Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

See, und denke an die Tage, in welchen ich im
Kahn bei Vater und Mutter über die weichen
Wellen gefahren bin. Das Abendroth ist auf den
Bergen gestanden; der Sangschall einer Almerin
hat an die Wände geschlagen. Mein Vater und
meine Mutter haben auch helle Lieder gesungen.
Das ist voreh gewesen; voreh . . . .

Ich bin in Frankreich auf der Festung gele-
gen drei Jahre lang; ich bin krank und sterbend
in den Wüsten Rußlands geirrt und nun leb' ich
in dir, du mildes, trautes Stübchen am See. --
Es wär' ja Alles gut, die Zeit der Noth versinkt,
wie ein Traumbild; -- nur du solltest nimmer
aufgegangen sein, du unglückseliger Tag im Sach-
senland, du wirst mich ewiglich brennen. -- Hein-
rich, ich fürchte mich nicht vor deiner Grabgestalt;
nur ein einzigmal trete zu mir, daß ich dir sag:
es ist in Blindheit geschehen, ich kann nicht mehr
anders -- mit meinem eigenen Leben will ich's
löschen . . . .



Nun ist es gut. Ich habe mich seit vielen
Tagen geprüft; habe mein Vorleben erforscht, und
es in kurzen Worten hier aufgeschrieben, auf daß
es mir stets um so klarer vor Augen liege, wenn
neue Wirrniß und Trübsal über mich kommen
wird. Ich denke wol, daß ich die Schule des

See, und denke an die Tage, in welchen ich im
Kahn bei Vater und Mutter über die weichen
Wellen gefahren bin. Das Abendroth iſt auf den
Bergen geſtanden; der Sangſchall einer Almerin
hat an die Wände geſchlagen. Mein Vater und
meine Mutter haben auch helle Lieder geſungen.
Das iſt voreh geweſen; voreh . . . .

Ich bin in Frankreich auf der Feſtung gele-
gen drei Jahre lang; ich bin krank und ſterbend
in den Wüſten Rußlands geirrt und nun leb’ ich
in dir, du mildes, trautes Stübchen am See. —
Es wär’ ja Alles gut, die Zeit der Noth verſinkt,
wie ein Traumbild; — nur du ſollteſt nimmer
aufgegangen ſein, du unglückſeliger Tag im Sach-
ſenland, du wirſt mich ewiglich brennen. — Hein-
rich, ich fürchte mich nicht vor deiner Grabgeſtalt;
nur ein einzigmal trete zu mir, daß ich dir ſag:
es iſt in Blindheit geſchehen, ich kann nicht mehr
anders — mit meinem eigenen Leben will ich’s
löſchen . . . .



Nun iſt es gut. Ich habe mich ſeit vielen
Tagen geprüft; habe mein Vorleben erforſcht, und
es in kurzen Worten hier aufgeſchrieben, auf daß
es mir ſtets um ſo klarer vor Augen liege, wenn
neue Wirrniß und Trübſal über mich kommen
wird. Ich denke wol, daß ich die Schule des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="64"/>
See, und denke an die Tage, in welchen ich im<lb/>
Kahn bei Vater und Mutter über die weichen<lb/>
Wellen gefahren bin. Das Abendroth i&#x017F;t auf den<lb/>
Bergen ge&#x017F;tanden; der Sang&#x017F;chall einer Almerin<lb/>
hat an die Wände ge&#x017F;chlagen. Mein Vater und<lb/>
meine Mutter haben auch helle Lieder ge&#x017F;ungen.<lb/>
Das i&#x017F;t voreh gewe&#x017F;en; voreh . . . .</p><lb/>
        <p>Ich bin in Frankreich auf der Fe&#x017F;tung gele-<lb/>
gen drei Jahre lang; ich bin krank und &#x017F;terbend<lb/>
in den Wü&#x017F;ten Rußlands geirrt und nun leb&#x2019; ich<lb/>
in dir, du mildes, trautes Stübchen am See. &#x2014;<lb/>
Es wär&#x2019; ja Alles gut, die Zeit der Noth ver&#x017F;inkt,<lb/>
wie ein Traumbild; &#x2014; nur du &#x017F;ollte&#x017F;t nimmer<lb/>
aufgegangen &#x017F;ein, du unglück&#x017F;eliger Tag im Sach-<lb/>
&#x017F;enland, du wir&#x017F;t mich ewiglich brennen. &#x2014; Hein-<lb/>
rich, ich fürchte mich nicht vor deiner Grabge&#x017F;talt;<lb/>
nur ein einzigmal trete zu mir, daß ich dir &#x017F;ag:<lb/>
es i&#x017F;t in Blindheit ge&#x017F;chehen, ich kann nicht mehr<lb/>
anders &#x2014; mit meinem eigenen Leben will ich&#x2019;s<lb/>&#x017F;chen . . . .</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Nun i&#x017F;t es gut. Ich habe mich &#x017F;eit vielen<lb/>
Tagen geprüft; habe mein Vorleben erfor&#x017F;cht, und<lb/>
es in kurzen Worten hier aufge&#x017F;chrieben, auf daß<lb/>
es mir &#x017F;tets um &#x017F;o klarer vor Augen liege, wenn<lb/>
neue Wirrniß und Trüb&#x017F;al über mich kommen<lb/>
wird. Ich denke wol, daß ich die Schule des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0074] See, und denke an die Tage, in welchen ich im Kahn bei Vater und Mutter über die weichen Wellen gefahren bin. Das Abendroth iſt auf den Bergen geſtanden; der Sangſchall einer Almerin hat an die Wände geſchlagen. Mein Vater und meine Mutter haben auch helle Lieder geſungen. Das iſt voreh geweſen; voreh . . . . Ich bin in Frankreich auf der Feſtung gele- gen drei Jahre lang; ich bin krank und ſterbend in den Wüſten Rußlands geirrt und nun leb’ ich in dir, du mildes, trautes Stübchen am See. — Es wär’ ja Alles gut, die Zeit der Noth verſinkt, wie ein Traumbild; — nur du ſollteſt nimmer aufgegangen ſein, du unglückſeliger Tag im Sach- ſenland, du wirſt mich ewiglich brennen. — Hein- rich, ich fürchte mich nicht vor deiner Grabgeſtalt; nur ein einzigmal trete zu mir, daß ich dir ſag: es iſt in Blindheit geſchehen, ich kann nicht mehr anders — mit meinem eigenen Leben will ich’s löſchen . . . . Nun iſt es gut. Ich habe mich ſeit vielen Tagen geprüft; habe mein Vorleben erforſcht, und es in kurzen Worten hier aufgeſchrieben, auf daß es mir ſtets um ſo klarer vor Augen liege, wenn neue Wirrniß und Trübſal über mich kommen wird. Ich denke wol, daß ich die Schule des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/74
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/74>, abgerufen am 27.11.2024.