Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

sich und heben an in hellen Stimmen zu singen:
"Herrgott, dich loben wir all!"

Das ist mir Oel in's Herz gewesen.

Aber das Lied wird bald aus sein und dar-
nach kommt das Hochamt, und da muß Musik,
Chormusik sein um alle Welt.

Holpert der alte Rüppel die Treppe herauf:
"Schulmeister! will schon heut die Orgel schweigen,
so nimm die Geigen!"

"O Gott, Rüppel, die ist zu Holdenschlag
beim Leimen!"

"Und kunnt ich auch die Geigen nicht zu Wege
bringen, so thät ich bei meiner Treu die Kirchen-
lieder frei auf der Zither singen!"

Für dieses Wort habe ich den Alten so stür-
misch umarmt, daß er bis in's Herz hinein er-
schrocken ist. Ich eile und hole die Zither, und bei
dem Hochamte klingt auf dem Chor ein Saiten-
spiel, wie es in dieser und etwan auch in einer
andern Kirche niemalen so gehört worden ist. Die
Leute horchen, der Pfarrer selber wendet sich ein
wenig und thut einen kurzen Blick gegen mich herauf.

Und so ist mitten in der langen Winternacht
zu Winkelsteg das Christfest gefeiert worden. Leise
zittern, mild wiegen die Saitentöne; sie singen dem
neugebornen Jesukindlein das Wiegenlied und dem
Menschen den Frieden. Und sie schrillen und wecken

ſich und heben an in hellen Stimmen zu ſingen:
„Herrgott, dich loben wir all!“

Das iſt mir Oel in’s Herz geweſen.

Aber das Lied wird bald aus ſein und dar-
nach kommt das Hochamt, und da muß Muſik,
Chormuſik ſein um alle Welt.

Holpert der alte Rüppel die Treppe herauf:
„Schulmeiſter! will ſchon heut die Orgel ſchweigen,
ſo nimm die Geigen!“

„O Gott, Rüppel, die iſt zu Holdenſchlag
beim Leimen!“

„Und kunnt ich auch die Geigen nicht zu Wege
bringen, ſo thät ich bei meiner Treu die Kirchen-
lieder frei auf der Zither ſingen!“

Für dieſes Wort habe ich den Alten ſo ſtür-
miſch umarmt, daß er bis in’s Herz hinein er-
ſchrocken iſt. Ich eile und hole die Zither, und bei
dem Hochamte klingt auf dem Chor ein Saiten-
ſpiel, wie es in dieſer und etwan auch in einer
andern Kirche niemalen ſo gehört worden iſt. Die
Leute horchen, der Pfarrer ſelber wendet ſich ein
wenig und thut einen kurzen Blick gegen mich herauf.

Und ſo iſt mitten in der langen Winternacht
zu Winkelſteg das Chriſtfeſt gefeiert worden. Leiſe
zittern, mild wiegen die Saitentöne; ſie ſingen dem
neugebornen Jeſukindlein das Wiegenlied und dem
Menſchen den Frieden. Und ſie ſchrillen und wecken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0350" n="340"/>
&#x017F;ich und heben an in hellen Stimmen zu &#x017F;ingen:<lb/>
&#x201E;Herrgott, dich loben wir all!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das i&#x017F;t mir Oel in&#x2019;s Herz gewe&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Aber das Lied wird bald aus &#x017F;ein und dar-<lb/>
nach kommt das Hochamt, und da muß Mu&#x017F;ik,<lb/>
Chormu&#x017F;ik &#x017F;ein um alle Welt.</p><lb/>
          <p>Holpert der alte Rüppel die Treppe herauf:<lb/>
&#x201E;Schulmei&#x017F;ter! will &#x017F;chon heut die Orgel &#x017F;chweigen,<lb/>
&#x017F;o nimm die Geigen!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;O Gott, Rüppel, die i&#x017F;t zu Holden&#x017F;chlag<lb/>
beim Leimen!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und kunnt ich auch die Geigen nicht zu Wege<lb/>
bringen, &#x017F;o thät ich bei meiner Treu die Kirchen-<lb/>
lieder frei auf der Zither &#x017F;ingen!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Für die&#x017F;es Wort habe ich den Alten &#x017F;o &#x017F;tür-<lb/>
mi&#x017F;ch umarmt, daß er bis in&#x2019;s Herz hinein er-<lb/>
&#x017F;chrocken i&#x017F;t. Ich eile und hole die Zither, und bei<lb/>
dem Hochamte klingt auf dem Chor ein Saiten-<lb/>
&#x017F;piel, wie es in die&#x017F;er und etwan auch in einer<lb/>
andern Kirche niemalen &#x017F;o gehört worden i&#x017F;t. Die<lb/>
Leute horchen, der Pfarrer &#x017F;elber wendet &#x017F;ich ein<lb/>
wenig und thut einen kurzen Blick gegen mich herauf.</p><lb/>
          <p>Und &#x017F;o i&#x017F;t mitten in der langen Winternacht<lb/>
zu Winkel&#x017F;teg das Chri&#x017F;tfe&#x017F;t gefeiert worden. Lei&#x017F;e<lb/>
zittern, mild wiegen die Saitentöne; &#x017F;ie &#x017F;ingen dem<lb/>
neugebornen Je&#x017F;ukindlein das Wiegenlied und dem<lb/>
Men&#x017F;chen den Frieden. Und &#x017F;ie &#x017F;chrillen und wecken<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0350] ſich und heben an in hellen Stimmen zu ſingen: „Herrgott, dich loben wir all!“ Das iſt mir Oel in’s Herz geweſen. Aber das Lied wird bald aus ſein und dar- nach kommt das Hochamt, und da muß Muſik, Chormuſik ſein um alle Welt. Holpert der alte Rüppel die Treppe herauf: „Schulmeiſter! will ſchon heut die Orgel ſchweigen, ſo nimm die Geigen!“ „O Gott, Rüppel, die iſt zu Holdenſchlag beim Leimen!“ „Und kunnt ich auch die Geigen nicht zu Wege bringen, ſo thät ich bei meiner Treu die Kirchen- lieder frei auf der Zither ſingen!“ Für dieſes Wort habe ich den Alten ſo ſtür- miſch umarmt, daß er bis in’s Herz hinein er- ſchrocken iſt. Ich eile und hole die Zither, und bei dem Hochamte klingt auf dem Chor ein Saiten- ſpiel, wie es in dieſer und etwan auch in einer andern Kirche niemalen ſo gehört worden iſt. Die Leute horchen, der Pfarrer ſelber wendet ſich ein wenig und thut einen kurzen Blick gegen mich herauf. Und ſo iſt mitten in der langen Winternacht zu Winkelſteg das Chriſtfeſt gefeiert worden. Leiſe zittern, mild wiegen die Saitentöne; ſie ſingen dem neugebornen Jeſukindlein das Wiegenlied und dem Menſchen den Frieden. Und ſie ſchrillen und wecken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/350
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/350>, abgerufen am 23.05.2024.