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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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glücklicher Weise zu lachen machten. Wir erblicken sie durch
das Auge eines Jean Paul oder Dickens Boz und sie
gewinnen sofort einen komischen Reiz. Wir können nicht
über die Straße gehen, ohne nicht unaufhörlichen Stoff zu
solchen humoresken Betrachtungen zu finden. Da begegnet
uns ein Meubelwagen, auf welchem Sopha's, Tische,
Küchengeräth, Betten, Gemälde in eine Nachbarschaft gerathen
sind, die, nach ihrer sonstigen Vertheilung, von ihnen selbst
für unmöglich gehalten werden würde. Oder jenes Haus
dort zeigt uns im Erdgeschoß einen Flickschuster, parterre
einen Cigarrenladen mit obligater Bierstube, darüber einen
Pariser Modeschneider und oben in der Dachstube einen
Orientalischen Blumenmaler. Wie sinnreich ist nicht dies
vom Zufall zusammengewürfelte Durcheinander! Oder wir
treten in einen Buchladen und sehen auf dem Auslegetisch
Classiker, Kochbücher, Kinderschriften, gegen einander wüthende
Brochüren, in den witzigsten Combinationen sich berühren, wie
nur ein Washington Irwing oder Gutzkow für ihre
satirische Laune es sich wünschen könnten. Und nun gar
der Trödel! Welch ein Meister des Humors ist er nicht in
der Unschuld, mit welcher er abgeblichene Familienportraits
und mottenzerfressene Pelze, alte Bücher und Nachtstühle,
Schleppsäbel und Küchenbesen, Reisekoffer und Waldhörner
durcheinander mischt! Märkte, Gasthäuser, Schlachtfelder,
Postkutschen wimmeln von solchen Improvisationen des
neckischen Wirrwarrs. Die Heterogeneität der mannigfachen
Existenzen verändert in ihrer Berührung den gewöhnlichen
Werth der Dinge durch Beziehungen, die ihnen für unsere
Anschauung aufgedrängt werden. Der Zufall kann allerdings
sehr prosaisch und geistlos, er kann aber auch sehr poetisch
und witzig sein. Dinge, die sonst weit auseinander liegen

glücklicher Weiſe zu lachen machten. Wir erblicken ſie durch
das Auge eines Jean Paul oder Dickens Boz und ſie
gewinnen ſofort einen komiſchen Reiz. Wir können nicht
über die Straße gehen, ohne nicht unaufhörlichen Stoff zu
ſolchen humoresken Betrachtungen zu finden. Da begegnet
uns ein Meubelwagen, auf welchem Sopha's, Tiſche,
Küchengeräth, Betten, Gemälde in eine Nachbarſchaft gerathen
ſind, die, nach ihrer ſonſtigen Vertheilung, von ihnen ſelbſt
für unmöglich gehalten werden würde. Oder jenes Haus
dort zeigt uns im Erdgeſchoß einen Flickſchuſter, parterre
einen Cigarrenladen mit obligater Bierſtube, darüber einen
Pariſer Modeſchneider und oben in der Dachſtube einen
Orientaliſchen Blumenmaler. Wie ſinnreich iſt nicht dies
vom Zufall zuſammengewürfelte Durcheinander! Oder wir
treten in einen Buchladen und ſehen auf dem Auslegetiſch
Claſſiker, Kochbücher, Kinderſchriften, gegen einander wüthende
Brochüren, in den witzigſten Combinationen ſich berühren, wie
nur ein Washington Irwing oder Gutzkow für ihre
ſatiriſche Laune es ſich wünſchen könnten. Und nun gar
der Trödel! Welch ein Meiſter des Humors iſt er nicht in
der Unſchuld, mit welcher er abgeblichene Familienportraits
und mottenzerfreſſene Pelze, alte Bücher und Nachtſtühle,
Schleppſäbel und Küchenbeſen, Reiſekoffer und Waldhörner
durcheinander miſcht! Märkte, Gaſthäuſer, Schlachtfelder,
Poſtkutſchen wimmeln von ſolchen Improviſationen des
neckiſchen Wirrwarrs. Die Heterogeneität der mannigfachen
Exiſtenzen verändert in ihrer Berührung den gewöhnlichen
Werth der Dinge durch Beziehungen, die ihnen für unſere
Anſchauung aufgedrängt werden. Der Zufall kann allerdings
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und witzig ſein. Dinge, die ſonſt weit auseinander liegen

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[79/0101] glücklicher Weiſe zu lachen machten. Wir erblicken ſie durch das Auge eines Jean Paul oder Dickens Boz und ſie gewinnen ſofort einen komiſchen Reiz. Wir können nicht über die Straße gehen, ohne nicht unaufhörlichen Stoff zu ſolchen humoresken Betrachtungen zu finden. Da begegnet uns ein Meubelwagen, auf welchem Sopha's, Tiſche, Küchengeräth, Betten, Gemälde in eine Nachbarſchaft gerathen ſind, die, nach ihrer ſonſtigen Vertheilung, von ihnen ſelbſt für unmöglich gehalten werden würde. Oder jenes Haus dort zeigt uns im Erdgeſchoß einen Flickſchuſter, parterre einen Cigarrenladen mit obligater Bierſtube, darüber einen Pariſer Modeſchneider und oben in der Dachſtube einen Orientaliſchen Blumenmaler. Wie ſinnreich iſt nicht dies vom Zufall zuſammengewürfelte Durcheinander! Oder wir treten in einen Buchladen und ſehen auf dem Auslegetiſch Claſſiker, Kochbücher, Kinderſchriften, gegen einander wüthende Brochüren, in den witzigſten Combinationen ſich berühren, wie nur ein Washington Irwing oder Gutzkow für ihre ſatiriſche Laune es ſich wünſchen könnten. Und nun gar der Trödel! Welch ein Meiſter des Humors iſt er nicht in der Unſchuld, mit welcher er abgeblichene Familienportraits und mottenzerfreſſene Pelze, alte Bücher und Nachtſtühle, Schleppſäbel und Küchenbeſen, Reiſekoffer und Waldhörner durcheinander miſcht! Märkte, Gaſthäuſer, Schlachtfelder, Poſtkutſchen wimmeln von ſolchen Improviſationen des neckiſchen Wirrwarrs. Die Heterogeneität der mannigfachen Exiſtenzen verändert in ihrer Berührung den gewöhnlichen Werth der Dinge durch Beziehungen, die ihnen für unſere Anſchauung aufgedrängt werden. Der Zufall kann allerdings ſehr proſaiſch und geiſtlos, er kann aber auch ſehr poetiſch und witzig ſein. Dinge, die ſonſt weit auseinander liegen

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/101>, abgerufen am 27.11.2024.