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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. XVIII. Capitul.
Augenblick herbey bringen kan; und also ist die
Wachsamkeit niemahls zu groß, welche wir hierbey
anwenden. S. Faramonds Discourse über die
Sitten der gegenwärtigen Zeit. p. 187.

§. 2. Es ist nicht allein eine Regel, die dem Chri-
stenthum und der Tugend-Lehre gemäß, daß wir
bey unserm gesunden Zustand dasjenige verrichten
sollen, was wir zu der Zeit, da wir auf dem Kran-
cken-Bette liegen, wünschen gethan zu haben; son-
dern es erfordert auch die Ceremoniel-Wissen-
schafft, daß wir manches von allerhand äusserlichen
Wesen, welches wir bey unserm Sterben wünsch-
ten beobachtet zu haben, noch vor dem Tode be-
sorgen.

§. 3. Doch die meisten unterlassen entweder die-
se Zubereitung gantz und gar, oder schieben sie doch,
aus Hoffnung eines langen Lebens, biß auf denje-
nigen Termin hinaus, da es manchmahl nicht mehr
Zeit ist, daran zu gedencken, und dieses alles aus ei-
ner unmäßigen Furcht vor dem Tode; sie scheuen
sich vor ihm, wie vor einem Gespenste, davon man
nichts weder hören noch sehen will; sie erschrecken
über dem blossen Anblick eines Sarges; sie werden
blaß, wenn sie hören ein Sterbe-Lied singen, und
gehen der Kirche weit aus dem Wege, wenn eine
Leichen-Predigt darinnen gehalten wird. Wie
unweise läst es doch auch nach der blossen Ver-
nunfft, wenn diejenigen Leute, die doch in den übri-
gen Stücken vor Welt-Kluge und Welt-Weise
wollen angesehen seyn, sich hierinnen so gar kindisch

auf-

II. Theil. XVIII. Capitul.
Augenblick herbey bringen kan; und alſo iſt die
Wachſamkeit niemahls zu groß, welche wir hierbey
anwenden. S. Faramonds Diſcourſe uͤber die
Sitten der gegenwaͤrtigen Zeit. p. 187.

§. 2. Es iſt nicht allein eine Regel, die dem Chri-
ſtenthum und der Tugend-Lehre gemaͤß, daß wir
bey unſerm geſunden Zuſtand dasjenige verrichten
ſollen, was wir zu der Zeit, da wir auf dem Kran-
cken-Bette liegen, wuͤnſchen gethan zu haben; ſon-
dern es erfordert auch die Ceremoniel-Wiſſen-
ſchafft, daß wir manches von allerhand aͤuſſerlichen
Weſen, welches wir bey unſerm Sterben wuͤnſch-
ten beobachtet zu haben, noch vor dem Tode be-
ſorgen.

§. 3. Doch die meiſten unterlaſſen entweder die-
ſe Zubereitung gantz und gar, oder ſchieben ſie doch,
aus Hoffnung eines langen Lebens, biß auf denje-
nigen Termin hinaus, da es manchmahl nicht mehr
Zeit iſt, daran zu gedencken, und dieſes alles aus ei-
ner unmaͤßigen Furcht vor dem Tode; ſie ſcheuen
ſich vor ihm, wie vor einem Geſpenſte, davon man
nichts weder hoͤren noch ſehen will; ſie erſchrecken
uͤber dem bloſſen Anblick eines Sarges; ſie werden
blaß, wenn ſie hoͤren ein Sterbe-Lied ſingen, und
gehen der Kirche weit aus dem Wege, wenn eine
Leichen-Predigt darinnen gehalten wird. Wie
unweiſe laͤſt es doch auch nach der bloſſen Ver-
nunfft, wenn diejenigen Leute, die doch in den uͤbri-
gen Stuͤcken vor Welt-Kluge und Welt-Weiſe
wollen angeſehen ſeyn, ſich hierinnen ſo gar kindiſch

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[648/0668] II. Theil. XVIII. Capitul. Augenblick herbey bringen kan; und alſo iſt die Wachſamkeit niemahls zu groß, welche wir hierbey anwenden. S. Faramonds Diſcourſe uͤber die Sitten der gegenwaͤrtigen Zeit. p. 187. §. 2. Es iſt nicht allein eine Regel, die dem Chri- ſtenthum und der Tugend-Lehre gemaͤß, daß wir bey unſerm geſunden Zuſtand dasjenige verrichten ſollen, was wir zu der Zeit, da wir auf dem Kran- cken-Bette liegen, wuͤnſchen gethan zu haben; ſon- dern es erfordert auch die Ceremoniel-Wiſſen- ſchafft, daß wir manches von allerhand aͤuſſerlichen Weſen, welches wir bey unſerm Sterben wuͤnſch- ten beobachtet zu haben, noch vor dem Tode be- ſorgen. §. 3. Doch die meiſten unterlaſſen entweder die- ſe Zubereitung gantz und gar, oder ſchieben ſie doch, aus Hoffnung eines langen Lebens, biß auf denje- nigen Termin hinaus, da es manchmahl nicht mehr Zeit iſt, daran zu gedencken, und dieſes alles aus ei- ner unmaͤßigen Furcht vor dem Tode; ſie ſcheuen ſich vor ihm, wie vor einem Geſpenſte, davon man nichts weder hoͤren noch ſehen will; ſie erſchrecken uͤber dem bloſſen Anblick eines Sarges; ſie werden blaß, wenn ſie hoͤren ein Sterbe-Lied ſingen, und gehen der Kirche weit aus dem Wege, wenn eine Leichen-Predigt darinnen gehalten wird. Wie unweiſe laͤſt es doch auch nach der bloſſen Ver- nunfft, wenn diejenigen Leute, die doch in den uͤbri- gen Stuͤcken vor Welt-Kluge und Welt-Weiſe wollen angeſehen ſeyn, ſich hierinnen ſo gar kindiſch auf-

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/668>, abgerufen am 22.11.2024.