſen, ſobald es vom Reichstage erging, jeder Edelmann zu Pferd ſitzen ſollte (Pospolite ruszenie). Mit einem Wort: der Adel allein hatte die Macht im Lande, er war in ſeiner Geſamt- heit der Souverain dieſes Staatsweſens, welches nicht mit Un- recht die „Republik“ genannt ward. Dieſe Republik aber war ihrem Staatsrechte nach zwar inſofern eine Demokratie, als jeder Edelmann dem andern in Rechten und Pflichten geſetzlich völlig gleich ſtand, und die fürſt- lichen und gräflichen Titel, welche einzelne Familien führten, dieſen auch nicht das geringſte politiſche Vorrecht vor dem ärmſten Edelmann gewährten 1). Auch lag der Form nach auf allen Land- und Reichstagen noch immer die Entſcheidung in der Hand der Adelsmaſſe, und jeder einzelne Edelmann konnte durch ſein nie pozwalam (ich will nicht) in jedem Augenblick Land- und Reichstage zerreißen und hiedurch jeden Beſchluß derſelben verhindern. Aber dieſe Freiheit, deren die Nation ſich rühmte, in deren Bewußtſein der Pole mit Stolz, 1) Dieſe Rechtsgleichheit drückt das polniſche Spruchwort: „Szlachzić na zagrodzie, rowny wojewodzie“ („Der Edelmann auf ſeinem Morgen Landes iſt gleich dem Woiwoden“) aus.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/20>, abgerufen am 21.11.2024.