Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.Und heftiger, leidenschaftlicher noch als bei den Wahlen den Worten: "Wenn ich ein Bild von unsern Berathungen geben soll, kann ich sie nicht besser vergleichen als mit einer ausgezeichneten, aus den besten Musikanten zusammengesetzten Kapelle, in welcher aber jeder auf ungestimmten Instrumenten eine andere Note oder Melodie statt einer lieblichen Harmonie spielt und die Zuhörer aufs unangenehmste betäubt. Keiner, der in unsere Berathungen, ihrer ungewohnt, hinein- tritt, kann auf den Gedanken kommen, daß hier agitur de sorte des Kö- nigreiches; denn er findet weder die ehrfurchtgebietende Haltung, welche solche ansehnliche Versammlung zu bewahren verpflichtet ist, noch Auf- merksamkeit auf kluge und nützliche Rathschläge, noch eine Berücksichti- gung der gefährlichen Zeitläufe, welche von allen Seiten premunt, obwohl das Vaterland seine Schmerzenswunden offen zur Schau trägt. Wir aber, statt sie zu heilen machen sie nur noch schlimmer, so sehr, daß man berechtigt ist, über uns Wehe zu rufen und auf uns das Wort anzuwenden: heu patior telis vulnera facta meis." 1) Staczic in seinen Uwagi nad zyciem J. Zamoyskiego (Be-
trachtungen über das Leben J. Z. 1785) erwähnt als bekannte polnische Sprüchwörter: "Unordnungen wie im Tribunal" und "Der Richter betrinkt sich" p. 57 der Krakauer Ausgabe von 1861. Stanislaw Poniatowski, Pam., p. 68: "Nirgends in Polen wurden so viele Bück- linge gemacht und so viel getrunken, als (beim Tribunal) in Radom." Und heftiger, leidenſchaftlicher noch als bei den Wahlen den Worten: „Wenn ich ein Bild von unſern Berathungen geben ſoll, kann ich ſie nicht beſſer vergleichen als mit einer ausgezeichneten, aus den beſten Muſikanten zuſammengeſetzten Kapelle, in welcher aber jeder auf ungeſtimmten Inſtrumenten eine andere Note oder Melodie ſtatt einer lieblichen Harmonie ſpielt und die Zuhörer aufs unangenehmſte betäubt. Keiner, der in unſere Berathungen, ihrer ungewohnt, hinein- tritt, kann auf den Gedanken kommen, daß hier agitur de sorte des Kö- nigreiches; denn er findet weder die ehrfurchtgebietende Haltung, welche ſolche anſehnliche Verſammlung zu bewahren verpflichtet iſt, noch Auf- merkſamkeit auf kluge und nützliche Rathſchläge, noch eine Berückſichti- gung der gefährlichen Zeitläufe, welche von allen Seiten premunt, obwohl das Vaterland ſeine Schmerzenswunden offen zur Schau trägt. Wir aber, ſtatt ſie zu heilen machen ſie nur noch ſchlimmer, ſo ſehr, daß man berechtigt iſt, über uns Wehe zu rufen und auf uns das Wort anzuwenden: heu patior telis vulnera facta meis.“ 1) Staczić in ſeinen Uwagi nad źyciem J. Zamoyskiego (Be-
trachtungen über das Leben J. Z. 1785) erwähnt als bekannte polniſche Sprüchwörter: „Unordnungen wie im Tribunal“ und „Der Richter betrinkt ſich“ p. 57 der Krakauer Ausgabe von 1861. Stanislaw Poniatowski, Pam., p. 68: „Nirgends in Polen wurden ſo viele Bück- linge gemacht und ſo viel getrunken, als (beim Tribunal) in Radom.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0036" n="22"/> <p>Und heftiger, leidenſchaftlicher noch als bei den Wahlen<lb/> der Landboten und auf dem Reichstage ſelbſt, geſtaltete ſich der<lb/> Kampf der Partheien bei der alljährlich wiederkehrenden Er-<lb/> neuerung der höchſten Reichsgerichte, der Tribunale, deren<lb/> Richter, wie ſchon bemerkt, gleichfalls auf dem Landtage ge-<lb/> wählt wurden. Denn dieſe Wahlen hatten für die „Herren“<lb/> und deren Clienten nicht nur, ſondern auch für den geſamten Adel in-<lb/> ſofern noch eine ganz andre Bedeutung, als die Entſcheidung zahlloſer<lb/> Proceſſe über „Mein und Dein“ durchſchnittlich von ihrem Ausfall<lb/> abhing. Welche Parthei in dieſen Wahlen die Majorität gewann, be-<lb/> kam durch ihren Sieg eine Waffe in die Hand, durch welche ſie unter<lb/> dem Scheine des Rechts ihre politiſchen wie perſönlichen Gegner<lb/> und all deren Anhänger nach jeder Richtung hin ſchädigen, ja<lb/> bisweilen ſie in ihrem ganzen Beſitz und Wohlſtand zu Grunde<lb/> richten konnte. Denn dieſe Gerichte waren ſchon lange durch<lb/> und durch corrumpirt. Nicht allein die größte Unord-<lb/> nung im Geſchäftsbetriebe und die größte Trunkſucht waren<lb/> bei ihnen herkömmlich<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Staczić</hi> in ſeinen <hi rendition="#aq">Uwagi nad źyciem J. Zamoyskiego</hi> (Be-<lb/> trachtungen über das Leben J. Z. 1785) erwähnt als bekannte<lb/> polniſche Sprüchwörter: „Unordnungen wie im Tribunal“ und „Der Richter<lb/> betrinkt ſich“ <hi rendition="#aq">p.</hi> 57 der Krakauer Ausgabe von 1861. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Stanislaw<lb/> Poniatowski</hi>, Pam., p.</hi> 68: „Nirgends in Polen wurden ſo viele Bück-<lb/> linge gemacht und ſo viel getrunken, als (beim Tribunal) in Radom.“</note>, ſie ſprachen überhaupt nicht mehr nach<lb/><note xml:id="seg2pn_4_2" prev="#seg2pn_4_1" place="foot" n="3)">den Worten: „Wenn ich ein Bild von unſern Berathungen geben<lb/> ſoll, kann ich ſie nicht beſſer vergleichen als mit einer ausgezeichneten,<lb/> aus den beſten Muſikanten zuſammengeſetzten Kapelle, in welcher aber<lb/> jeder auf ungeſtimmten Inſtrumenten eine andere Note oder Melodie ſtatt<lb/> einer lieblichen Harmonie ſpielt und die Zuhörer aufs unangenehmſte<lb/> betäubt. Keiner, der in unſere Berathungen, ihrer ungewohnt, hinein-<lb/> tritt, kann auf den Gedanken kommen, daß hier <hi rendition="#aq">agitur de sorte</hi> des Kö-<lb/> nigreiches; denn er findet weder die ehrfurchtgebietende Haltung, welche<lb/> ſolche anſehnliche Verſammlung zu bewahren verpflichtet iſt, noch Auf-<lb/> merkſamkeit auf kluge und nützliche Rathſchläge, noch eine Berückſichti-<lb/> gung der gefährlichen Zeitläufe, welche von allen Seiten <hi rendition="#aq">premunt,</hi> obwohl<lb/> das Vaterland ſeine Schmerzenswunden offen zur Schau trägt. Wir aber,<lb/> ſtatt ſie zu heilen machen ſie nur noch ſchlimmer, ſo ſehr, daß man berechtigt<lb/> iſt, über uns Wehe zu rufen und auf uns das Wort anzuwenden: <hi rendition="#aq">heu<lb/> patior telis vulnera facta meis.</hi>“</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [22/0036]
Und heftiger, leidenſchaftlicher noch als bei den Wahlen
der Landboten und auf dem Reichstage ſelbſt, geſtaltete ſich der
Kampf der Partheien bei der alljährlich wiederkehrenden Er-
neuerung der höchſten Reichsgerichte, der Tribunale, deren
Richter, wie ſchon bemerkt, gleichfalls auf dem Landtage ge-
wählt wurden. Denn dieſe Wahlen hatten für die „Herren“
und deren Clienten nicht nur, ſondern auch für den geſamten Adel in-
ſofern noch eine ganz andre Bedeutung, als die Entſcheidung zahlloſer
Proceſſe über „Mein und Dein“ durchſchnittlich von ihrem Ausfall
abhing. Welche Parthei in dieſen Wahlen die Majorität gewann, be-
kam durch ihren Sieg eine Waffe in die Hand, durch welche ſie unter
dem Scheine des Rechts ihre politiſchen wie perſönlichen Gegner
und all deren Anhänger nach jeder Richtung hin ſchädigen, ja
bisweilen ſie in ihrem ganzen Beſitz und Wohlſtand zu Grunde
richten konnte. Denn dieſe Gerichte waren ſchon lange durch
und durch corrumpirt. Nicht allein die größte Unord-
nung im Geſchäftsbetriebe und die größte Trunkſucht waren
bei ihnen herkömmlich 1), ſie ſprachen überhaupt nicht mehr nach
3)
1) Staczić in ſeinen Uwagi nad źyciem J. Zamoyskiego (Be-
trachtungen über das Leben J. Z. 1785) erwähnt als bekannte
polniſche Sprüchwörter: „Unordnungen wie im Tribunal“ und „Der Richter
betrinkt ſich“ p. 57 der Krakauer Ausgabe von 1861. Stanislaw
Poniatowski, Pam., p. 68: „Nirgends in Polen wurden ſo viele Bück-
linge gemacht und ſo viel getrunken, als (beim Tribunal) in Radom.“
3) den Worten: „Wenn ich ein Bild von unſern Berathungen geben
ſoll, kann ich ſie nicht beſſer vergleichen als mit einer ausgezeichneten,
aus den beſten Muſikanten zuſammengeſetzten Kapelle, in welcher aber
jeder auf ungeſtimmten Inſtrumenten eine andere Note oder Melodie ſtatt
einer lieblichen Harmonie ſpielt und die Zuhörer aufs unangenehmſte
betäubt. Keiner, der in unſere Berathungen, ihrer ungewohnt, hinein-
tritt, kann auf den Gedanken kommen, daß hier agitur de sorte des Kö-
nigreiches; denn er findet weder die ehrfurchtgebietende Haltung, welche
ſolche anſehnliche Verſammlung zu bewahren verpflichtet iſt, noch Auf-
merkſamkeit auf kluge und nützliche Rathſchläge, noch eine Berückſichti-
gung der gefährlichen Zeitläufe, welche von allen Seiten premunt, obwohl
das Vaterland ſeine Schmerzenswunden offen zur Schau trägt. Wir aber,
ſtatt ſie zu heilen machen ſie nur noch ſchlimmer, ſo ſehr, daß man berechtigt
iſt, über uns Wehe zu rufen und auf uns das Wort anzuwenden: heu
patior telis vulnera facta meis.“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |