Predigt, wie man so schamlos sein könne, bis an ihr Bett zu dringen. Man durchsucht Alles in der Stube bis unter das Bett und findet nichts Verdächtiges, während der Schuldige im Bette schwitzt. Oder Don Juan wird von der Sultanin in Konstantinopel als Sclav gekauft, als Mädchen verkleidet, in den Harem gesteckt, da es aber noch an einem Bett für ihn fehlt, provisorisch für die erste Nacht einer der Odalisken zugesellt, welche dann einen so sonder¬ baren und lebhaften Traum träumt, daß ihr Aufschrei den ganzen Schlafsaal in Aufruhr bringt. In diesen Fällen muß die Komik, wie gesagt, von aller sittlichen Kritik abstrahiren, allein die Möglichkeit dieser Abstraction muß auch in dem ganzen übrigen Complex der Umstände liegen, wie wir z. B. hier in einem Harem von einem als Mädchen verkleideten Don Juan, der ohne sein Zuthun einer Odaliskin als Bett¬ genosse zuertheilt wird, die Vergessenheit der ethischen Postu¬ late nicht überraschend finden werden. Byron malt in seinem Don Juan niemals in der Weise mit lüsternen Farben, wie es Wieland thut, der sich im Auskosten des Sinn¬ lichen gefällt. Unter den Neuern hat sich für dies Genre vorzüglich Paul de Kock die frische Sorglosigkeit bewahrt, ohne welche es durch und durch abstoßend ist. Man fühlt ihm an, daß das Lächerliche der Situation ihm die Haupt¬ sache ist und daß er das Sinnliche zwar lasciv, allein ohne Hintergedanken behandelt. So läßt er einmal eine alte Jungfer auf die Vorstellung verfallen, alle sexuelle Unsittlich¬ keit lediglich daraus abzuleiten, daß so viele Frauenzimmer keine Hosen trügen. Sie duldet daher in ihrem Hause kein weibliches Wesen, das nicht bebeinkleidert wäre. Miethet sie eine Magd, so muß dieselbe angeloben, Hosen zu tragen. Eingetreten in das Haus, muß sie erscheinen, die Röcke auf¬
Predigt, wie man ſo ſchamlos ſein könne, bis an ihr Bett zu dringen. Man durchſucht Alles in der Stube bis unter das Bett und findet nichts Verdächtiges, während der Schuldige im Bette ſchwitzt. Oder Don Juan wird von der Sultanin in Konſtantinopel als Sclav gekauft, als Mädchen verkleidet, in den Harem geſteckt, da es aber noch an einem Bett für ihn fehlt, proviſoriſch für die erſte Nacht einer der Odalisken zugeſellt, welche dann einen ſo ſonder¬ baren und lebhaften Traum träumt, daß ihr Aufſchrei den ganzen Schlafſaal in Aufruhr bringt. In dieſen Fällen muß die Komik, wie geſagt, von aller ſittlichen Kritik abſtrahiren, allein die Möglichkeit dieſer Abſtraction muß auch in dem ganzen übrigen Complex der Umſtände liegen, wie wir z. B. hier in einem Harem von einem als Mädchen verkleideten Don Juan, der ohne ſein Zuthun einer Odaliskin als Bett¬ genoſſe zuertheilt wird, die Vergeſſenheit der ethiſchen Poſtu¬ late nicht überraſchend finden werden. Byron malt in ſeinem Don Juan niemals in der Weiſe mit lüſternen Farben, wie es Wieland thut, der ſich im Auskoſten des Sinn¬ lichen gefällt. Unter den Neuern hat ſich für dies Genre vorzüglich Paul de Kock die friſche Sorgloſigkeit bewahrt, ohne welche es durch und durch abſtoßend iſt. Man fühlt ihm an, daß das Lächerliche der Situation ihm die Haupt¬ ſache iſt und daß er das Sinnliche zwar lasciv, allein ohne Hintergedanken behandelt. So läßt er einmal eine alte Jungfer auf die Vorſtellung verfallen, alle ſexuelle Unſittlich¬ keit lediglich daraus abzuleiten, daß ſo viele Frauenzimmer keine Hoſen trügen. Sie duldet daher in ihrem Hauſe kein weibliches Weſen, das nicht bebeinkleidert wäre. Miethet ſie eine Magd, ſo muß dieſelbe angeloben, Hoſen zu tragen. Eingetreten in das Haus, muß ſie erſcheinen, die Röcke auf¬
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Predigt, wie man ſo ſchamlos ſein könne, bis an ihr Bett
zu dringen. Man durchſucht Alles in der Stube bis unter
das Bett und findet nichts Verdächtiges, während der
Schuldige im Bette ſchwitzt. Oder Don Juan wird von
der Sultanin in Konſtantinopel als Sclav gekauft, als
Mädchen verkleidet, in den Harem geſteckt, da es aber noch
an einem Bett für ihn fehlt, proviſoriſch für die erſte Nacht
einer der Odalisken zugeſellt, welche dann einen ſo ſonder¬
baren und lebhaften Traum träumt, daß ihr Aufſchrei den
ganzen Schlafſaal in Aufruhr bringt. In dieſen Fällen muß
die Komik, wie geſagt, von aller ſittlichen Kritik abſtrahiren,
allein die Möglichkeit dieſer Abſtraction muß auch in dem
ganzen übrigen Complex der Umſtände liegen, wie wir z. B.
hier in einem Harem von einem als Mädchen verkleideten
Don Juan, der ohne ſein Zuthun einer Odaliskin als Bett¬
genoſſe zuertheilt wird, die Vergeſſenheit der ethiſchen Poſtu¬
late nicht überraſchend finden werden. Byron malt in
ſeinem Don Juan niemals in der Weiſe mit lüſternen Farben,
wie es Wieland thut, der ſich im Auskoſten des Sinn¬
lichen gefällt. Unter den Neuern hat ſich für dies Genre
vorzüglich Paul de Kock die friſche Sorgloſigkeit bewahrt,
ohne welche es durch und durch abſtoßend iſt. Man fühlt
ihm an, daß das Lächerliche der Situation ihm die Haupt¬
ſache iſt und daß er das Sinnliche zwar lasciv, allein ohne
Hintergedanken behandelt. So läßt er einmal eine alte
Jungfer auf die Vorſtellung verfallen, alle ſexuelle Unſittlich¬
keit lediglich daraus abzuleiten, daß ſo viele Frauenzimmer
keine Hoſen trügen. Sie duldet daher in ihrem Hauſe kein
weibliches Weſen, das nicht bebeinkleidert wäre. Miethet ſie
eine Magd, ſo muß dieſelbe angeloben, Hoſen zu tragen.
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/269>, abgerufen am 22.11.2024.
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