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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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wird bei Sühnungen geopfert 1). Alles bezieht sich hier auf
das Seelenreich und seine Bewohner.

Das delphische Orakel aber war es, das über der Aus-
führung der Reinigung und Sühnung bei Mordfällen wachte.
Die Nothwendigkeit solcher Begehungen wurde eingeprägt durch
die vorbildliche Sage von Flucht und Reinigung des Apollo
selbst nach der Tödtung des Erdgeistes zu Pytho, die eben-
dort in geregelter Wiederkehr alle acht Jahre in symbolischem
Spiele dargestellt wurde 2). In Delphi reinigt auch, nach der
Dichtung des Aeschylos, Apollo selbst den Orest vom Mutter-
morde 3). In Athen war eine der ältesten Sühnungsstätten
nach einem Beinamen des Apollo benannt, das Delphinion 4).
Oft mag auf Anfragen das Orakel befohlen haben, wie die
Heroenseelen so auch die zürnenden Seelen ermordeter, nicht
heroisirter Männer zu versöhnen durch heilige Sühnopfer: wie es
dazu die Mörder des Archilochos, des spartanischen Königs Pau-
sanias anwies 5). -- Die Sühnungsgebräuche gehören nicht dem
apollinischen Culte als Eigenbesitz an, sie sind anderen, zumeist
chthonischen Göttern geweiht; aber das apollinische Orakel be-
stätigte ihre Heiligkeit. In Athen waren die unter Mitwirkung
des delphischen Orakels bestellten Exegeten die Verwalter

1) So in der Schilderung des ilasmos der Medea durch Kirke bei
Apollon. Rhod. Argon. 4, 712 ff.
2) K. O. Müller, Dorier 1, 204. 322. -- Derselbe alte Brauch
neunjähriger Flucht und Busse für Menschentödtung in der Legende
und dem Cult des Zeus Lykaios: vgl. H. D. Müller, Mythol. d. gr.
St.
2, 105.
3) Choeph. 1055 -- 1060. Eumen. 237 ff. 281 ff. 445 ff. 470.
4) Das Delphinion, die Gerichtsstätte für phonos dikaios, der alte
Wohnplatz des Aegeus (Plut. Thes. 12) war zugleich (und wohl ursprüng-
lich) eine Entsühnungsstätte: Theseus liess sich dort von seinen Blut-
thaten an den Pallantiden und den Wegelagerern entsühnen (aphosioumenos
to agos Pollux 8, 119).
5) Plutarch. de sera num. vind. 17 p. 560 E. F. Man beachte die
Ausdrücke: ilasasthai ten tou Arkhilokhou psukhen, ilasasthai ten Pau-
saniou psukhen. Suidas s. Arkhilokhos, aus Aelian: meilixasthai ten tou
Telesikleiou paidos psukhen, kai praunai khoais.

wird bei Sühnungen geopfert 1). Alles bezieht sich hier auf
das Seelenreich und seine Bewohner.

Das delphische Orakel aber war es, das über der Aus-
führung der Reinigung und Sühnung bei Mordfällen wachte.
Die Nothwendigkeit solcher Begehungen wurde eingeprägt durch
die vorbildliche Sage von Flucht und Reinigung des Apollo
selbst nach der Tödtung des Erdgeistes zu Pytho, die eben-
dort in geregelter Wiederkehr alle acht Jahre in symbolischem
Spiele dargestellt wurde 2). In Delphi reinigt auch, nach der
Dichtung des Aeschylos, Apollo selbst den Orest vom Mutter-
morde 3). In Athen war eine der ältesten Sühnungsstätten
nach einem Beinamen des Apollo benannt, das Delphinion 4).
Oft mag auf Anfragen das Orakel befohlen haben, wie die
Heroenseelen so auch die zürnenden Seelen ermordeter, nicht
heroisirter Männer zu versöhnen durch heilige Sühnopfer: wie es
dazu die Mörder des Archilochos, des spartanischen Königs Pau-
sanias anwies 5). — Die Sühnungsgebräuche gehören nicht dem
apollinischen Culte als Eigenbesitz an, sie sind anderen, zumeist
chthonischen Göttern geweiht; aber das apollinische Orakel be-
stätigte ihre Heiligkeit. In Athen waren die unter Mitwirkung
des delphischen Orakels bestellten Exegeten die Verwalter

1) So in der Schilderung des ἱλασμός der Medea durch Kirke bei
Apollon. Rhod. Argon. 4, 712 ff.
2) K. O. Müller, Dorier 1, 204. 322. — Derselbe alte Brauch
neunjähriger Flucht und Busse für Menschentödtung in der Legende
und dem Cult des Zeus Lykaios: vgl. H. D. Müller, Mythol. d. gr.
St.
2, 105.
3) Choeph. 1055 — 1060. Eumen. 237 ff. 281 ff. 445 ff. 470.
4) Das Delphinion, die Gerichtsstätte für φόνος δίκαιος, der alte
Wohnplatz des Aegeus (Plut. Thes. 12) war zugleich (und wohl ursprüng-
lich) eine Entsühnungsstätte: Theseus liess sich dort von seinen Blut-
thaten an den Pallantiden und den Wegelagerern entsühnen (ἀφοσιούμενος
τὸ ἄγος Pollux 8, 119).
5) Plutarch. de sera num. vind. 17 p. 560 E. F. Man beachte die
Ausdrücke: ἱλάσασϑαι τὴν τοῦ Ἀρχιλόχου ψυχήν, ἱλάσασϑαι τὴν Παυ-
σανίου ψυχήν. Suidas s. Ἀρχίλοχος, aus Aelian: μειλίξασϑαι τὴν τοῦ
Τελεσικλείου παιδὸς ψυχήν, καὶ πραῧναι χοαῖς.
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[250/0266] wird bei Sühnungen geopfert 1). Alles bezieht sich hier auf das Seelenreich und seine Bewohner. Das delphische Orakel aber war es, das über der Aus- führung der Reinigung und Sühnung bei Mordfällen wachte. Die Nothwendigkeit solcher Begehungen wurde eingeprägt durch die vorbildliche Sage von Flucht und Reinigung des Apollo selbst nach der Tödtung des Erdgeistes zu Pytho, die eben- dort in geregelter Wiederkehr alle acht Jahre in symbolischem Spiele dargestellt wurde 2). In Delphi reinigt auch, nach der Dichtung des Aeschylos, Apollo selbst den Orest vom Mutter- morde 3). In Athen war eine der ältesten Sühnungsstätten nach einem Beinamen des Apollo benannt, das Delphinion 4). Oft mag auf Anfragen das Orakel befohlen haben, wie die Heroenseelen so auch die zürnenden Seelen ermordeter, nicht heroisirter Männer zu versöhnen durch heilige Sühnopfer: wie es dazu die Mörder des Archilochos, des spartanischen Königs Pau- sanias anwies 5). — Die Sühnungsgebräuche gehören nicht dem apollinischen Culte als Eigenbesitz an, sie sind anderen, zumeist chthonischen Göttern geweiht; aber das apollinische Orakel be- stätigte ihre Heiligkeit. In Athen waren die unter Mitwirkung des delphischen Orakels bestellten Exegeten die Verwalter 1) So in der Schilderung des ἱλασμός der Medea durch Kirke bei Apollon. Rhod. Argon. 4, 712 ff. 2) K. O. Müller, Dorier 1, 204. 322. — Derselbe alte Brauch neunjähriger Flucht und Busse für Menschentödtung in der Legende und dem Cult des Zeus Lykaios: vgl. H. D. Müller, Mythol. d. gr. St. 2, 105. 3) Choeph. 1055 — 1060. Eumen. 237 ff. 281 ff. 445 ff. 470. 4) Das Delphinion, die Gerichtsstätte für φόνος δίκαιος, der alte Wohnplatz des Aegeus (Plut. Thes. 12) war zugleich (und wohl ursprüng- lich) eine Entsühnungsstätte: Theseus liess sich dort von seinen Blut- thaten an den Pallantiden und den Wegelagerern entsühnen (ἀφοσιούμενος τὸ ἄγος Pollux 8, 119). 5) Plutarch. de sera num. vind. 17 p. 560 E. F. Man beachte die Ausdrücke: ἱλάσασϑαι τὴν τοῦ Ἀρχιλόχου ψυχήν, ἱλάσασϑαι τὴν Παυ- σανίου ψυχήν. Suidas s. Ἀρχίλοχος, aus Aelian: μειλίξασϑαι τὴν τοῦ Τελεσικλείου παιδὸς ψυχήν, καὶ πραῧναι χοαῖς.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/266>, abgerufen am 24.11.2024.