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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Von Manieren u. Stellungen des Leibes.
beflissen, und ihre Unwissenheit in diesem oder jenem
anfrichtig bekennten, biß sie es nach und nach durch
guten Unterricht, fleißige Ubung und vernünfftige
Nachahmung in den Manieren weiter brächten.
Leute, die in der Welt gewesen, wissen das natürli-
che von dem gezwungenen und affectirten Wesen,
gar zu wohl zu unterscheiden. Vernünfftige Hof-
Leute, und wenn sie auch selbst noch so manierlich,
und die grösten Ceremonien-Meister wären, ver-
langen von einem jungen Menschen doch nicht mehr
Manieren, als er fähig gewesen, seinen Jahren und
den Umständen nach, darinnen er sich befunden, zu
erlernen.

§. 11. Erwehlen sich einige gar zu ihrer Nach-
ahmung schlimme Muster, so ist es noch ärger. Es
sagt Faramond in seinen Discoursen über die Sit-
ten der gegenwärtigen Zeit p. 146. sehr wohl, wenn
er schreibt: es ist nichts, wodurch sehr vielen jungen
Leuten, ob sie auch schon guten Verstand und Ge-
schicklichkeit haben, ihr Vorhaben mißlinget, als
wenn sie den bösen Mustern auf eine knechtische
Art nachahmen. Sie äffen insgemein den be-
rühmten Männern in gewissen Dingen nach, weil
sie diese Dinge aus Mangel der Erfahrung und ge-
nugsamer Einsicht unrechtmäßiger Weise vor die
Qvelle und vor die Ursache derjenigen Lobes-Er-
hebung ansehen, die man solchen berühmten Män-
nern häufig ertheilt.

§. 12. Die Menschen bleiben gar selten auf der
Mittel-Strasse, sondern fallen von einem lasterhaff-

ten

Von Manieren u. Stellungen des Leibes.
befliſſen, und ihre Unwiſſenheit in dieſem oder jenem
anfrichtig bekennten, biß ſie es nach und nach durch
guten Unterricht, fleißige Ubung und vernuͤnfftige
Nachahmung in den Manieren weiter braͤchten.
Leute, die in der Welt geweſen, wiſſen das natuͤrli-
che von dem gezwungenen und affectirten Weſen,
gar zu wohl zu unterſcheiden. Vernuͤnfftige Hof-
Leute, und wenn ſie auch ſelbſt noch ſo manierlich,
und die groͤſten Ceremonien-Meiſter waͤren, ver-
langen von einem jungen Menſchen doch nicht mehr
Manieren, als er faͤhig geweſen, ſeinen Jahren und
den Umſtaͤnden nach, darinnen er ſich befunden, zu
erlernen.

§. 11. Erwehlen ſich einige gar zu ihrer Nach-
ahmung ſchlimme Muſter, ſo iſt es noch aͤrger. Es
ſagt Faramond in ſeinen Diſcourſen uͤber die Sit-
ten der gegenwaͤrtigen Zeit p. 146. ſehr wohl, wenn
er ſchreibt: es iſt nichts, wodurch ſehr vielen jungen
Leuten, ob ſie auch ſchon guten Verſtand und Ge-
ſchicklichkeit haben, ihr Vorhaben mißlinget, als
wenn ſie den boͤſen Muſtern auf eine knechtiſche
Art nachahmen. Sie aͤffen insgemein den be-
ruͤhmten Maͤnnern in gewiſſen Dingen nach, weil
ſie dieſe Dinge aus Mangel der Erfahrung und ge-
nugſamer Einſicht unrechtmaͤßiger Weiſe vor die
Qvelle und vor die Urſache derjenigen Lobes-Er-
hebung anſehen, die man ſolchen beruͤhmten Maͤn-
nern haͤufig ertheilt.

§. 12. Die Menſchen bleiben gar ſelten auf der
Mittel-Straſſe, ſondern fallen von einem laſterhaff-

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[187/0207] Von Manieren u. Stellungen des Leibes. befliſſen, und ihre Unwiſſenheit in dieſem oder jenem anfrichtig bekennten, biß ſie es nach und nach durch guten Unterricht, fleißige Ubung und vernuͤnfftige Nachahmung in den Manieren weiter braͤchten. Leute, die in der Welt geweſen, wiſſen das natuͤrli- che von dem gezwungenen und affectirten Weſen, gar zu wohl zu unterſcheiden. Vernuͤnfftige Hof- Leute, und wenn ſie auch ſelbſt noch ſo manierlich, und die groͤſten Ceremonien-Meiſter waͤren, ver- langen von einem jungen Menſchen doch nicht mehr Manieren, als er faͤhig geweſen, ſeinen Jahren und den Umſtaͤnden nach, darinnen er ſich befunden, zu erlernen. §. 11. Erwehlen ſich einige gar zu ihrer Nach- ahmung ſchlimme Muſter, ſo iſt es noch aͤrger. Es ſagt Faramond in ſeinen Diſcourſen uͤber die Sit- ten der gegenwaͤrtigen Zeit p. 146. ſehr wohl, wenn er ſchreibt: es iſt nichts, wodurch ſehr vielen jungen Leuten, ob ſie auch ſchon guten Verſtand und Ge- ſchicklichkeit haben, ihr Vorhaben mißlinget, als wenn ſie den boͤſen Muſtern auf eine knechtiſche Art nachahmen. Sie aͤffen insgemein den be- ruͤhmten Maͤnnern in gewiſſen Dingen nach, weil ſie dieſe Dinge aus Mangel der Erfahrung und ge- nugſamer Einſicht unrechtmaͤßiger Weiſe vor die Qvelle und vor die Urſache derjenigen Lobes-Er- hebung anſehen, die man ſolchen beruͤhmten Maͤn- nern haͤufig ertheilt. §. 12. Die Menſchen bleiben gar ſelten auf der Mittel-Straſſe, ſondern fallen von einem laſterhaff- ten

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/207>, abgerufen am 21.11.2024.