Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.war! Inmitten der Kirchen, in welchen die Versammlungen Nicht viel besser ging es auf den Reichstagen zu. Es fehlte 1) Kitowicz in seiner mitunter cynischen Weise meint: "Die Frei- heit kann ohne das liberum veto eben so wenig bestehen, als der jüdische Osterkuchen (Matz) ohne Christenblut." 2) Auf dem Reichstage von 1746 zog man die Unterschrift der ge- faßten Beschlüsse bis zum Abend des letzten gesetzmäßigen Tages hin. Man brachte, da es dunkel geworden, Licht in den Saal; da aber wurde der Ruf laut: "Wir wollen kein Licht" (nie ma zgody na swiatlo). Vergebens bat der Reichstagsmarschall, man solle durch Beschluß den Reichstag nur bis zum folgenden Morgen verlängern: "Wir wollen kein Licht!" war die Antwort und der Reichstag ging ohne Frucht ausein- ander wegen der Lichter! Szujski l. c. IV, p. 336. 3) Szujski IV, p. 328. 329. Stanislaw Leszczynski schildert
in seinem Glos wolny p. 56 das Treiben auf den Reichstagen mit war! Inmitten der Kirchen, in welchen die Verſammlungen Nicht viel beſſer ging es auf den Reichstagen zu. Es fehlte 1) Kitowicz in ſeiner mitunter cyniſchen Weiſe meint: „Die Frei- heit kann ohne das liberum veto eben ſo wenig beſtehen, als der jüdiſche Oſterkuchen (Matz) ohne Chriſtenblut.“ 2) Auf dem Reichstage von 1746 zog man die Unterſchrift der ge- faßten Beſchlüſſe bis zum Abend des letzten geſetzmäßigen Tages hin. Man brachte, da es dunkel geworden, Licht in den Saal; da aber wurde der Ruf laut: „Wir wollen kein Licht“ (nie ma zgody na swiatlo). Vergebens bat der Reichstagsmarſchall, man ſolle durch Beſchluß den Reichstag nur bis zum folgenden Morgen verlängern: „Wir wollen kein Licht!“ war die Antwort und der Reichstag ging ohne Frucht ausein- ander wegen der Lichter! Szujski l. c. IV, p. 336. 3) Szujski IV, p. 328. 329. Stanislaw Leszczynski ſchildert
in ſeinem Glos wolny p. 56 das Treiben auf den Reichstagen mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0035" n="21"/> war! Inmitten der Kirchen, in welchen die Verſammlungen<lb/> gehalten zu werden pflegten, ſpielten dieſe tumultuariſchen<lb/> Scenen; ſelten ging ein Landtag ohne Blutvergießen vorüber,<lb/> und man erachtete es für einen ruhigen Verlauf eines ſolchen,<lb/> wenn nur zwei bis drei Edelleute in Folge der faſt allgemeinen<lb/> Trunkenheit und der aus ihr entſpringenden Händel dabei ihr<lb/> Leben verloren.</p><lb/> <p>Nicht viel beſſer ging es auf den Reichstagen zu. Es fehlte<lb/> faſt nie an Landboten, welche, ſei es aus Eigenſinn und<lb/> Rechthaberei, ſei es im Dienſt von „Herren“ oder auch ſelbſt<lb/> der Krone, ſei es von den Geſandten auswärtiger Höfe be-<lb/> ſtochen, die Reichstage durch das ihnen zuſtehende <hi rendition="#aq">liberum veto</hi><lb/> — der „Augenſtern“ der Freiheit genannt<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Kitowicz</hi> in ſeiner mitunter cyniſchen Weiſe meint: „Die Frei-<lb/> heit kann ohne das <hi rendition="#aq">liberum veto</hi> eben ſo wenig beſtehen, als der jüdiſche<lb/> Oſterkuchen (Matz) ohne Chriſtenblut.“</note> — zerriſſen.<lb/> Von den 18 Reichstagen, welche 1717—1733 gehalten wurden,<lb/> ſind 11 geſprengt worden; 5 kamen zu Stande; 2 blieben un-<lb/> fruchtbar, weil die geſetzmäßige Friſt ihrer Dauer abgelaufen<lb/> war<note place="foot" n="2)">Auf dem Reichstage von 1746 zog man die Unterſchrift der ge-<lb/> faßten Beſchlüſſe bis zum Abend des letzten geſetzmäßigen Tages hin.<lb/> Man brachte, da es dunkel geworden, Licht in den Saal; da aber<lb/> wurde der Ruf laut: „Wir wollen kein Licht“ <hi rendition="#aq">(nie ma zgody na<lb/> swiatlo).</hi> Vergebens bat der Reichstagsmarſchall, man ſolle durch Beſchluß<lb/> den Reichstag nur bis zum folgenden Morgen verlängern: „Wir wollen<lb/> kein Licht!“ war die Antwort und der Reichstag ging ohne Frucht ausein-<lb/> ander wegen der Lichter! <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Szujski</hi> l. c. IV, p.</hi> 336.</note>. Es wurde geradezu zur Gewohnheit, die Beſchlüſſe<lb/> abſichtlich bis zur letzten Stunde zu verzögern. Selbſt die ge-<lb/> waltſamſten Auftritte fehlten nicht. „Die Reichstage waren die<lb/> ſtürmiſchſten Verſammlungen, in welche ſich die Haiducken der<lb/> ‚Herren‘ eindrängten, die Zuſchauer die Landboten von ihren<lb/> Seſſeln warfen und, mit einem Wort, auf welchen der erſte<lb/> beſte Händelmacher oder Erkaufte der ganzen Republik Hohn<lb/> ſprach“<note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="3)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Szujski</hi> IV, p.</hi> 328. 329. <hi rendition="#g">Stanislaw Leszczynski</hi> ſchildert<lb/> in ſeinem <hi rendition="#aq">Glos wolny p.</hi> 56 das Treiben auf den Reichstagen mit</note>.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [21/0035]
war! Inmitten der Kirchen, in welchen die Verſammlungen
gehalten zu werden pflegten, ſpielten dieſe tumultuariſchen
Scenen; ſelten ging ein Landtag ohne Blutvergießen vorüber,
und man erachtete es für einen ruhigen Verlauf eines ſolchen,
wenn nur zwei bis drei Edelleute in Folge der faſt allgemeinen
Trunkenheit und der aus ihr entſpringenden Händel dabei ihr
Leben verloren.
Nicht viel beſſer ging es auf den Reichstagen zu. Es fehlte
faſt nie an Landboten, welche, ſei es aus Eigenſinn und
Rechthaberei, ſei es im Dienſt von „Herren“ oder auch ſelbſt
der Krone, ſei es von den Geſandten auswärtiger Höfe be-
ſtochen, die Reichstage durch das ihnen zuſtehende liberum veto
— der „Augenſtern“ der Freiheit genannt 1) — zerriſſen.
Von den 18 Reichstagen, welche 1717—1733 gehalten wurden,
ſind 11 geſprengt worden; 5 kamen zu Stande; 2 blieben un-
fruchtbar, weil die geſetzmäßige Friſt ihrer Dauer abgelaufen
war 2). Es wurde geradezu zur Gewohnheit, die Beſchlüſſe
abſichtlich bis zur letzten Stunde zu verzögern. Selbſt die ge-
waltſamſten Auftritte fehlten nicht. „Die Reichstage waren die
ſtürmiſchſten Verſammlungen, in welche ſich die Haiducken der
‚Herren‘ eindrängten, die Zuſchauer die Landboten von ihren
Seſſeln warfen und, mit einem Wort, auf welchen der erſte
beſte Händelmacher oder Erkaufte der ganzen Republik Hohn
ſprach“ 3).
1) Kitowicz in ſeiner mitunter cyniſchen Weiſe meint: „Die Frei-
heit kann ohne das liberum veto eben ſo wenig beſtehen, als der jüdiſche
Oſterkuchen (Matz) ohne Chriſtenblut.“
2) Auf dem Reichstage von 1746 zog man die Unterſchrift der ge-
faßten Beſchlüſſe bis zum Abend des letzten geſetzmäßigen Tages hin.
Man brachte, da es dunkel geworden, Licht in den Saal; da aber
wurde der Ruf laut: „Wir wollen kein Licht“ (nie ma zgody na
swiatlo). Vergebens bat der Reichstagsmarſchall, man ſolle durch Beſchluß
den Reichstag nur bis zum folgenden Morgen verlängern: „Wir wollen
kein Licht!“ war die Antwort und der Reichstag ging ohne Frucht ausein-
ander wegen der Lichter! Szujski l. c. IV, p. 336.
3) Szujski IV, p. 328. 329. Stanislaw Leszczynski ſchildert
in ſeinem Glos wolny p. 56 das Treiben auf den Reichstagen mit
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