Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.wissen, die Macht der Krone, je stärker dagegen die Macht 1) Kalinka l. c. I, p. 106.
wiſſen, die Macht der Krone, je ſtärker dagegen die Macht 1) Kalinka l. c. I, p. 106.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0032" n="18"/> wiſſen, die Macht der Krone, je ſtärker dagegen die Macht<lb/> des Adels im Ganzen und je ungebundener die Freiheit jedes<lb/> einzelnen Edelmannes war. Man kann in der That ſagen,<lb/> daß in demſelben Maße, in welchem Zügelloſigkeit, Unbändig-<lb/> keit das geſellſchaftliche Leben der Einzelnen characteriſirten, ſie<lb/> auch das öffentliche Leben der Nation beherrſchten. Wohl<lb/> lebte in den Herren wie in der Schlachta ein kräftiges, natio-<lb/> nales Selbſtgefühl und ein Patriotismus, der für das Vater-<lb/> land Gut und Leben zu opfern oft genug bereit war,<lb/> aber es fehlte den einen wie den andern, wie der Sinn<lb/> für Geſetz und Recht, ſo auch der Sinn für bürgerliche und<lb/> ſtaatliche Pflicht. Jeder handelte nur nach ſeinem perſönlichen<lb/> Ermeſſen und Belieben: dieſem gemäß war er fähig dem<lb/> Vaterlande alles zu opfern, aber im Gegentheil auch eben ſo<lb/> bereit alles und ſelbſt das Wohl des Landes ſeinem Belieben<lb/> und ſeinen perſönlichen Intereſſen zum Opfer zu bringen.<lb/> „Von allen Fehlern und Tugenden der Nation“ — geſteht einer<lb/> der talentvollſten und unbefangenſten ihrer neuern Ge-<lb/> ſchichtsſchreiber<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Kalinka</hi> l. c. I, p.</hi> 106.</note> — „war der Stolz am mächtigſten. Er<lb/> ließ keine Unterordnung des einen unter den andern zu, dul-<lb/> dete keinen Vorrang irgend welcher Art und machte jeden<lb/> Polen dem eigenen Landsmann gegenüber eben ſo unzugänglich<lb/> und unbeugſam als dem Fremden gegenüber duldſam und<lb/> unterwürfig.“ Vor allen aber waren von ſolchem Stolz die<lb/> „Herren“ erfüllt, in deren Händen, wie bemerkt, aller Einfluß<lb/> und alle Macht im Lande faſt ausſchließlich lag. In ihren<lb/> Familien, welche ſeit mehr als einem Jahrhundert mit einander<lb/> rivaliſirten, vererbten ſich die Feindſchaften von Generation zu<lb/> Generation und ſteigerten ſich nicht ſelten zu einem gegen-<lb/> ſeitigen Haß, dem jede andere Rückſicht untergeordnet<lb/> ward. Jedem König, den nicht ſie, ſondern ihre Gegner<lb/> auf den Thron gebracht, jeder Regierung, die nicht in ihren<lb/> Händen lag, machten die einen oder die andern dieſer Familien<lb/> auf jegliche Weiſe, oft mit den verwerflichſten Mitteln den<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0032]
wiſſen, die Macht der Krone, je ſtärker dagegen die Macht
des Adels im Ganzen und je ungebundener die Freiheit jedes
einzelnen Edelmannes war. Man kann in der That ſagen,
daß in demſelben Maße, in welchem Zügelloſigkeit, Unbändig-
keit das geſellſchaftliche Leben der Einzelnen characteriſirten, ſie
auch das öffentliche Leben der Nation beherrſchten. Wohl
lebte in den Herren wie in der Schlachta ein kräftiges, natio-
nales Selbſtgefühl und ein Patriotismus, der für das Vater-
land Gut und Leben zu opfern oft genug bereit war,
aber es fehlte den einen wie den andern, wie der Sinn
für Geſetz und Recht, ſo auch der Sinn für bürgerliche und
ſtaatliche Pflicht. Jeder handelte nur nach ſeinem perſönlichen
Ermeſſen und Belieben: dieſem gemäß war er fähig dem
Vaterlande alles zu opfern, aber im Gegentheil auch eben ſo
bereit alles und ſelbſt das Wohl des Landes ſeinem Belieben
und ſeinen perſönlichen Intereſſen zum Opfer zu bringen.
„Von allen Fehlern und Tugenden der Nation“ — geſteht einer
der talentvollſten und unbefangenſten ihrer neuern Ge-
ſchichtsſchreiber 1) — „war der Stolz am mächtigſten. Er
ließ keine Unterordnung des einen unter den andern zu, dul-
dete keinen Vorrang irgend welcher Art und machte jeden
Polen dem eigenen Landsmann gegenüber eben ſo unzugänglich
und unbeugſam als dem Fremden gegenüber duldſam und
unterwürfig.“ Vor allen aber waren von ſolchem Stolz die
„Herren“ erfüllt, in deren Händen, wie bemerkt, aller Einfluß
und alle Macht im Lande faſt ausſchließlich lag. In ihren
Familien, welche ſeit mehr als einem Jahrhundert mit einander
rivaliſirten, vererbten ſich die Feindſchaften von Generation zu
Generation und ſteigerten ſich nicht ſelten zu einem gegen-
ſeitigen Haß, dem jede andere Rückſicht untergeordnet
ward. Jedem König, den nicht ſie, ſondern ihre Gegner
auf den Thron gebracht, jeder Regierung, die nicht in ihren
Händen lag, machten die einen oder die andern dieſer Familien
auf jegliche Weiſe, oft mit den verwerflichſten Mitteln den
1) Kalinka l. c. I, p. 106.
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