ethisch und ästhetisch gemein und niedrig sind sie gewiß auch. Daß die Liebenden hinterher nach Amerika ziehen dort sehr tugendhaft werden und ein rührendes Ende nehmen, das Vorbild zu Chateaubriands Atala, ist keine Rechtfertigung, sondern ethisch und ästhetisch ein Fehler, weil diese Manon und dieser Desgrieur auf Amerikanischem Boden gar nicht mehr dieselben Personen sind, George Sand hat sich verleiten lassen, in ihrem Leone Leoni ein Seitenstück zur Manon liefern zu wollen, mit dem Unterschiede, daß Julie keusch ist und das Gewerbe Leoni's, der auch ein falscher Spieler, nicht kennt. Sie ist aber ganz ins Häßliche ver¬ fallen, denn, was bei Prevot d'Exiles durch die offne Ueberein¬ kunft der Liebenden zu einer, wie wir oben sagten, verkehrten Unschuld wird, das wird durch die Tücke und den Zwang Leonis gegen Julie, die er einem Engländer in der brutalsten Weise verhandelt, zum Unerträglichen. Die Treue Manons hat nichts Unnatürliches, aber die leidenschaftliche Anhäglich¬ keit Juliens an ein sittliches Ungeheuer, das sie zu einem Mittel des Erwerbs hat erniedrigen wollen und sie auf das Ehrloseste betrügt, ist empörend (53).
Diese ganze Region der sexuellen Gemeinheit kann nur durch die Komik ästhetisch befreiet werden. Die ethische Seite muß in diesem Fall ignorirt und nur der thatsäch¬ liche Widerspruch, der in der Situation als solcher liegt, festgehalten werden. Die Komik muß sich nur dem Geschehen als solchem zuwenden, denn jede tiefere Auffassung würde sie stören. Byron hat in seinem Don Juan diese Komik in sehr pikanten Scenen geübt, die uns lachen lassen, ohne uns zu entrüsten. Julia, die üppige Spaniern, stopft, als ihr Mann mit den Alguazils in ihr Zimmer dringt, Don Juan unter das Bettdeck und hält nun eine fulminante
ethiſch und äſthetiſch gemein und niedrig ſind ſie gewiß auch. Daß die Liebenden hinterher nach Amerika ziehen dort ſehr tugendhaft werden und ein rührendes Ende nehmen, das Vorbild zu Chateaubriands Atala, iſt keine Rechtfertigung, ſondern ethiſch und äſthetiſch ein Fehler, weil dieſe Manon und dieſer Desgrieur auf Amerikaniſchem Boden gar nicht mehr dieſelben Perſonen ſind, George Sand hat ſich verleiten laſſen, in ihrem Leone Leoni ein Seitenſtück zur Manon liefern zu wollen, mit dem Unterſchiede, daß Julie keuſch iſt und das Gewerbe Leoni's, der auch ein falſcher Spieler, nicht kennt. Sie iſt aber ganz ins Häßliche ver¬ fallen, denn, was bei Prevôt d'Exiles durch die offne Ueberein¬ kunft der Liebenden zu einer, wie wir oben ſagten, verkehrten Unſchuld wird, das wird durch die Tücke und den Zwang Leonis gegen Julie, die er einem Engländer in der brutalſten Weiſe verhandelt, zum Unerträglichen. Die Treue Manons hat nichts Unnatürliches, aber die leidenſchaftliche Anhäglich¬ keit Juliens an ein ſittliches Ungeheuer, das ſie zu einem Mittel des Erwerbs hat erniedrigen wollen und ſie auf das Ehrloſeſte betrügt, iſt empörend (53).
Dieſe ganze Region der ſexuellen Gemeinheit kann nur durch die Komik äſthetiſch befreiet werden. Die ethiſche Seite muß in dieſem Fall ignorirt und nur der thatſäch¬ liche Widerſpruch, der in der Situation als ſolcher liegt, feſtgehalten werden. Die Komik muß ſich nur dem Geſchehen als ſolchem zuwenden, denn jede tiefere Auffaſſung würde ſie ſtören. Byron hat in ſeinem Don Juan dieſe Komik in ſehr pikanten Scenen geübt, die uns lachen laſſen, ohne uns zu entrüſten. Julia, die üppige Spaniern, ſtopft, als ihr Mann mit den Alguazils in ihr Zimmer dringt, Don Juan unter das Bettdeck und hält nun eine fulminante
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0268"n="246"/>
ethiſch und äſthetiſch gemein und niedrig ſind ſie gewiß auch.<lb/>
Daß die Liebenden hinterher nach Amerika ziehen dort ſehr<lb/>
tugendhaft werden und ein rührendes Ende nehmen, das<lb/>
Vorbild zu Chateaubriands Atala, iſt keine Rechtfertigung,<lb/>ſondern ethiſch und äſthetiſch ein Fehler, weil dieſe Manon<lb/>
und dieſer Desgrieur auf Amerikaniſchem Boden gar nicht<lb/>
mehr dieſelben Perſonen ſind, <hirendition="#g">George Sand</hi> hat ſich<lb/>
verleiten laſſen, in ihrem <hirendition="#g">Leone Leoni</hi> ein Seitenſtück zur<lb/>
Manon liefern zu wollen, mit dem Unterſchiede, daß Julie<lb/>
keuſch iſt und das Gewerbe Leoni's, der auch ein falſcher<lb/>
Spieler, nicht kennt. Sie iſt aber ganz ins Häßliche ver¬<lb/>
fallen, denn, was bei Prev<hirendition="#aq">ô</hi>t d'Exiles durch die offne Ueberein¬<lb/>
kunft der Liebenden zu einer, wie wir oben ſagten, verkehrten<lb/>
Unſchuld wird, das wird durch die Tücke und den Zwang<lb/>
Leonis gegen Julie, die er einem Engländer in der brutalſten<lb/>
Weiſe verhandelt, zum Unerträglichen. Die Treue Manons<lb/>
hat nichts Unnatürliches, aber die leidenſchaftliche Anhäglich¬<lb/>
keit Juliens an ein ſittliches Ungeheuer, das ſie zu einem<lb/>
Mittel des Erwerbs hat erniedrigen wollen und ſie auf das<lb/>
Ehrloſeſte betrügt, iſt empörend (53).</p><lb/><p>Dieſe ganze Region der ſexuellen Gemeinheit kann nur<lb/>
durch die Komik äſthetiſch befreiet werden. Die ethiſche<lb/>
Seite muß in dieſem Fall ignorirt und nur der thatſäch¬<lb/>
liche Widerſpruch, der in der Situation als ſolcher liegt,<lb/>
feſtgehalten werden. Die Komik muß ſich nur dem Geſchehen<lb/>
als ſolchem zuwenden, denn jede tiefere Auffaſſung würde<lb/>ſie ſtören. <hirendition="#g">Byron</hi> hat in ſeinem <hirendition="#g">Don Juan</hi> dieſe Komik<lb/>
in ſehr pikanten Scenen geübt, die uns lachen laſſen, ohne<lb/>
uns zu entrüſten. Julia, die üppige Spaniern, ſtopft, als<lb/>
ihr Mann mit den Alguazils in ihr Zimmer dringt, Don<lb/>
Juan unter das Bettdeck und hält nun eine fulminante<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[246/0268]
ethiſch und äſthetiſch gemein und niedrig ſind ſie gewiß auch.
Daß die Liebenden hinterher nach Amerika ziehen dort ſehr
tugendhaft werden und ein rührendes Ende nehmen, das
Vorbild zu Chateaubriands Atala, iſt keine Rechtfertigung,
ſondern ethiſch und äſthetiſch ein Fehler, weil dieſe Manon
und dieſer Desgrieur auf Amerikaniſchem Boden gar nicht
mehr dieſelben Perſonen ſind, George Sand hat ſich
verleiten laſſen, in ihrem Leone Leoni ein Seitenſtück zur
Manon liefern zu wollen, mit dem Unterſchiede, daß Julie
keuſch iſt und das Gewerbe Leoni's, der auch ein falſcher
Spieler, nicht kennt. Sie iſt aber ganz ins Häßliche ver¬
fallen, denn, was bei Prevôt d'Exiles durch die offne Ueberein¬
kunft der Liebenden zu einer, wie wir oben ſagten, verkehrten
Unſchuld wird, das wird durch die Tücke und den Zwang
Leonis gegen Julie, die er einem Engländer in der brutalſten
Weiſe verhandelt, zum Unerträglichen. Die Treue Manons
hat nichts Unnatürliches, aber die leidenſchaftliche Anhäglich¬
keit Juliens an ein ſittliches Ungeheuer, das ſie zu einem
Mittel des Erwerbs hat erniedrigen wollen und ſie auf das
Ehrloſeſte betrügt, iſt empörend (53).
Dieſe ganze Region der ſexuellen Gemeinheit kann nur
durch die Komik äſthetiſch befreiet werden. Die ethiſche
Seite muß in dieſem Fall ignorirt und nur der thatſäch¬
liche Widerſpruch, der in der Situation als ſolcher liegt,
feſtgehalten werden. Die Komik muß ſich nur dem Geſchehen
als ſolchem zuwenden, denn jede tiefere Auffaſſung würde
ſie ſtören. Byron hat in ſeinem Don Juan dieſe Komik
in ſehr pikanten Scenen geübt, die uns lachen laſſen, ohne
uns zu entrüſten. Julia, die üppige Spaniern, ſtopft, als
ihr Mann mit den Alguazils in ihr Zimmer dringt, Don
Juan unter das Bettdeck und hält nun eine fulminante
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/268>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.