bey Hofe nicht angenehm, oder die Herrschafft weiß, daß die poetischen Gedancken aus eines andern Ge- hirne herkommen, so bleibe der Hof-Mann mit sei- nen Versen lieber zu Hause. Er muß nicht allein der Herrschafft etwas bessers zu lesen geben, als sie sonst von andern Leuten bey dergleichen Fällen zu lesen gewohnt, sondern sich auch mit seiner Poesie etwas rar machen. Denn sonst, wo er sich alle Nahmens- und Geburths-Täge damit einstellet, macht er sich und seine Carmina zu gemein.
§. 20. Hat es nun ein Hof-Mann in der Ge- lehrsamkeit und Wissenschafft überhaupt gleich auf einen ziemlichen hohen Grad gebracht, so macht er sich doch bey Hofe im geringsten nicht damit breit, sondern erweiset dieselbe, wo er sie erweisen soll; in seinen Discoursen enthält er sich aller Streitigkeiten und Lehrsätze, die in den Ohren der Hof-Leute pe- dantisch und barbarisch klingen. Er beurtheilet die Grentzen der Erkäntniß dererjenigen, mit denen er redet, und bringt nichts vor, was sich über ihren Ho- rizont erstreckt.
§. 21. Er lernt mancherley unvernünfftige, gro- be und unglimpfliche Leute vertragen, insonderheit diejenigen, bey denen ein guter Theil seines Glü- ckes beruhet, wie auch andere, die mehr wegen ihrer Laster, als ihrer Verdienste eine Zeitlang in Anse- hen, und die nicht so wohl wegen ihres hohen Ran- ges und großen Bedienungen, als ihrer Boßheit zu fürchten sind. Er bezeiget zwar bey ihrem wider- derwärtigen Geberden, unhöflichen Ausdruck der
Worte
Von dem Hof-Leben.
bey Hofe nicht angenehm, oder die Herrſchafft weiß, daß die poetiſchen Gedancken aus eines andern Ge- hirne herkommen, ſo bleibe der Hof-Mann mit ſei- nen Verſen lieber zu Hauſe. Er muß nicht allein der Herrſchafft etwas beſſers zu leſen geben, als ſie ſonſt von andern Leuten bey dergleichen Faͤllen zu leſen gewohnt, ſondern ſich auch mit ſeiner Poëſie etwas rar machen. Denn ſonſt, wo er ſich alle Nahmens- und Geburths-Taͤge damit einſtellet, macht er ſich und ſeine Carmina zu gemein.
§. 20. Hat es nun ein Hof-Mann in der Ge- lehrſamkeit und Wiſſenſchafft uͤberhaupt gleich auf einen ziemlichen hohen Grad gebracht, ſo macht er ſich doch bey Hofe im geringſten nicht damit breit, ſondern erweiſet dieſelbe, wo er ſie erweiſen ſoll; in ſeinen Diſcourſen enthaͤlt er ſich aller Streitigkeiten und Lehrſaͤtze, die in den Ohren der Hof-Leute pe- dantiſch und barbariſch klingen. Er beurtheilet die Grentzen der Erkaͤntniß dererjenigen, mit denen er redet, und bringt nichts vor, was ſich uͤber ihren Ho- rizont erſtreckt.
§. 21. Er lernt mancherley unvernuͤnfftige, gro- be und unglimpfliche Leute vertragen, inſonderheit diejenigen, bey denen ein guter Theil ſeines Gluͤ- ckes beruhet, wie auch andere, die mehr wegen ihrer Laſter, als ihrer Verdienſte eine Zeitlang in Anſe- hen, und die nicht ſo wohl wegen ihres hohen Ran- ges und großen Bedienungen, als ihrer Boßheit zu fuͤrchten ſind. Er bezeiget zwar bey ihrem wider- derwaͤrtigen Geberden, unhoͤflichen Ausdruck der
Worte
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0257"n="237"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von dem Hof-Leben.</hi></fw><lb/>
bey Hofe nicht angenehm, oder die Herrſchafft weiß,<lb/>
daß die poetiſchen Gedancken aus eines andern Ge-<lb/>
hirne herkommen, ſo bleibe der Hof-Mann mit ſei-<lb/>
nen Verſen lieber zu Hauſe. Er muß nicht allein<lb/>
der Herrſchafft etwas beſſers zu leſen geben, als ſie<lb/>ſonſt von andern Leuten bey dergleichen Faͤllen zu<lb/>
leſen gewohnt, ſondern ſich auch mit ſeiner <hirendition="#aq">Poëſie</hi><lb/>
etwas rar machen. Denn ſonſt, wo er ſich alle<lb/>
Nahmens- und Geburths-Taͤge damit einſtellet,<lb/>
macht er ſich und ſeine <hirendition="#aq">Carmina</hi> zu gemein.</p><lb/><p>§. 20. Hat es nun ein Hof-Mann in der Ge-<lb/>
lehrſamkeit und Wiſſenſchafft uͤberhaupt gleich auf<lb/>
einen ziemlichen hohen Grad gebracht, ſo macht er<lb/>ſich doch bey Hofe im geringſten nicht damit breit,<lb/>ſondern erweiſet dieſelbe, wo er ſie erweiſen ſoll; in<lb/>ſeinen <hirendition="#aq">Diſcourſ</hi>en enthaͤlt er ſich aller Streitigkeiten<lb/>
und Lehrſaͤtze, die in den Ohren der Hof-Leute <hirendition="#aq">pe-<lb/>
danti</hi>ſch und barbariſch klingen. Er beurtheilet die<lb/>
Grentzen der Erkaͤntniß dererjenigen, mit denen er<lb/>
redet, und bringt nichts vor, was ſich uͤber ihren Ho-<lb/>
rizont erſtreckt.</p><lb/><p>§. 21. Er lernt mancherley unvernuͤnfftige, gro-<lb/>
be und unglimpfliche Leute vertragen, inſonderheit<lb/>
diejenigen, bey denen ein guter Theil ſeines Gluͤ-<lb/>
ckes beruhet, wie auch andere, die mehr wegen ihrer<lb/>
Laſter, als ihrer Verdienſte eine Zeitlang in Anſe-<lb/>
hen, und die nicht ſo wohl wegen ihres hohen Ran-<lb/>
ges und großen Bedienungen, als ihrer Boßheit zu<lb/>
fuͤrchten ſind. Er bezeiget zwar bey ihrem wider-<lb/>
derwaͤrtigen Geberden, unhoͤflichen Ausdruck der<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Worte</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[237/0257]
Von dem Hof-Leben.
bey Hofe nicht angenehm, oder die Herrſchafft weiß,
daß die poetiſchen Gedancken aus eines andern Ge-
hirne herkommen, ſo bleibe der Hof-Mann mit ſei-
nen Verſen lieber zu Hauſe. Er muß nicht allein
der Herrſchafft etwas beſſers zu leſen geben, als ſie
ſonſt von andern Leuten bey dergleichen Faͤllen zu
leſen gewohnt, ſondern ſich auch mit ſeiner Poëſie
etwas rar machen. Denn ſonſt, wo er ſich alle
Nahmens- und Geburths-Taͤge damit einſtellet,
macht er ſich und ſeine Carmina zu gemein.
§. 20. Hat es nun ein Hof-Mann in der Ge-
lehrſamkeit und Wiſſenſchafft uͤberhaupt gleich auf
einen ziemlichen hohen Grad gebracht, ſo macht er
ſich doch bey Hofe im geringſten nicht damit breit,
ſondern erweiſet dieſelbe, wo er ſie erweiſen ſoll; in
ſeinen Diſcourſen enthaͤlt er ſich aller Streitigkeiten
und Lehrſaͤtze, die in den Ohren der Hof-Leute pe-
dantiſch und barbariſch klingen. Er beurtheilet die
Grentzen der Erkaͤntniß dererjenigen, mit denen er
redet, und bringt nichts vor, was ſich uͤber ihren Ho-
rizont erſtreckt.
§. 21. Er lernt mancherley unvernuͤnfftige, gro-
be und unglimpfliche Leute vertragen, inſonderheit
diejenigen, bey denen ein guter Theil ſeines Gluͤ-
ckes beruhet, wie auch andere, die mehr wegen ihrer
Laſter, als ihrer Verdienſte eine Zeitlang in Anſe-
hen, und die nicht ſo wohl wegen ihres hohen Ran-
ges und großen Bedienungen, als ihrer Boßheit zu
fuͤrchten ſind. Er bezeiget zwar bey ihrem wider-
derwaͤrtigen Geberden, unhoͤflichen Ausdruck der
Worte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/257>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.