daß das verlorne Mühe sey, und ließ ab von ihr. Wie gefällt Dir das Knäblein? Siehest Du nicht in dem lieben Adölfchen schon den künftigen hart- herzigen, eigenwilligen, drückenden, egoistischen Haustyrannen?
Nein, beste Emma, besorge Du nicht, daß der schöne Hang zur Freigebigkeit bei der kleinen Jda zum Fehler ausschlagen werde. Laß sie ge- trost jetzt noch alles wegschenken. Die Liberali- tät der Kinder ist ohnehin noch nichts weiter, als eine schöne Aufwallung; aber eben weil es eine schöne ist, und zum herrlichen Strahl in der Krone des weiblichen Gemüths werden kann, eben da- rum soll sie nicht gestört werden. Was eigent- lich Geben heiße, das wissen diese Kleinen frei- lich nicht. Die Wohlthätigkeit können sie noch weniger kennen. Den Dingen legen sie keinen andern Werth bei, als den des Augenblicks, wo sie ihnen Freude machen. Vom andern Tage, und was ihnen da Freude geben kann, wissen sie gerade so viel, wie die Vögel unter dem Him- mel, die nicht in die Scheunen sammeln. Es
daß das verlorne Mühe ſey, und ließ ab von ihr. Wie gefällt Dir das Knäblein? Sieheſt Du nicht in dem lieben Adölfchen ſchon den künftigen hart- herzigen, eigenwilligen, drückenden, egoiſtiſchen Haustyrannen?
Nein, beſte Emma, beſorge Du nicht, daß der ſchöne Hang zur Freigebigkeit bei der kleinen Jda zum Fehler ausſchlagen werde. Laß ſie ge- troſt jetzt noch alles wegſchenken. Die Liberali- tät der Kinder iſt ohnehin noch nichts weiter, als eine ſchöne Aufwallung; aber eben weil es eine ſchöne iſt, und zum herrlichen Strahl in der Krone des weiblichen Gemüths werden kann, eben da- rum ſoll ſie nicht geſtört werden. Was eigent- lich Geben heiße, das wiſſen dieſe Kleinen frei- lich nicht. Die Wohlthätigkeit können ſie noch weniger kennen. Den Dingen legen ſie keinen andern Werth bei, als den des Augenblicks, wo ſie ihnen Freude machen. Vom andern Tage, und was ihnen da Freude geben kann, wiſſen ſie gerade ſo viel, wie die Vögel unter dem Him- mel, die nicht in die Scheunen ſammeln. Es
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daß das verlorne Mühe ſey, und ließ ab von ihr.
Wie gefällt Dir das Knäblein? Sieheſt Du nicht
in dem lieben Adölfchen ſchon den künftigen hart-
herzigen, eigenwilligen, drückenden, egoiſtiſchen
Haustyrannen?
Nein, beſte Emma, beſorge Du nicht, daß
der ſchöne Hang zur Freigebigkeit bei der kleinen
Jda zum Fehler ausſchlagen werde. Laß ſie ge-
troſt jetzt noch alles wegſchenken. Die Liberali-
tät der Kinder iſt ohnehin noch nichts weiter, als
eine ſchöne Aufwallung; aber eben weil es eine
ſchöne iſt, und zum herrlichen Strahl in der Krone
des weiblichen Gemüths werden kann, eben da-
rum ſoll ſie nicht geſtört werden. Was eigent-
lich Geben heiße, das wiſſen dieſe Kleinen frei-
lich nicht. Die Wohlthätigkeit können ſie noch
weniger kennen. Den Dingen legen ſie keinen
andern Werth bei, als den des Augenblicks, wo
ſie ihnen Freude machen. Vom andern Tage,
und was ihnen da Freude geben kann, wiſſen ſie
gerade ſo viel, wie die Vögel unter dem Him-
mel, die nicht in die Scheunen ſammeln. Es
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/114>, abgerufen am 21.11.2024.
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