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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Jch. An wen ist das Blatt gerichtet, liebe
Mathilde? Es ist der erste Brief, den du schreibst?

Mathilde. An meinen Bruder, den Kornet.
Es ist mein allererster Versuch.

Jch. Warum hast du mir noch nie von die-
sem Bruder Kornet gesprochen?

Mathilde. Liebe Tante! Weil ich mich
schäme, und weil ich fürchte, daß du ihn nicht
lieb haben kannst, und niemand ihn hier lieb ha-
ben kann, denn ihr seyd alle besser, alle so ganz
anders. Und er ist doch mein Bruder. Jch wür-
de sehr traurig seyn, wenn du und Jda ihm nicht
gut seyn könntet.

Jch. Aber was hat er denn gemacht, warum
ich ihn nicht lieb haben kann? kannst du mir das
anvertrauen, liebes Kind? (Sie blickte schüch-
tern umher, ob auch jemand in der Nähe sey?
dann halb leise:)

Mathilde. Je, er hat alle Tage viel Geld
ausgegeben, und hat sich Wein dafür gekauft
und Kuchen, und hat gespielt, auch viel Geld

Jch. An wen iſt das Blatt gerichtet, liebe
Mathilde? Es iſt der erſte Brief, den du ſchreibſt?

Mathilde. An meinen Bruder, den Kornet.
Es iſt mein allererſter Verſuch.

Jch. Warum haſt du mir noch nie von die-
ſem Bruder Kornet geſprochen?

Mathilde. Liebe Tante! Weil ich mich
ſchäme, und weil ich fürchte, daß du ihn nicht
lieb haben kannſt, und niemand ihn hier lieb ha-
ben kann, denn ihr ſeyd alle beſſer, alle ſo ganz
anders. Und er iſt doch mein Bruder. Jch wür-
de ſehr traurig ſeyn, wenn du und Jda ihm nicht
gut ſeyn könntet.

Jch. Aber was hat er denn gemacht, warum
ich ihn nicht lieb haben kann? kannſt du mir das
anvertrauen, liebes Kind? (Sie blickte ſchüch-
tern umher, ob auch jemand in der Nähe ſey?
dann halb leiſe:)

Mathilde. Je, er hat alle Tage viel Geld
ausgegeben, und hat ſich Wein dafür gekauft
und Kuchen, und hat geſpielt, auch viel Geld

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[200/0214] Jch. An wen iſt das Blatt gerichtet, liebe Mathilde? Es iſt der erſte Brief, den du ſchreibſt? Mathilde. An meinen Bruder, den Kornet. Es iſt mein allererſter Verſuch. Jch. Warum haſt du mir noch nie von die- ſem Bruder Kornet geſprochen? Mathilde. Liebe Tante! Weil ich mich ſchäme, und weil ich fürchte, daß du ihn nicht lieb haben kannſt, und niemand ihn hier lieb ha- ben kann, denn ihr ſeyd alle beſſer, alle ſo ganz anders. Und er iſt doch mein Bruder. Jch wür- de ſehr traurig ſeyn, wenn du und Jda ihm nicht gut ſeyn könntet. Jch. Aber was hat er denn gemacht, warum ich ihn nicht lieb haben kann? kannſt du mir das anvertrauen, liebes Kind? (Sie blickte ſchüch- tern umher, ob auch jemand in der Nähe ſey? dann halb leiſe:) Mathilde. Je, er hat alle Tage viel Geld ausgegeben, und hat ſich Wein dafür gekauft und Kuchen, und hat geſpielt, auch viel Geld

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/214>, abgerufen am 24.11.2024.