kommt, während uns die ächte Kunst den Anblick einer Harmonie in sich darbieten soll". Die allgemeine Versiche¬ rung von der Gehaltlosigkeit des Bösen nehmen wir wieder hin, aber die Begründung durch die Folgen lehnen wir ab. Kann denn aus dem Guten nicht auch Unglück und Zer¬ störung in mannigfaltigster Weise hervorgehen? Ist die Harmonie eines Kunstwerks durch Unglück und Zerstörung gehemmt? Ist nicht in jeder Tragödie unendlich viel Elend und hindert dasselbe ihre ästhetische Harmonie? "Vornehm¬ lich, meint Hegel, ist die Niederträchtigkeit verächtlich, indem sie aus dem Neid und Haß gegen das Edle ent¬ springt, und sich nicht scheut, auch eine in sich berechtigte Macht zum Mittel für die eigene schlechte oder schändliche Leidenschaft zu verkehren. Die großen Dichter und Künstler des Alterthums geben uns deshalb nicht den Anblick der Bosheit und Verworfenheit; Shakespeare dagen führt uns in Lear z. B. das Böse in seiner ganzen Gräßlichkeit vor u. s. w." Nun schilt Hegel auf den alten Mann, daß er so thörigt gewesen, sein Reich zu theilen, Cordelia zu ver¬ kennen, und findet es consequent, daß so verrücktes Handeln endlich die Verrücktheit selber zur Folge haben müsse. Wir wollen davon absehen, ob nicht der große Homer schon im Thersites uns doch den Anblick jener Niederträchtigkeit ge¬ geben, die aus Neid und Haß gegen das Edle entspringt. Wir wollen von einigen Charakteren des Euripides absehen, weil Hegel diesen Dichter vielleicht nicht mehr zu den großen des Alterthums zählt. Sollten wir aber im Ernst glauben, daß Hegel Shakespeare den großen Dichtern des Alterthums in der Art habe entgegensetzen wollen, als wenn derselbe mit der Vorführung "des Bösen in seiner ganzen Grä߬ lichkeit" ein ästhetisches Vergehen sich habe zu Schulden
kommt, während uns die ächte Kunſt den Anblick einer Harmonie in ſich darbieten ſoll“. Die allgemeine Verſiche¬ rung von der Gehaltloſigkeit des Böſen nehmen wir wieder hin, aber die Begründung durch die Folgen lehnen wir ab. Kann denn aus dem Guten nicht auch Unglück und Zer¬ ſtörung in mannigfaltigſter Weiſe hervorgehen? Iſt die Harmonie eines Kunſtwerks durch Unglück und Zerſtörung gehemmt? Iſt nicht in jeder Tragödie unendlich viel Elend und hindert daſſelbe ihre äſthetiſche Harmonie? „Vornehm¬ lich, meint Hegel, iſt die Niederträchtigkeit verächtlich, indem ſie aus dem Neid und Haß gegen das Edle ent¬ ſpringt, und ſich nicht ſcheut, auch eine in ſich berechtigte Macht zum Mittel für die eigene ſchlechte oder ſchändliche Leidenſchaft zu verkehren. Die großen Dichter und Künſtler des Alterthums geben uns deshalb nicht den Anblick der Bosheit und Verworfenheit; Shakeſpeare dagen führt uns in Lear z. B. das Böſe in ſeiner ganzen Gräßlichkeit vor u. ſ. w.“ Nun ſchilt Hegel auf den alten Mann, daß er ſo thörigt geweſen, ſein Reich zu theilen, Cordelia zu ver¬ kennen, und findet es conſequent, daß ſo verrücktes Handeln endlich die Verrücktheit ſelber zur Folge haben müſſe. Wir wollen davon abſehen, ob nicht der große Homer ſchon im Therſites uns doch den Anblick jener Niederträchtigkeit ge¬ geben, die aus Neid und Haß gegen das Edle entſpringt. Wir wollen von einigen Charakteren des Euripides abſehen, weil Hegel dieſen Dichter vielleicht nicht mehr zu den großen des Alterthums zählt. Sollten wir aber im Ernſt glauben, daß Hegel Shakeſpeare den großen Dichtern des Alterthums in der Art habe entgegenſetzen wollen, als wenn derſelbe mit der Vorführung „des Böſen in ſeiner ganzen Grä߬ lichkeit“ ein äſthetiſches Vergehen ſich habe zu Schulden
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kommt, während uns die ächte Kunſt den Anblick einer
Harmonie in ſich darbieten ſoll“. Die allgemeine Verſiche¬
rung von der Gehaltloſigkeit des Böſen nehmen wir wieder
hin, aber die Begründung durch die Folgen lehnen wir ab.
Kann denn aus dem Guten nicht auch Unglück und Zer¬
ſtörung in mannigfaltigſter Weiſe hervorgehen? Iſt die
Harmonie eines Kunſtwerks durch Unglück und Zerſtörung
gehemmt? Iſt nicht in jeder Tragödie unendlich viel Elend
und hindert daſſelbe ihre äſthetiſche Harmonie? „Vornehm¬
lich, meint Hegel, iſt die Niederträchtigkeit verächtlich,
indem ſie aus dem Neid und Haß gegen das Edle ent¬
ſpringt, und ſich nicht ſcheut, auch eine in ſich berechtigte
Macht zum Mittel für die eigene ſchlechte oder ſchändliche
Leidenſchaft zu verkehren. Die großen Dichter und Künſtler
des Alterthums geben uns deshalb nicht den Anblick der
Bosheit und Verworfenheit; Shakeſpeare dagen führt uns
in Lear z. B. das Böſe in ſeiner ganzen Gräßlichkeit vor
u. ſ. w.“ Nun ſchilt Hegel auf den alten Mann, daß er
ſo thörigt geweſen, ſein Reich zu theilen, Cordelia zu ver¬
kennen, und findet es conſequent, daß ſo verrücktes Handeln
endlich die Verrücktheit ſelber zur Folge haben müſſe. Wir
wollen davon abſehen, ob nicht der große Homer ſchon im
Therſites uns doch den Anblick jener Niederträchtigkeit ge¬
geben, die aus Neid und Haß gegen das Edle entſpringt.
Wir wollen von einigen Charakteren des Euripides abſehen,
weil Hegel dieſen Dichter vielleicht nicht mehr zu den großen
des Alterthums zählt. Sollten wir aber im Ernſt glauben,
daß Hegel Shakeſpeare den großen Dichtern des Alterthums
in der Art habe entgegenſetzen wollen, als wenn derſelbe
mit der Vorführung „des Böſen in ſeiner ganzen Grä߬
lichkeit“ ein äſthetiſches Vergehen ſich habe zu Schulden
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/383>, abgerufen am 24.11.2024.
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