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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. VIII. Capitul.
chen Sarge eine Stand-Rede halten; bald im
Nahmen eines Collegii einer Herrschafft, an ih-
rem Geburths-Tage, Nahmens-Tage, u. s. w.
einen Glücks-Wunsch abstatten; bald statt eines
Pagen, der wehrhafft gemacht wird, sich bedancken.
Und also verbessert und erweitert er seine natürliche
Beredsamkeit, durch die Regeln der Kunst, so weit
ihm nöthig ist.

§. 19. Die Poesie ist heutiges Tages an vielen
Fürstlichen Höfen in grosse Verachtung kommen,
davon dieses die Haupt-Raison ist, die der berühmte
Benjamin Neukirch in einem seiner Gedichte giebt:
Weil die ungestimmten Flöthen so viel hungriger
Poeten fast auf allen Gassen (hier aber werd ich sa-
gen, fast an allen Höfen) schreyen, und dennoch mit
ihrem Klingen kaum ein hartes Lied erzwingen
Nachdem aber, dem ungeachtet, hohe Standes-
Personen und vernünfftige Hof-Leute einen wohl-
bedächtigen Unterschied zu machen wissen, wenn ein
Bettler, aus einer eigennützigen Absicht, einen Bo-
gen voll Reime hinschmiert oder ausschreibet, und
wenn ein Cavalier, oder sonst ein treuer Diener
bürgerlichen Standes, zu Bezeigung seiner unter-
thänigsten Pflicht-Schuldigkeit, ein wohlgemeyn-
tes Carmen aufsetzt. Bey der Poesie hat ein Hof-
Mann zu beurtheilen, ob seine Herrschafft über-
haupt ein Liebhaber davon sey, oder nicht? inglei-
chen, ob er selbst, ohne fremde Beyhülffe, und, ohne
seine Zuflucht zu den Büchern zu nehmen, etwas
tüchtiges zu Marckte bringen könne? Jst die Poesie

bey

I. Theil. VIII. Capitul.
chen Sarge eine Stand-Rede halten; bald im
Nahmen eines Collegii einer Herrſchafft, an ih-
rem Geburths-Tage, Nahmens-Tage, u. ſ. w.
einen Gluͤcks-Wunſch abſtatten; bald ſtatt eines
Pagen, der wehrhafft gemacht wird, ſich bedancken.
Und alſo verbeſſert und erweitert er ſeine natuͤrliche
Beredſamkeit, durch die Regeln der Kunſt, ſo weit
ihm noͤthig iſt.

§. 19. Die Poëſie iſt heutiges Tages an vielen
Fuͤrſtlichen Hoͤfen in groſſe Verachtung kommen,
davon dieſes die Haupt-Raiſon iſt, die der beruͤhmte
Benjamin Neukirch in einem ſeiner Gedichte giebt:
Weil die ungeſtimmten Floͤthen ſo viel hungriger
Poeten faſt auf allen Gaſſen (hier aber werd ich ſa-
gen, faſt an allen Hoͤfen) ſchreyen, und dennoch mit
ihrem Klingen kaum ein hartes Lied erzwingen
Nachdem aber, dem ungeachtet, hohe Standes-
Perſonen und vernuͤnfftige Hof-Leute einen wohl-
bedaͤchtigen Unterſchied zu machen wiſſen, wenn ein
Bettler, aus einer eigennuͤtzigen Abſicht, einen Bo-
gen voll Reime hinſchmiert oder ausſchreibet, und
wenn ein Cavalier, oder ſonſt ein treuer Diener
buͤrgerlichen Standes, zu Bezeigung ſeiner unter-
thaͤnigſten Pflicht-Schuldigkeit, ein wohlgemeyn-
tes Carmen aufſetzt. Bey der Poëſie hat ein Hof-
Mann zu beurtheilen, ob ſeine Herrſchafft uͤber-
haupt ein Liebhaber davon ſey, oder nicht? inglei-
chen, ob er ſelbſt, ohne fremde Beyhuͤlffe, und, ohne
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tuͤchtiges zu Marckte bringen koͤnne? Jſt die Poëſie

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[236/0256] I. Theil. VIII. Capitul. chen Sarge eine Stand-Rede halten; bald im Nahmen eines Collegii einer Herrſchafft, an ih- rem Geburths-Tage, Nahmens-Tage, u. ſ. w. einen Gluͤcks-Wunſch abſtatten; bald ſtatt eines Pagen, der wehrhafft gemacht wird, ſich bedancken. Und alſo verbeſſert und erweitert er ſeine natuͤrliche Beredſamkeit, durch die Regeln der Kunſt, ſo weit ihm noͤthig iſt. §. 19. Die Poëſie iſt heutiges Tages an vielen Fuͤrſtlichen Hoͤfen in groſſe Verachtung kommen, davon dieſes die Haupt-Raiſon iſt, die der beruͤhmte Benjamin Neukirch in einem ſeiner Gedichte giebt: Weil die ungeſtimmten Floͤthen ſo viel hungriger Poeten faſt auf allen Gaſſen (hier aber werd ich ſa- gen, faſt an allen Hoͤfen) ſchreyen, und dennoch mit ihrem Klingen kaum ein hartes Lied erzwingen Nachdem aber, dem ungeachtet, hohe Standes- Perſonen und vernuͤnfftige Hof-Leute einen wohl- bedaͤchtigen Unterſchied zu machen wiſſen, wenn ein Bettler, aus einer eigennuͤtzigen Abſicht, einen Bo- gen voll Reime hinſchmiert oder ausſchreibet, und wenn ein Cavalier, oder ſonſt ein treuer Diener buͤrgerlichen Standes, zu Bezeigung ſeiner unter- thaͤnigſten Pflicht-Schuldigkeit, ein wohlgemeyn- tes Carmen aufſetzt. Bey der Poëſie hat ein Hof- Mann zu beurtheilen, ob ſeine Herrſchafft uͤber- haupt ein Liebhaber davon ſey, oder nicht? inglei- chen, ob er ſelbſt, ohne fremde Beyhuͤlffe, und, ohne ſeine Zuflucht zu den Buͤchern zu nehmen, etwas tuͤchtiges zu Marckte bringen koͤnne? Jſt die Poëſie bey

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/256>, abgerufen am 21.11.2024.