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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nicht die Absicht habe, das Mädchen zu täuschen, oder mit ihrer Neigung -- wenn diese denn doch vorhanden -- ein gefährliches Spiel zu treiben, so bleibt mir nichts übrig, als noch heut nach Hause zu reisen.

Franz ergriff meine Hand und sah mich halb bestürzt an. Nein, Ernst! rief er, du wirst nicht abreisen! Das würde Aufsehen erregen! -- Könnten nicht ernste Geschäfte mich in Wirklichkeit nach Berlin rufen? -- Aber noch ist das nicht der Fall, und deine Abreise würde hier nichts ändern. Bleib' wenigstens noch einige Tage. Ich muß dich dem Pfarrer in Burg zuführen. Es wird dich nicht gereuen, du sollst eine vortreffliche Bekanntschaft machen.

Nach mancherlei Hin- und Widerreden ließ ich mich endlich bestimmen, noch ein paar Tage zu bleiben. Ich beschloß sogar, noch einmal mit Marien zu sprechen. Mit aller Schonung und Milde wollte ich sie überzeugen, daß sie ihr Herz bezwingen müsse, wenn dasselbe wirklich zu meinen Gunsten sprach. Freilich war damit noch nicht viel für Franz gewonnen. Doch hoffte ich ihn durch erneuertes Aussprechen meiner Freundschaft und unbedingten Achtung auch für sie zum Gegenstände eines erhöhten Interesse zu machen. Wagte ich auch nicht gar viel für meinen Freund zu hoffen, so schien es mir doch eine unerläßliche Pflicht, daß ich, der, wenn auch unbewußt, die vielleicht glücklich angesponnenen Fäden in Verwirrung gebracht,

nicht die Absicht habe, das Mädchen zu täuschen, oder mit ihrer Neigung — wenn diese denn doch vorhanden — ein gefährliches Spiel zu treiben, so bleibt mir nichts übrig, als noch heut nach Hause zu reisen.

Franz ergriff meine Hand und sah mich halb bestürzt an. Nein, Ernst! rief er, du wirst nicht abreisen! Das würde Aufsehen erregen! — Könnten nicht ernste Geschäfte mich in Wirklichkeit nach Berlin rufen? — Aber noch ist das nicht der Fall, und deine Abreise würde hier nichts ändern. Bleib' wenigstens noch einige Tage. Ich muß dich dem Pfarrer in Burg zuführen. Es wird dich nicht gereuen, du sollst eine vortreffliche Bekanntschaft machen.

Nach mancherlei Hin- und Widerreden ließ ich mich endlich bestimmen, noch ein paar Tage zu bleiben. Ich beschloß sogar, noch einmal mit Marien zu sprechen. Mit aller Schonung und Milde wollte ich sie überzeugen, daß sie ihr Herz bezwingen müsse, wenn dasselbe wirklich zu meinen Gunsten sprach. Freilich war damit noch nicht viel für Franz gewonnen. Doch hoffte ich ihn durch erneuertes Aussprechen meiner Freundschaft und unbedingten Achtung auch für sie zum Gegenstände eines erhöhten Interesse zu machen. Wagte ich auch nicht gar viel für meinen Freund zu hoffen, so schien es mir doch eine unerläßliche Pflicht, daß ich, der, wenn auch unbewußt, die vielleicht glücklich angesponnenen Fäden in Verwirrung gebracht,

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[0093] nicht die Absicht habe, das Mädchen zu täuschen, oder mit ihrer Neigung — wenn diese denn doch vorhanden — ein gefährliches Spiel zu treiben, so bleibt mir nichts übrig, als noch heut nach Hause zu reisen. Franz ergriff meine Hand und sah mich halb bestürzt an. Nein, Ernst! rief er, du wirst nicht abreisen! Das würde Aufsehen erregen! — Könnten nicht ernste Geschäfte mich in Wirklichkeit nach Berlin rufen? — Aber noch ist das nicht der Fall, und deine Abreise würde hier nichts ändern. Bleib' wenigstens noch einige Tage. Ich muß dich dem Pfarrer in Burg zuführen. Es wird dich nicht gereuen, du sollst eine vortreffliche Bekanntschaft machen. Nach mancherlei Hin- und Widerreden ließ ich mich endlich bestimmen, noch ein paar Tage zu bleiben. Ich beschloß sogar, noch einmal mit Marien zu sprechen. Mit aller Schonung und Milde wollte ich sie überzeugen, daß sie ihr Herz bezwingen müsse, wenn dasselbe wirklich zu meinen Gunsten sprach. Freilich war damit noch nicht viel für Franz gewonnen. Doch hoffte ich ihn durch erneuertes Aussprechen meiner Freundschaft und unbedingten Achtung auch für sie zum Gegenstände eines erhöhten Interesse zu machen. Wagte ich auch nicht gar viel für meinen Freund zu hoffen, so schien es mir doch eine unerläßliche Pflicht, daß ich, der, wenn auch unbewußt, die vielleicht glücklich angesponnenen Fäden in Verwirrung gebracht,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:15:33Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/93>, abgerufen am 21.11.2024.