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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Zur Winterszeit 1857.

So ein Tagebuch ist doch ein treuer Freund.
Was man ihm auch anvertrauen mag, es vergißt
nichts und plaudert nichts aus.

Wenn ich diese Schriften durchsehe, so kann
ich es gar nicht glauben, daß ich das Alles mit
erlebt und geschrieben habe. Es sind wunderliche
Geschichten.

Ich bin doch einmal wer gewesen! Aus einem
alten Mann bin ich ein junger geworden; aus dem
jungen wieder ein alter, halbblinder, dem bei dem
Meßliede schon die Noten tanzen auf dem Blatt.
Die Leut' haben mich bei Seite geschoben . . . .

Mein Gott, Anderen geht es auch nicht besser.
Ich verlang' ja nichts; ich hab mein Theil gethan
und bin's zufrieden.



1864.

Und seit fünfzig Jahren bin ich nicht mehr
aus diesen Wäldern gekommen.

Und die Waldleute entstehen, leben und ver-
gehen dahier und steigen in ihrem ganzen Lebens-
lauf nicht ein einzigmal auf den Berg, wo man
die Herrlichkeit kann sehen, und am hellen Winter-
tag das Meer.


Zur Winterszeit 1857.

So ein Tagebuch iſt doch ein treuer Freund.
Was man ihm auch anvertrauen mag, es vergißt
nichts und plaudert nichts aus.

Wenn ich dieſe Schriften durchſehe, ſo kann
ich es gar nicht glauben, daß ich das Alles mit
erlebt und geſchrieben habe. Es ſind wunderliche
Geſchichten.

Ich bin doch einmal wer geweſen! Aus einem
alten Mann bin ich ein junger geworden; aus dem
jungen wieder ein alter, halbblinder, dem bei dem
Meßliede ſchon die Noten tanzen auf dem Blatt.
Die Leut’ haben mich bei Seite geſchoben . . . .

Mein Gott, Anderen geht es auch nicht beſſer.
Ich verlang’ ja nichts; ich hab mein Theil gethan
und bin’s zufrieden.



1864.

Und ſeit fünfzig Jahren bin ich nicht mehr
aus dieſen Wäldern gekommen.

Und die Waldleute entſtehen, leben und ver-
gehen dahier und ſteigen in ihrem ganzen Lebens-
lauf nicht ein einzigmal auf den Berg, wo man
die Herrlichkeit kann ſehen, und am hellen Winter-
tag das Meer.


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[428/0438] Zur Winterszeit 1857. So ein Tagebuch iſt doch ein treuer Freund. Was man ihm auch anvertrauen mag, es vergißt nichts und plaudert nichts aus. Wenn ich dieſe Schriften durchſehe, ſo kann ich es gar nicht glauben, daß ich das Alles mit erlebt und geſchrieben habe. Es ſind wunderliche Geſchichten. Ich bin doch einmal wer geweſen! Aus einem alten Mann bin ich ein junger geworden; aus dem jungen wieder ein alter, halbblinder, dem bei dem Meßliede ſchon die Noten tanzen auf dem Blatt. Die Leut’ haben mich bei Seite geſchoben . . . . Mein Gott, Anderen geht es auch nicht beſſer. Ich verlang’ ja nichts; ich hab mein Theil gethan und bin’s zufrieden. 1864. Und ſeit fünfzig Jahren bin ich nicht mehr aus dieſen Wäldern gekommen. Und die Waldleute entſtehen, leben und ver- gehen dahier und ſteigen in ihrem ganzen Lebens- lauf nicht ein einzigmal auf den Berg, wo man die Herrlichkeit kann ſehen, und am hellen Winter- tag das Meer.

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/438>, abgerufen am 21.11.2024.