§. 3. Der selige Lutherus eifert wider die- jenigen, die die Christliche Freyheit in allzuenge Schrancken einschliessen wollen, in dem 3. Al- tenburgischen Tomo wider die himmlischen Propheten, p. 68. folgender Gestalt: Höre zu, mein Bruder, du weissest, daß wir bey der Christlichen Freyheit als bey einem ieglichen Ar- ticul des Glaubens sollen Leib und Leben lassen, und alle das thun, was man darwider gebeut, und alles lassen, was man darwider verbeut, wie S. Paulus Gal. V, v. 2. lehret, und weiter: Du must nicht gestatten, daß der Teuffel da ein Geboth, Verboth, Sünde oder Gewissen ma- che, da GOtt keine haben will. Wo du aber solche Sünde lässest machen, so ist kein Christus mehr, der sie wegnehme, denn mit solchen Ge- wissen verläugnet man den rechten Christum, der alle Sünde wegnimmt. Darum sie hest du, wie in diesen geringen Dingen nicht geringe Gefahr entstehet, wenn man damit auf die Ge- wissen will, pag. 59. Mein Gewissen ist eben sowohl gefangen und verführet, wenn es etwas lassen muß, da es nicht Noth ist, zu lassen, als wenn es etwas thun muß, das nicht Noth zu thun ist, und Christlicher Freyheit eben so wohl untergehet, wenn sie lassen soll, das sie nicht muß. p. 90. Wo sich nun ein Thun oder Las- sen findet, da GOtt nicht von gelehret, geboten,
noch
§. 3. Der ſelige Lutherus eifert wider die- jenigen, die die Chriſtliche Freyheit in allzuenge Schrancken einſchlieſſen wollen, in dem 3. Al- tenburgiſchen Tomo wider die himmliſchen Propheten, p. 68. folgender Geſtalt: Hoͤre zu, mein Bruder, du weiſſeſt, daß wir bey der Chriſtlichen Freyheit als bey einem ieglichen Ar- ticul des Glaubens ſollen Leib und Leben laſſen, und alle das thun, was man darwider gebeut, und alles laſſen, was man darwider verbeut, wie S. Paulus Gal. V, v. 2. lehret, und weiter: Du muſt nicht geſtatten, daß der Teuffel da ein Geboth, Verboth, Suͤnde oder Gewiſſen ma- che, da GOtt keine haben will. Wo du aber ſolche Suͤnde laͤſſeſt machen, ſo iſt kein Chriſtus mehr, der ſie wegnehme, denn mit ſolchen Ge- wiſſen verlaͤugnet man den rechten Chriſtum, der alle Suͤnde wegnimmt. Darum ſie heſt du, wie in dieſen geringen Dingen nicht geringe Gefahr entſtehet, wenn man damit auf die Ge- wiſſen will, pag. 59. Mein Gewiſſen iſt eben ſowohl gefangen und verfuͤhret, wenn es etwas laſſen muß, da es nicht Noth iſt, zu laſſen, als wenn es etwas thun muß, das nicht Noth zu thun iſt, und Chriſtlicher Freyheit eben ſo wohl untergehet, wenn ſie laſſen ſoll, das ſie nicht muß. p. 90. Wo ſich nun ein Thun oder Laſ- ſen findet, da GOtt nicht von gelehret, geboten,
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§. 3. Der ſelige Lutherus eifert wider die-
jenigen, die die Chriſtliche Freyheit in allzuenge
Schrancken einſchlieſſen wollen, in dem 3. Al-
tenburgiſchen Tomo wider die himmliſchen
Propheten, p. 68. folgender Geſtalt: Hoͤre zu,
mein Bruder, du weiſſeſt, daß wir bey der
Chriſtlichen Freyheit als bey einem ieglichen Ar-
ticul des Glaubens ſollen Leib und Leben laſſen,
und alle das thun, was man darwider gebeut,
und alles laſſen, was man darwider verbeut,
wie S. Paulus Gal. V, v. 2. lehret, und weiter:
Du muſt nicht geſtatten, daß der Teuffel da ein
Geboth, Verboth, Suͤnde oder Gewiſſen ma-
che, da GOtt keine haben will. Wo du aber
ſolche Suͤnde laͤſſeſt machen, ſo iſt kein Chriſtus
mehr, der ſie wegnehme, denn mit ſolchen Ge-
wiſſen verlaͤugnet man den rechten Chriſtum,
der alle Suͤnde wegnimmt. Darum ſie heſt
du, wie in dieſen geringen Dingen nicht geringe
Gefahr entſtehet, wenn man damit auf die Ge-
wiſſen will, pag. 59. Mein Gewiſſen iſt eben
ſowohl gefangen und verfuͤhret, wenn es etwas
laſſen muß, da es nicht Noth iſt, zu laſſen, als
wenn es etwas thun muß, das nicht Noth zu
thun iſt, und Chriſtlicher Freyheit eben ſo wohl
untergehet, wenn ſie laſſen ſoll, das ſie nicht
muß. p. 90. Wo ſich nun ein Thun oder Laſ-
ſen findet, da GOtt nicht von gelehret, geboten,
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 1290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/1310>, abgerufen am 23.11.2024.
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