Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

ja Hochmuth auf alle andern Völker herabsah, war im wesent-
lichen doch mehr Schein als Wirklichkeit, und die Republik
mindestens eben so sehr eine Oligarchie als Demokratie. Denn
thatsächlich stand die Entscheidung aller wichtigen Dinge dort
schon lange nicht mehr bei dem Massenadel, sondern bei den
großen Familien des Landes, den sog. Magnaten oder "Herren"
(panowie) wie sie kat exokhen im Lande selbst genannt wurden.
Sie regierten thatsächlich das Reich, soweit überhaupt damals
von einer Regierung noch die Rede sein kann.

An Grundbesitz, Reichthum und Bildung allen mittlern
und kleinern Adel weit überragend -- man berechnete das
Einkommen der Potocki, Radzivil, Sapieha, Lubomirski, Czar-
toryski u. a. nicht nur nach Hunderttausenden, sondern auch nach
Millionen --, in fast ausschließlichem Besitz aller Einfluß und
Macht verleihenden Ämter 1), ohne das Gegengewicht eines
starken Königthums, gab den "Herren" diese ihre sociale und
politische Stellung die Mittel jeder Art in die Hand, um sich
unter der Masse des Adels eine Clientel zu bilden, welche
durch die mannichfaltigsten persönlichen und öffentlichen Interessen
und Rücksichten mit ihnen verbunden und von ihnen abhängig
war. Hunderte und Tausende vom Adel (szlachta) standen
an den Höfen, bei den Haustruppen, bei der Güterverwaltung

1) Diese Ämter waren in bestimmten Landschaften so regelmäßig in
dem Besitz ein und derselben Geschlechter, daß sie gewissermaßen erblich
waren, nur nicht immer von Vater auf Sohn. So waren z. B. in der
Woiwodschaft Lublin seit den ältesten Zeiten nur die Firley, Tarlo,
Lubomirski, Zamoyski, Woiwoden, Kastellane und Starosten! Ja es fehlt
nicht an Beispielen, daß die Starosteien und andere Ämter, wie eine
Aussteuer vom Schwiegervater auf den Schwiegersohn übergingen und
selbst Wittwen und geschiedene Frauen solche in die neue Ehe dem zweiten
Mann gleichsam als Mitgift mitbrachten. Hierzu war allerdings eine
Bewilligung des Königs nothwendig. Allein gar häufig ließ man sich
gleich bei der ersten Verleihung dieselbe mit dem sog. jus communi-
cativum
geben, d. h. man erhielt das Recht, dieselben auch auf andere
übertragen zu dürfen. Die höchste Landwürde, zu der es ein szlachcic
(gewöhnlicher Edelmann, der nicht zu den Familien der "Herren" gehörte)
zu bringen pflegte, war das Amt des sog. Unterkämmerers eines bestimmten
Bezirks (podkomorstwo). Cf. Kaj. Kozmian, Pamietniki I, 162.

ja Hochmuth auf alle andern Völker herabſah, war im weſent-
lichen doch mehr Schein als Wirklichkeit, und die Republik
mindeſtens eben ſo ſehr eine Oligarchie als Demokratie. Denn
thatſächlich ſtand die Entſcheidung aller wichtigen Dinge dort
ſchon lange nicht mehr bei dem Maſſenadel, ſondern bei den
großen Familien des Landes, den ſog. Magnaten oder „Herren“
(panowie) wie ſie κατ̕ ἐξοχην im Lande ſelbſt genannt wurden.
Sie regierten thatſächlich das Reich, ſoweit überhaupt damals
von einer Regierung noch die Rede ſein kann.

An Grundbeſitz, Reichthum und Bildung allen mittlern
und kleinern Adel weit überragend — man berechnete das
Einkommen der Potocki, Radzivil, Sapieha, Lubomirski, Czar-
toryski u. a. nicht nur nach Hunderttauſenden, ſondern auch nach
Millionen —, in faſt ausſchließlichem Beſitz aller Einfluß und
Macht verleihenden Ämter 1), ohne das Gegengewicht eines
ſtarken Königthums, gab den „Herren“ dieſe ihre ſociale und
politiſche Stellung die Mittel jeder Art in die Hand, um ſich
unter der Maſſe des Adels eine Clientel zu bilden, welche
durch die mannichfaltigſten perſönlichen und öffentlichen Intereſſen
und Rückſichten mit ihnen verbunden und von ihnen abhängig
war. Hunderte und Tauſende vom Adel (szlachta) ſtanden
an den Höfen, bei den Haustruppen, bei der Güterverwaltung

1) Dieſe Ämter waren in beſtimmten Landſchaften ſo regelmäßig in
dem Beſitz ein und derſelben Geſchlechter, daß ſie gewiſſermaßen erblich
waren, nur nicht immer von Vater auf Sohn. So waren z. B. in der
Woiwodſchaft Lublin ſeit den älteſten Zeiten nur die Firley, Tarlo,
Lubomirski, Zamoyski, Woiwoden, Kaſtellane und Staroſten! Ja es fehlt
nicht an Beiſpielen, daß die Staroſteien und andere Ämter, wie eine
Ausſteuer vom Schwiegervater auf den Schwiegerſohn übergingen und
ſelbſt Wittwen und geſchiedene Frauen ſolche in die neue Ehe dem zweiten
Mann gleichſam als Mitgift mitbrachten. Hierzu war allerdings eine
Bewilligung des Königs nothwendig. Allein gar häufig ließ man ſich
gleich bei der erſten Verleihung dieſelbe mit dem ſog. jus communi-
cativum
geben, d. h. man erhielt das Recht, dieſelben auch auf andere
übertragen zu dürfen. Die höchſte Landwürde, zu der es ein szlachcić
(gewöhnlicher Edelmann, der nicht zu den Familien der „Herren“ gehörte)
zu bringen pflegte, war das Amt des ſog. Unterkämmerers eines beſtimmten
Bezirks (podkomorstwo). Cf. Kaj. Koz̀mian, Pamiętniki I, 162.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0021" n="7"/>
ja Hochmuth auf alle andern Völker herab&#x017F;ah, war im we&#x017F;ent-<lb/>
lichen doch mehr Schein als Wirklichkeit, und die Republik<lb/>
minde&#x017F;tens eben &#x017F;o &#x017F;ehr eine Oligarchie als Demokratie. Denn<lb/>
that&#x017F;ächlich &#x017F;tand die Ent&#x017F;cheidung aller wichtigen Dinge dort<lb/>
&#x017F;chon lange nicht mehr bei dem Ma&#x017F;&#x017F;enadel, &#x017F;ondern bei den<lb/>
großen Familien des Landes, den &#x017F;og. Magnaten oder &#x201E;Herren&#x201C;<lb/>
(<hi rendition="#aq">panowie</hi>) wie &#x017F;ie &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x0315; &#x1F10;&#x03BE;&#x03BF;&#x03C7;&#x03B7;&#x03BD; im Lande &#x017F;elb&#x017F;t genannt wurden.<lb/>
Sie regierten that&#x017F;ächlich das Reich, &#x017F;oweit überhaupt damals<lb/>
von einer Regierung noch die Rede &#x017F;ein kann.</p><lb/>
        <p>An Grundbe&#x017F;itz, Reichthum und Bildung allen mittlern<lb/>
und kleinern Adel weit überragend &#x2014; man berechnete das<lb/>
Einkommen der Potocki, Radzivil, Sapieha, Lubomirski, Czar-<lb/>
toryski u. a. nicht nur nach Hunderttau&#x017F;enden, &#x017F;ondern auch nach<lb/>
Millionen &#x2014;, in fa&#x017F;t aus&#x017F;chließlichem Be&#x017F;itz aller Einfluß und<lb/>
Macht verleihenden Ämter <note place="foot" n="1)">Die&#x017F;e Ämter waren in be&#x017F;timmten Land&#x017F;chaften &#x017F;o regelmäßig in<lb/>
dem Be&#x017F;itz ein und der&#x017F;elben Ge&#x017F;chlechter, daß &#x017F;ie gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen erblich<lb/>
waren, nur nicht immer von Vater auf Sohn. So waren z. B. in der<lb/>
Woiwod&#x017F;chaft Lublin &#x017F;eit den älte&#x017F;ten Zeiten nur die Firley, Tarlo,<lb/>
Lubomirski, Zamoyski, Woiwoden, Ka&#x017F;tellane und Staro&#x017F;ten! Ja es fehlt<lb/>
nicht an Bei&#x017F;pielen, daß die Staro&#x017F;teien und andere Ämter, wie eine<lb/>
Aus&#x017F;teuer vom Schwiegervater auf den Schwieger&#x017F;ohn übergingen und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t Wittwen und ge&#x017F;chiedene Frauen &#x017F;olche in die neue Ehe dem zweiten<lb/>
Mann gleich&#x017F;am als Mitgift mitbrachten. Hierzu war allerdings eine<lb/>
Bewilligung des Königs nothwendig. Allein gar häufig ließ man &#x017F;ich<lb/>
gleich bei der er&#x017F;ten Verleihung die&#x017F;elbe mit dem &#x017F;og. <hi rendition="#aq">jus communi-<lb/>
cativum</hi> geben, d. h. man erhielt das Recht, die&#x017F;elben auch auf andere<lb/>
übertragen zu dürfen. Die höch&#x017F;te Landwürde, zu der es ein <hi rendition="#aq">szlachci&#x0107;</hi><lb/>
(gewöhnlicher Edelmann, der nicht zu den Familien der &#x201E;Herren&#x201C; gehörte)<lb/>
zu bringen pflegte, war das Amt des &#x017F;og. Unterkämmerers <choice><sic>einesbe&#x017F;timmten</sic><corr>eines be&#x017F;timmten</corr></choice><lb/>
Bezirks <hi rendition="#aq">(podkomorstwo). Cf. <hi rendition="#g">Kaj. Koz&#x0300;mian</hi>, Pami&#x0119;tniki I,</hi> 162.</note>, ohne das Gegengewicht eines<lb/>
&#x017F;tarken Königthums, gab den &#x201E;Herren&#x201C; die&#x017F;e ihre &#x017F;ociale und<lb/>
politi&#x017F;che Stellung die Mittel jeder Art in die Hand, um &#x017F;ich<lb/>
unter der Ma&#x017F;&#x017F;e des Adels eine Clientel zu bilden, welche<lb/>
durch die mannichfaltig&#x017F;ten per&#x017F;önlichen und öffentlichen Intere&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und Rück&#x017F;ichten mit ihnen verbunden und von ihnen abhängig<lb/>
war. Hunderte und Tau&#x017F;ende vom Adel (<hi rendition="#aq">szlachta</hi>) &#x017F;tanden<lb/>
an den Höfen, bei den Haustruppen, bei der Güterverwaltung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0021] ja Hochmuth auf alle andern Völker herabſah, war im weſent- lichen doch mehr Schein als Wirklichkeit, und die Republik mindeſtens eben ſo ſehr eine Oligarchie als Demokratie. Denn thatſächlich ſtand die Entſcheidung aller wichtigen Dinge dort ſchon lange nicht mehr bei dem Maſſenadel, ſondern bei den großen Familien des Landes, den ſog. Magnaten oder „Herren“ (panowie) wie ſie κατ̕ ἐξοχην im Lande ſelbſt genannt wurden. Sie regierten thatſächlich das Reich, ſoweit überhaupt damals von einer Regierung noch die Rede ſein kann. An Grundbeſitz, Reichthum und Bildung allen mittlern und kleinern Adel weit überragend — man berechnete das Einkommen der Potocki, Radzivil, Sapieha, Lubomirski, Czar- toryski u. a. nicht nur nach Hunderttauſenden, ſondern auch nach Millionen —, in faſt ausſchließlichem Beſitz aller Einfluß und Macht verleihenden Ämter 1), ohne das Gegengewicht eines ſtarken Königthums, gab den „Herren“ dieſe ihre ſociale und politiſche Stellung die Mittel jeder Art in die Hand, um ſich unter der Maſſe des Adels eine Clientel zu bilden, welche durch die mannichfaltigſten perſönlichen und öffentlichen Intereſſen und Rückſichten mit ihnen verbunden und von ihnen abhängig war. Hunderte und Tauſende vom Adel (szlachta) ſtanden an den Höfen, bei den Haustruppen, bei der Güterverwaltung 1) Dieſe Ämter waren in beſtimmten Landſchaften ſo regelmäßig in dem Beſitz ein und derſelben Geſchlechter, daß ſie gewiſſermaßen erblich waren, nur nicht immer von Vater auf Sohn. So waren z. B. in der Woiwodſchaft Lublin ſeit den älteſten Zeiten nur die Firley, Tarlo, Lubomirski, Zamoyski, Woiwoden, Kaſtellane und Staroſten! Ja es fehlt nicht an Beiſpielen, daß die Staroſteien und andere Ämter, wie eine Ausſteuer vom Schwiegervater auf den Schwiegerſohn übergingen und ſelbſt Wittwen und geſchiedene Frauen ſolche in die neue Ehe dem zweiten Mann gleichſam als Mitgift mitbrachten. Hierzu war allerdings eine Bewilligung des Königs nothwendig. Allein gar häufig ließ man ſich gleich bei der erſten Verleihung dieſelbe mit dem ſog. jus communi- cativum geben, d. h. man erhielt das Recht, dieſelben auch auf andere übertragen zu dürfen. Die höchſte Landwürde, zu der es ein szlachcić (gewöhnlicher Edelmann, der nicht zu den Familien der „Herren“ gehörte) zu bringen pflegte, war das Amt des ſog. Unterkämmerers eines beſtimmten Bezirks (podkomorstwo). Cf. Kaj. Koz̀mian, Pamiętniki I, 162.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/21
Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/21>, abgerufen am 21.11.2024.