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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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Krieg und scheuten selbst nicht, um die Gunst und Unter-
stützung auswärtiger Höfe, sogar der erklärten Feinde ihres
Vaterlandes zu buhlen, nur um ihre eignen Gegner aus der
Regierung zu vertreiben oder auch denselben König, dem sie
sich unterworfen, Treue und Gehorsam gelobt hatten, sobald
als möglich wieder vom Thron herabzustürzen. "Lassen wir
es jetzt zu, daß er König wird, aber denken wir sofort daran,
wie wir ihn wieder vom Thron werfen können." Dies Wort,
das der bekannte Bischof Soltyk zu seinen Freunden sprach,
als die Wahl Stanislaw Poniatowski's unvermeidlich erschien,
spricht treffend die Stellung aus, die all' diese "Herren" zur
Krone einnahmen und einzunehmen sich vollkommen für berech-
tigt hielten.

Als Haupthebel aber für all ihr Thun und Treiben diente
ihnen die Masse der Schlachta. Aufgewachsen in der größten
Unwissenheit und Unbildung, hatte diese Masse keine Vorstel-
lung und Kenntniß weder von der wahren Lage ihres Vater-
landes, noch von dessen Verhältnissen zu den Nachbarn in der
Welt, und am wenigsten von den ersten Grundlagen und
Bedingungen einer guten Regierung. Ihr ganzes politisches
Credo bestand in den zwei Worten "Freiheit und Glaube",
und wie unglaublich auch es erscheint, so wahr ist es doch,
daß die Masse des Adels in der That an das ungeheuerliche
Sprüchwort glaubte, "Polen bestehe durch seine Anarchie"1).
In dieser Unbildung war sie zugänglich für alle, auch die ge-
meinsten Künste der Verführung der Herren, welche neben der
"Protection", trotz all ihres Stolzes es nicht verschmähten,
sich um Popularität bei den "Herren Brüdern" zu bewerben.
Populär aber ward, wer mit dem Massenadel nach dessen
Weise und Geschmack am besten umzugehen verstand, ihm am

1) Bereits Stan. Leszczynski schrieb 1733 in seinem Glos wolny
p.
2: "Wie schwer ist es ... zur guten Ordnung zu mahnen, dort, wo das
Sprüchwort für unfehlbar gilt, daß Polen durch seine Unordnung bestehe;
in Summa, die besten Mittel zur Rettung erweisen sich als vergebliche
dort, wo jeder selbst in seinem eignen Untergange noch Freiheit sieht.
Summa libertas etiam perire volentibus."
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Krieg und ſcheuten ſelbſt nicht, um die Gunſt und Unter-
ſtützung auswärtiger Höfe, ſogar der erklärten Feinde ihres
Vaterlandes zu buhlen, nur um ihre eignen Gegner aus der
Regierung zu vertreiben oder auch denſelben König, dem ſie
ſich unterworfen, Treue und Gehorſam gelobt hatten, ſobald
als möglich wieder vom Thron herabzuſtürzen. „Laſſen wir
es jetzt zu, daß er König wird, aber denken wir ſofort daran,
wie wir ihn wieder vom Thron werfen können.“ Dies Wort,
das der bekannte Biſchof Soltyk zu ſeinen Freunden ſprach,
als die Wahl Stanislaw Poniatowski’s unvermeidlich erſchien,
ſpricht treffend die Stellung aus, die all’ dieſe „Herren“ zur
Krone einnahmen und einzunehmen ſich vollkommen für berech-
tigt hielten.

Als Haupthebel aber für all ihr Thun und Treiben diente
ihnen die Maſſe der Schlachta. Aufgewachſen in der größten
Unwiſſenheit und Unbildung, hatte dieſe Maſſe keine Vorſtel-
lung und Kenntniß weder von der wahren Lage ihres Vater-
landes, noch von deſſen Verhältniſſen zu den Nachbarn in der
Welt, und am wenigſten von den erſten Grundlagen und
Bedingungen einer guten Regierung. Ihr ganzes politiſches
Credo beſtand in den zwei Worten „Freiheit und Glaube“,
und wie unglaublich auch es erſcheint, ſo wahr iſt es doch,
daß die Maſſe des Adels in der That an das ungeheuerliche
Sprüchwort glaubte, „Polen beſtehe durch ſeine Anarchie“1).
In dieſer Unbildung war ſie zugänglich für alle, auch die ge-
meinſten Künſte der Verführung der Herren, welche neben der
„Protection“, trotz all ihres Stolzes es nicht verſchmähten,
ſich um Popularität bei den „Herren Brüdern“ zu bewerben.
Populär aber ward, wer mit dem Maſſenadel nach deſſen
Weiſe und Geſchmack am beſten umzugehen verſtand, ihm am

1) Bereits Stan. Leszczynski ſchrieb 1733 in ſeinem Glos wolny
p.
2: „Wie ſchwer iſt es … zur guten Ordnung zu mahnen, dort, wo das
Sprüchwort für unfehlbar gilt, daß Polen durch ſeine Unordnung beſtehe;
in Summa, die beſten Mittel zur Rettung erweiſen ſich als vergebliche
dort, wo jeder ſelbſt in ſeinem eignen Untergange noch Freiheit ſieht.
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[19/0033] Krieg und ſcheuten ſelbſt nicht, um die Gunſt und Unter- ſtützung auswärtiger Höfe, ſogar der erklärten Feinde ihres Vaterlandes zu buhlen, nur um ihre eignen Gegner aus der Regierung zu vertreiben oder auch denſelben König, dem ſie ſich unterworfen, Treue und Gehorſam gelobt hatten, ſobald als möglich wieder vom Thron herabzuſtürzen. „Laſſen wir es jetzt zu, daß er König wird, aber denken wir ſofort daran, wie wir ihn wieder vom Thron werfen können.“ Dies Wort, das der bekannte Biſchof Soltyk zu ſeinen Freunden ſprach, als die Wahl Stanislaw Poniatowski’s unvermeidlich erſchien, ſpricht treffend die Stellung aus, die all’ dieſe „Herren“ zur Krone einnahmen und einzunehmen ſich vollkommen für berech- tigt hielten. Als Haupthebel aber für all ihr Thun und Treiben diente ihnen die Maſſe der Schlachta. Aufgewachſen in der größten Unwiſſenheit und Unbildung, hatte dieſe Maſſe keine Vorſtel- lung und Kenntniß weder von der wahren Lage ihres Vater- landes, noch von deſſen Verhältniſſen zu den Nachbarn in der Welt, und am wenigſten von den erſten Grundlagen und Bedingungen einer guten Regierung. Ihr ganzes politiſches Credo beſtand in den zwei Worten „Freiheit und Glaube“, und wie unglaublich auch es erſcheint, ſo wahr iſt es doch, daß die Maſſe des Adels in der That an das ungeheuerliche Sprüchwort glaubte, „Polen beſtehe durch ſeine Anarchie“ 1). In dieſer Unbildung war ſie zugänglich für alle, auch die ge- meinſten Künſte der Verführung der Herren, welche neben der „Protection“, trotz all ihres Stolzes es nicht verſchmähten, ſich um Popularität bei den „Herren Brüdern“ zu bewerben. Populär aber ward, wer mit dem Maſſenadel nach deſſen Weiſe und Geſchmack am beſten umzugehen verſtand, ihm am 1) Bereits Stan. Leszczynski ſchrieb 1733 in ſeinem Glos wolny p. 2: „Wie ſchwer iſt es … zur guten Ordnung zu mahnen, dort, wo das Sprüchwort für unfehlbar gilt, daß Polen durch ſeine Unordnung beſtehe; in Summa, die beſten Mittel zur Rettung erweiſen ſich als vergebliche dort, wo jeder ſelbſt in ſeinem eignen Untergange noch Freiheit ſieht. Summa libertas etiam perire volentibus.“ 2*

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/33>, abgerufen am 23.11.2024.