Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Herrgott, führe mich nicht in Versuchung! Sie ist
noch gar so jung. Sie hat mich freundlich und
heiter entlassen. Ein Schlucker geht davon, ein
gemachter Mann kehrt vielleicht wieder zurück.
Mehr Trotz als Muth ist in mir gewesen.

Meine alte Muhme habe ich noch besucht.
Jetztund, wie ich nicht mehr im feinen Frack,
sondern in einem groben Zwilchrock vor ihr stehe
und ihr meinen Entschluß sage, daß ich fortginge,
fort, vielleicht zur Rechten, vielleicht zur Linken
hin -- -- da hat nicht viel gefehlt, daß ich wieder
die ausdrucksvolle Bezeichnung bekomme. "Nein,"
ruft sie, "nein, aber du bist ein -- ein -- recht
absonderlicher Mensch! Da ist er schon völlig ein
braver, rechtschaffener Mann gewesen, und jetzt --
ach, geh' mir weiter!"

Sie ist meine einzige Verwandte auf der
Welt.

Zu Heinrich bin ich endlich gegangen: "Ich
danke dir zu tausendmal für deine Lieb'! du ge-
treuer Freund, wie thut es mir weh', daß ich sie
dir nicht lohnen kann. Du weißt, was geschehen
ist. Wie du mich hier siehst, so gehe ich davon.
Habe ich etwas Bedeutendes vollbracht, so werde
ich wiederkehren und dir vergelten."

Es ist mir nicht mehr erinnerlich, ob ich ihm
auch noch das schmerzenreiche, das wonnige Wort

Rosegger: Waldschulmeister. 4

Herrgott, führe mich nicht in Verſuchung! Sie iſt
noch gar ſo jung. Sie hat mich freundlich und
heiter entlaſſen. Ein Schlucker geht davon, ein
gemachter Mann kehrt vielleicht wieder zurück.
Mehr Trotz als Muth iſt in mir geweſen.

Meine alte Muhme habe ich noch beſucht.
Jetztund, wie ich nicht mehr im feinen Frack,
ſondern in einem groben Zwilchrock vor ihr ſtehe
und ihr meinen Entſchluß ſage, daß ich fortginge,
fort, vielleicht zur Rechten, vielleicht zur Linken
hin — — da hat nicht viel gefehlt, daß ich wieder
die ausdrucksvolle Bezeichnung bekomme. „Nein,“
ruft ſie, „nein, aber du biſt ein — ein — recht
abſonderlicher Menſch! Da iſt er ſchon völlig ein
braver, rechtſchaffener Mann geweſen, und jetzt —
ach, geh’ mir weiter!“

Sie iſt meine einzige Verwandte auf der
Welt.

Zu Heinrich bin ich endlich gegangen: „Ich
danke dir zu tauſendmal für deine Lieb’! du ge-
treuer Freund, wie thut es mir weh’, daß ich ſie
dir nicht lohnen kann. Du weißt, was geſchehen
iſt. Wie du mich hier ſiehſt, ſo gehe ich davon.
Habe ich etwas Bedeutendes vollbracht, ſo werde
ich wiederkehren und dir vergelten.“

Es iſt mir nicht mehr erinnerlich, ob ich ihm
auch noch das ſchmerzenreiche, das wonnige Wort

Roſegger: Waldſchulmeiſter. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0059" n="49"/>
Herrgott, führe mich nicht in Ver&#x017F;uchung! Sie i&#x017F;t<lb/>
noch gar &#x017F;o jung. Sie hat mich freundlich und<lb/>
heiter entla&#x017F;&#x017F;en. Ein Schlucker geht davon, ein<lb/>
gemachter Mann kehrt vielleicht wieder zurück.<lb/>
Mehr Trotz als Muth i&#x017F;t in mir gewe&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Meine alte Muhme habe ich noch be&#x017F;ucht.<lb/>
Jetztund, wie ich nicht mehr im feinen Frack,<lb/>
&#x017F;ondern in einem groben Zwilchrock vor ihr &#x017F;tehe<lb/>
und ihr meinen Ent&#x017F;chluß &#x017F;age, daß ich fortginge,<lb/>
fort, vielleicht zur Rechten, vielleicht zur Linken<lb/>
hin &#x2014; &#x2014; da hat nicht viel gefehlt, daß ich wieder<lb/>
die ausdrucksvolle Bezeichnung bekomme. &#x201E;Nein,&#x201C;<lb/>
ruft &#x017F;ie, &#x201E;nein, aber du bi&#x017F;t ein &#x2014; ein &#x2014; recht<lb/>
ab&#x017F;onderlicher Men&#x017F;ch! Da i&#x017F;t er &#x017F;chon völlig ein<lb/>
braver, recht&#x017F;chaffener Mann gewe&#x017F;en, und jetzt &#x2014;<lb/>
ach, geh&#x2019; mir weiter!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie i&#x017F;t meine einzige Verwandte auf der<lb/>
Welt.</p><lb/>
        <p>Zu Heinrich bin ich endlich gegangen: &#x201E;Ich<lb/>
danke dir zu tau&#x017F;endmal für deine Lieb&#x2019;! du ge-<lb/>
treuer Freund, wie thut es mir weh&#x2019;, daß ich &#x017F;ie<lb/>
dir nicht lohnen kann. Du weißt, was ge&#x017F;chehen<lb/>
i&#x017F;t. Wie du mich hier &#x017F;ieh&#x017F;t, &#x017F;o gehe ich davon.<lb/>
Habe ich etwas Bedeutendes vollbracht, &#x017F;o werde<lb/>
ich wiederkehren und dir vergelten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t mir nicht mehr erinnerlich, ob ich ihm<lb/>
auch noch das &#x017F;chmerzenreiche, das wonnige Wort<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Ro&#x017F;egger: Wald&#x017F;chulmei&#x017F;ter. 4</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0059] Herrgott, führe mich nicht in Verſuchung! Sie iſt noch gar ſo jung. Sie hat mich freundlich und heiter entlaſſen. Ein Schlucker geht davon, ein gemachter Mann kehrt vielleicht wieder zurück. Mehr Trotz als Muth iſt in mir geweſen. Meine alte Muhme habe ich noch beſucht. Jetztund, wie ich nicht mehr im feinen Frack, ſondern in einem groben Zwilchrock vor ihr ſtehe und ihr meinen Entſchluß ſage, daß ich fortginge, fort, vielleicht zur Rechten, vielleicht zur Linken hin — — da hat nicht viel gefehlt, daß ich wieder die ausdrucksvolle Bezeichnung bekomme. „Nein,“ ruft ſie, „nein, aber du biſt ein — ein — recht abſonderlicher Menſch! Da iſt er ſchon völlig ein braver, rechtſchaffener Mann geweſen, und jetzt — ach, geh’ mir weiter!“ Sie iſt meine einzige Verwandte auf der Welt. Zu Heinrich bin ich endlich gegangen: „Ich danke dir zu tauſendmal für deine Lieb’! du ge- treuer Freund, wie thut es mir weh’, daß ich ſie dir nicht lohnen kann. Du weißt, was geſchehen iſt. Wie du mich hier ſiehſt, ſo gehe ich davon. Habe ich etwas Bedeutendes vollbracht, ſo werde ich wiederkehren und dir vergelten.“ Es iſt mir nicht mehr erinnerlich, ob ich ihm auch noch das ſchmerzenreiche, das wonnige Wort Roſegger: Waldſchulmeiſter. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/59
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/59>, abgerufen am 16.05.2024.