Trunkenheit kann liebenswürdig erscheinen, so lange sie die Freiheit des Menschen steigert und ihm nur die Schranken wegräumt, die ihn sonst einengen. Als enthusiastische kann sie daher die Gestalt sogar verklären, wie die festliche Raserei der himmelanschauenden Mänaden. Dem Silenos hat das Bakchische Feuer zwar den Gebrauch seiner Füße geraubt; man muß ihm auf den Esel helfen; allein sein sinniges Lächeln zeigt, daß die göttliche Trunkenheit die Gegenwart seines Geistes nur intensiver gespannt, keineswegs vernichtet hat. Der Uebergang des Trunkenen aus der Besonnenheit in die Unbewußtheit ist die Zeugestätte für die Possenreißerei und selbst für die feinere Komik, wenn sie Jemand als "bespitzt" darstellt. Erreicht aber die Trunkenheit einen Grad, der dem Menschen alle Besinnung raubt, so wird sie nothwendig häßlich. In vielen Aesthetiken wird zwar ohne Weiteres vom Betrunkenen so gesprochen, als ob er un¬ mittelbar lächerlich sei. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, denn der Untergang der persönlichen Freiheit, der den Menschen dem Thier nähert, kann nur häßlich erscheinen. Lächerlich kann dieser Zustand nur so lange sein, als er die Freiheit in vergeblichem Kampf mit der Natur darstellt und wir bei dieser Anschauung von aller sittlichen Zurechnung einstweilen wegsehen. Das Lallen und Stottern des Trunkenen, sein Schwanken, sein unbewachtes Ausplaudern von Geheimnissen, seine Monologe, seine Dialoge mit nicht vorhandenen Per¬ sonen, seine Kreuz- und Queerzüge von A. bis Z. sind komisch, so lange sie noch eine gewisse Selbstbeherrschung verrathen. Schon kann der Betrunkene nicht anders, als dem Zufall und der Willkür anheimfallen, aber noch möchte er anders und dieser Schein der im Nebel seines Unbewußtseins unter¬ gehenden Freiheit ist für uns komisch. Wegen dieser Unent¬
Trunkenheit kann liebenswürdig erſcheinen, ſo lange ſie die Freiheit des Menſchen ſteigert und ihm nur die Schranken wegräumt, die ihn ſonſt einengen. Als enthuſiaſtiſche kann ſie daher die Geſtalt ſogar verklären, wie die feſtliche Raſerei der himmelanſchauenden Mänaden. Dem Silenos hat das Bakchiſche Feuer zwar den Gebrauch ſeiner Füße geraubt; man muß ihm auf den Eſel helfen; allein ſein ſinniges Lächeln zeigt, daß die göttliche Trunkenheit die Gegenwart ſeines Geiſtes nur intenſiver geſpannt, keineswegs vernichtet hat. Der Uebergang des Trunkenen aus der Beſonnenheit in die Unbewußtheit iſt die Zeugeſtätte für die Poſſenreißerei und ſelbſt für die feinere Komik, wenn ſie Jemand als „beſpitzt“ darſtellt. Erreicht aber die Trunkenheit einen Grad, der dem Menſchen alle Beſinnung raubt, ſo wird ſie nothwendig häßlich. In vielen Aeſthetiken wird zwar ohne Weiteres vom Betrunkenen ſo geſprochen, als ob er un¬ mittelbar lächerlich ſei. Dies iſt jedoch keineswegs der Fall, denn der Untergang der perſönlichen Freiheit, der den Menſchen dem Thier nähert, kann nur häßlich erſcheinen. Lächerlich kann dieſer Zuſtand nur ſo lange ſein, als er die Freiheit in vergeblichem Kampf mit der Natur darſtellt und wir bei dieſer Anſchauung von aller ſittlichen Zurechnung einſtweilen wegſehen. Das Lallen und Stottern des Trunkenen, ſein Schwanken, ſein unbewachtes Ausplaudern von Geheimniſſen, ſeine Monologe, ſeine Dialoge mit nicht vorhandenen Per¬ ſonen, ſeine Kreuz- und Queerzüge von A. bis Z. ſind komiſch, ſo lange ſie noch eine gewiſſe Selbſtbeherrſchung verrathen. Schon kann der Betrunkene nicht anders, als dem Zufall und der Willkür anheimfallen, aber noch möchte er anders und dieſer Schein der im Nebel ſeines Unbewußtſeins unter¬ gehenden Freiheit iſt für uns komiſch. Wegen dieſer Unent¬
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Trunkenheit kann liebenswürdig erſcheinen, ſo lange ſie
die Freiheit des Menſchen ſteigert und ihm nur die Schranken
wegräumt, die ihn ſonſt einengen. Als enthuſiaſtiſche kann
ſie daher die Geſtalt ſogar verklären, wie die feſtliche Raſerei
der himmelanſchauenden Mänaden. Dem Silenos hat das
Bakchiſche Feuer zwar den Gebrauch ſeiner Füße geraubt;
man muß ihm auf den Eſel helfen; allein ſein ſinniges
Lächeln zeigt, daß die göttliche Trunkenheit die Gegenwart
ſeines Geiſtes nur intenſiver geſpannt, keineswegs vernichtet
hat. Der Uebergang des Trunkenen aus der Beſonnenheit
in die Unbewußtheit iſt die Zeugeſtätte für die Poſſenreißerei
und ſelbſt für die feinere Komik, wenn ſie Jemand als
„beſpitzt“ darſtellt. Erreicht aber die Trunkenheit einen
Grad, der dem Menſchen alle Beſinnung raubt, ſo wird ſie
nothwendig häßlich. In vielen Aeſthetiken wird zwar ohne
Weiteres vom Betrunkenen ſo geſprochen, als ob er un¬
mittelbar lächerlich ſei. Dies iſt jedoch keineswegs der Fall,
denn der Untergang der perſönlichen Freiheit, der den Menſchen
dem Thier nähert, kann nur häßlich erſcheinen. Lächerlich
kann dieſer Zuſtand nur ſo lange ſein, als er die Freiheit
in vergeblichem Kampf mit der Natur darſtellt und wir bei
dieſer Anſchauung von aller ſittlichen Zurechnung einſtweilen
wegſehen. Das Lallen und Stottern des Trunkenen, ſein
Schwanken, ſein unbewachtes Ausplaudern von Geheimniſſen,
ſeine Monologe, ſeine Dialoge mit nicht vorhandenen Per¬
ſonen, ſeine Kreuz- und Queerzüge von A. bis Z. ſind komiſch,
ſo lange ſie noch eine gewiſſe Selbſtbeherrſchung verrathen.
Schon kann der Betrunkene nicht anders, als dem Zufall
und der Willkür anheimfallen, aber noch möchte er anders
und dieſer Schein der im Nebel ſeines Unbewußtſeins unter¬
gehenden Freiheit iſt für uns komiſch. Wegen dieſer Unent¬
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/255>, abgerufen am 22.11.2024.
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