Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich habe das Licht ausgelöscht, das Haus ver-
schlossen und bin in die Kirche gegangen. In der
Kirche ist es licht, wie am hellen Tage, nur zu
den Fenstern schaut die schwarze Nacht herein. Jeder
hat ein Stück Kerze, oder gar einen ganzen Wachs-
stock mitgebracht, denn in der Christnacht muß jeder
seinen Glauben und sein Licht haben. Die Leute
drängen sich zum Kripplein, das heute an der
Stelle des Beichtstuhles aufgerichtet worden ist. Ich
habe vor mehreren Jahren aus Linden- und Eschen-
holz die vielen kleinen Figuren geschnitzt und sie
zur Versinnlichung der Geburt Christi zusammen-
gestellt. Es ist der Stall mit der Krippe, dem Kind-
lein mit Maria und Josef, mit Ochs und Esel, es
sind die Hirten mit den Lämmlein, die heiligen
Könige mit den Kameelen; es sind andere spaßhafte
Männchen und Gruppen, wie sie Freude, Wohlthun
und Liebe zum Christkinde nach der Leute Auf-
fassung ausdrücken sollen. In der Luft hängen die
Engel und die Sterne und im Hintergrunde ist
die Stadt Betlehem.

Was der Rüppel weiß zu sagen in Worten,
das will ich durch diese Bilder erzählen. Und die
Leute erbauen sich baß an dieser wundernärrischen
Darstellung. Aber sie halten sie, Gott sei Lob, eben
nur wie ein Bild, von dem sie wissen, daß es nichts
bedeuten und nichts wirken kann, als die Erinnerung.


Ich habe das Licht ausgelöſcht, das Haus ver-
ſchloſſen und bin in die Kirche gegangen. In der
Kirche iſt es licht, wie am hellen Tage, nur zu
den Fenſtern ſchaut die ſchwarze Nacht herein. Jeder
hat ein Stück Kerze, oder gar einen ganzen Wachs-
ſtock mitgebracht, denn in der Chriſtnacht muß jeder
ſeinen Glauben und ſein Licht haben. Die Leute
drängen ſich zum Kripplein, das heute an der
Stelle des Beichtſtuhles aufgerichtet worden iſt. Ich
habe vor mehreren Jahren aus Linden- und Eſchen-
holz die vielen kleinen Figuren geſchnitzt und ſie
zur Verſinnlichung der Geburt Chriſti zuſammen-
geſtellt. Es iſt der Stall mit der Krippe, dem Kind-
lein mit Maria und Joſef, mit Ochs und Eſel, es
ſind die Hirten mit den Lämmlein, die heiligen
Könige mit den Kameelen; es ſind andere ſpaßhafte
Männchen und Gruppen, wie ſie Freude, Wohlthun
und Liebe zum Chriſtkinde nach der Leute Auf-
faſſung ausdrücken ſollen. In der Luft hängen die
Engel und die Sterne und im Hintergrunde iſt
die Stadt Betlehem.

Was der Rüppel weiß zu ſagen in Worten,
das will ich durch dieſe Bilder erzählen. Und die
Leute erbauen ſich baß an dieſer wundernärriſchen
Darſtellung. Aber ſie halten ſie, Gott ſei Lob, eben
nur wie ein Bild, von dem ſie wiſſen, daß es nichts
bedeuten und nichts wirken kann, als die Erinnerung.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0348" n="338"/>
          <p>Ich habe das Licht ausgelö&#x017F;cht, das Haus ver-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und bin in die Kirche gegangen. In der<lb/>
Kirche i&#x017F;t es licht, wie am hellen Tage, nur zu<lb/>
den Fen&#x017F;tern &#x017F;chaut die &#x017F;chwarze Nacht herein. Jeder<lb/>
hat ein Stück Kerze, oder gar einen ganzen Wachs-<lb/>
&#x017F;tock mitgebracht, denn in der Chri&#x017F;tnacht muß jeder<lb/>
&#x017F;einen Glauben und &#x017F;ein Licht haben. Die Leute<lb/>
drängen &#x017F;ich zum Kripplein, das heute an der<lb/>
Stelle des Beicht&#x017F;tuhles aufgerichtet worden i&#x017F;t. Ich<lb/>
habe vor mehreren Jahren aus Linden- und E&#x017F;chen-<lb/>
holz die vielen kleinen Figuren ge&#x017F;chnitzt und &#x017F;ie<lb/>
zur Ver&#x017F;innlichung der Geburt Chri&#x017F;ti zu&#x017F;ammen-<lb/>
ge&#x017F;tellt. Es i&#x017F;t der Stall mit der Krippe, dem Kind-<lb/>
lein mit Maria und Jo&#x017F;ef, mit Ochs und E&#x017F;el, es<lb/>
&#x017F;ind die Hirten mit den Lämmlein, die heiligen<lb/>
Könige mit den Kameelen; es &#x017F;ind andere &#x017F;paßhafte<lb/>
Männchen und Gruppen, wie &#x017F;ie Freude, Wohlthun<lb/>
und Liebe zum Chri&#x017F;tkinde nach der Leute Auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung ausdrücken &#x017F;ollen. In der Luft hängen die<lb/>
Engel und die Sterne und im Hintergrunde i&#x017F;t<lb/>
die Stadt Betlehem.</p><lb/>
          <p>Was der Rüppel weiß zu &#x017F;agen in Worten,<lb/>
das will ich durch die&#x017F;e Bilder erzählen. Und die<lb/>
Leute erbauen &#x017F;ich baß an die&#x017F;er wundernärri&#x017F;chen<lb/>
Dar&#x017F;tellung. Aber &#x017F;ie halten &#x017F;ie, Gott &#x017F;ei Lob, eben<lb/>
nur wie ein Bild, von dem &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en, daß es nichts<lb/>
bedeuten und nichts wirken kann, als die Erinnerung.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0348] Ich habe das Licht ausgelöſcht, das Haus ver- ſchloſſen und bin in die Kirche gegangen. In der Kirche iſt es licht, wie am hellen Tage, nur zu den Fenſtern ſchaut die ſchwarze Nacht herein. Jeder hat ein Stück Kerze, oder gar einen ganzen Wachs- ſtock mitgebracht, denn in der Chriſtnacht muß jeder ſeinen Glauben und ſein Licht haben. Die Leute drängen ſich zum Kripplein, das heute an der Stelle des Beichtſtuhles aufgerichtet worden iſt. Ich habe vor mehreren Jahren aus Linden- und Eſchen- holz die vielen kleinen Figuren geſchnitzt und ſie zur Verſinnlichung der Geburt Chriſti zuſammen- geſtellt. Es iſt der Stall mit der Krippe, dem Kind- lein mit Maria und Joſef, mit Ochs und Eſel, es ſind die Hirten mit den Lämmlein, die heiligen Könige mit den Kameelen; es ſind andere ſpaßhafte Männchen und Gruppen, wie ſie Freude, Wohlthun und Liebe zum Chriſtkinde nach der Leute Auf- faſſung ausdrücken ſollen. In der Luft hängen die Engel und die Sterne und im Hintergrunde iſt die Stadt Betlehem. Was der Rüppel weiß zu ſagen in Worten, das will ich durch dieſe Bilder erzählen. Und die Leute erbauen ſich baß an dieſer wundernärriſchen Darſtellung. Aber ſie halten ſie, Gott ſei Lob, eben nur wie ein Bild, von dem ſie wiſſen, daß es nichts bedeuten und nichts wirken kann, als die Erinnerung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/348
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/348>, abgerufen am 21.11.2024.