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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Mit einem Heiligenbilde auf dem Hochaltare
wäre das anders; das hätten sie Jahr um Jahr
und in allen Lebenslagen vor Augen, das thäten
sie gleich zum Herrgott selber machen.

Auf dem Chor ist in dieser Nacht Unheil ge-
wesen. Der Pfarrer stimmt schon das ambrosianische
Loblied an, ich sitze an der Orgel und ziehe zur
hohen Festfreude alle sechs Stimmenzüge auf --
da platzt jählings der Blasebalg, und die Orgel
stöhnt und pfaucht und gibt keinen einzigen, klin-
genden Ton. Meiner Tage bin ich nicht in solcher
Verzweiflung gewesen, als in dieser Stunde. Ich
bin der Schulmeister, der Choraufseher, ich muß
Musik machen; und die Musik ist ja eigentlich das
Fest und ohne Musik gibt es in der Kirche gar
keine Christnacht. Aller Leut' Herzen hüpfen, aller
Leut' Ohren spitzen sich der Musik entgegen, da
schürft mir der Teufel jetzt den Blasbalg auf. Ich
habe meinen Kopf in die Hände genommen, hätte
ihn am liebsten zum Fenster hinausgeworfen. Ver-
gebens hüpfen meine Finger alle zehn über die
Tasten hin; taubstumm ist das ganze Zeug und
wie maustodt.

Der Paul Holzer, sein Weib und die Adel-
heid von der Schwarzhütte, die auf dem Chore
neben mir sitzen, merken wol meine Pein, aber sie
rücken nur so her und hin und hüsteln und räuspern

22*

Mit einem Heiligenbilde auf dem Hochaltare
wäre das anders; das hätten ſie Jahr um Jahr
und in allen Lebenslagen vor Augen, das thäten
ſie gleich zum Herrgott ſelber machen.

Auf dem Chor iſt in dieſer Nacht Unheil ge-
weſen. Der Pfarrer ſtimmt ſchon das ambroſianiſche
Loblied an, ich ſitze an der Orgel und ziehe zur
hohen Feſtfreude alle ſechs Stimmenzüge auf —
da platzt jählings der Blaſebalg, und die Orgel
ſtöhnt und pfaucht und gibt keinen einzigen, klin-
genden Ton. Meiner Tage bin ich nicht in ſolcher
Verzweiflung geweſen, als in dieſer Stunde. Ich
bin der Schulmeiſter, der Choraufſeher, ich muß
Muſik machen; und die Muſik iſt ja eigentlich das
Feſt und ohne Muſik gibt es in der Kirche gar
keine Chriſtnacht. Aller Leut’ Herzen hüpfen, aller
Leut’ Ohren ſpitzen ſich der Muſik entgegen, da
ſchürft mir der Teufel jetzt den Blasbalg auf. Ich
habe meinen Kopf in die Hände genommen, hätte
ihn am liebſten zum Fenſter hinausgeworfen. Ver-
gebens hüpfen meine Finger alle zehn über die
Taſten hin; taubſtumm iſt das ganze Zeug und
wie maustodt.

Der Paul Holzer, ſein Weib und die Adel-
heid von der Schwarzhütte, die auf dem Chore
neben mir ſitzen, merken wol meine Pein, aber ſie
rücken nur ſo her und hin und hüſteln und räuſpern

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[339/0349] Mit einem Heiligenbilde auf dem Hochaltare wäre das anders; das hätten ſie Jahr um Jahr und in allen Lebenslagen vor Augen, das thäten ſie gleich zum Herrgott ſelber machen. Auf dem Chor iſt in dieſer Nacht Unheil ge- weſen. Der Pfarrer ſtimmt ſchon das ambroſianiſche Loblied an, ich ſitze an der Orgel und ziehe zur hohen Feſtfreude alle ſechs Stimmenzüge auf — da platzt jählings der Blaſebalg, und die Orgel ſtöhnt und pfaucht und gibt keinen einzigen, klin- genden Ton. Meiner Tage bin ich nicht in ſolcher Verzweiflung geweſen, als in dieſer Stunde. Ich bin der Schulmeiſter, der Choraufſeher, ich muß Muſik machen; und die Muſik iſt ja eigentlich das Feſt und ohne Muſik gibt es in der Kirche gar keine Chriſtnacht. Aller Leut’ Herzen hüpfen, aller Leut’ Ohren ſpitzen ſich der Muſik entgegen, da ſchürft mir der Teufel jetzt den Blasbalg auf. Ich habe meinen Kopf in die Hände genommen, hätte ihn am liebſten zum Fenſter hinausgeworfen. Ver- gebens hüpfen meine Finger alle zehn über die Taſten hin; taubſtumm iſt das ganze Zeug und wie maustodt. Der Paul Holzer, ſein Weib und die Adel- heid von der Schwarzhütte, die auf dem Chore neben mir ſitzen, merken wol meine Pein, aber ſie rücken nur ſo her und hin und hüſteln und räuſpern 22*

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/349>, abgerufen am 24.11.2024.