Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.Grazien, die bis ins späteste Alter uns einen Schimmer der Liebenswürdigkeit bewahren. Den sollen wir in unsern Kindern ja recht wach zu er- halten uns bestreben. Wenn wir mit Jda über den Hof in den Garten gingen, wie sie so sorg- fältig allem Unreinen auswich, ohne daß Du sie zu erinnern brauchtest! Eines Abends, ich weiß nicht wo Du warest, kam Woldemar, der im Garten gearbeitet hatte, mit ganz schwarzen, er- digen Fingern auf sie zu und wollte sie neckend liebkosen: heftiger hab' ich das Kind noch nicht weinen gehört, als da. Woldemar erschrack, ging still hinaus, wusch sich, brachte ihr eine Ro- se aus dem Garten, sie lächelte ihm zu, schluchzte aber noch, und nun küßte Woldemar sie mit dem ganzen Ungestüm seiner Liebe. Da lachte der kleine Engel und sagte: Jda nicht mehr weinen! Es war ein herziger Anblick. Kleide Jda nicht in dunkele Zeuge. Wäre sie Grazien, die bis ins ſpäteſte Alter uns einen Schimmer der Liebenswürdigkeit bewahren. Den ſollen wir in unſern Kindern ja recht wach zu er- halten uns beſtreben. Wenn wir mit Jda über den Hof in den Garten gingen, wie ſie ſo ſorg- fältig allem Unreinen auswich, ohne daß Du ſie zu erinnern brauchteſt! Eines Abends, ich weiß nicht wo Du wareſt, kam Woldemar, der im Garten gearbeitet hatte, mit ganz ſchwarzen, er- digen Fingern auf ſie zu und wollte ſie neckend liebkoſen: heftiger hab’ ich das Kind noch nicht weinen gehört, als da. Woldemar erſchrack, ging ſtill hinaus, wuſch ſich, brachte ihr eine Ro- ſe aus dem Garten, ſie lächelte ihm zu, ſchluchzte aber noch, und nun küßte Woldemar ſie mit dem ganzen Ungeſtüm ſeiner Liebe. Da lachte der kleine Engel und ſagte: Jda nicht mehr weinen! Es war ein herziger Anblick. Kleide Jda nicht in dunkele Zeuge. Wäre ſie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0068" n="54"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Grazien, die bis ins ſpäteſte Alter uns einen<lb/> Schimmer der Liebenswürdigkeit bewahren. <hi rendition="#g">Den</hi><lb/> ſollen wir in unſern Kindern ja recht wach zu er-<lb/> halten uns beſtreben. Wenn wir mit Jda über<lb/> den Hof in den Garten gingen, wie ſie ſo ſorg-<lb/> fältig allem Unreinen auswich, ohne daß Du ſie<lb/> zu erinnern brauchteſt! Eines Abends, ich weiß<lb/> nicht wo Du wareſt, kam Woldemar, der im<lb/> Garten gearbeitet hatte, mit ganz ſchwarzen, er-<lb/> digen Fingern auf ſie zu und wollte ſie neckend<lb/> liebkoſen: heftiger hab’ ich das Kind noch nicht<lb/> weinen gehört, als da. Woldemar erſchrack,<lb/> ging ſtill hinaus, wuſch ſich, brachte ihr eine Ro-<lb/> ſe aus dem Garten, ſie lächelte ihm zu, ſchluchzte<lb/> aber noch, und nun küßte Woldemar ſie mit dem<lb/> ganzen Ungeſtüm ſeiner Liebe. Da lachte der<lb/> kleine Engel und ſagte: Jda nicht mehr weinen!<lb/> Es war ein herziger Anblick.</p><lb/> <p>Kleide Jda nicht in dunkele Zeuge. Wäre ſie<lb/> ein ſehr lebhaftes Kind und triebe ſich gern acht-<lb/> los herum, dann würde ich mehr dazu rathen,<lb/> damit ſie ſelbſt ſich nicht gewöhnte, ſich mit Flek-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0068]
Grazien, die bis ins ſpäteſte Alter uns einen
Schimmer der Liebenswürdigkeit bewahren. Den
ſollen wir in unſern Kindern ja recht wach zu er-
halten uns beſtreben. Wenn wir mit Jda über
den Hof in den Garten gingen, wie ſie ſo ſorg-
fältig allem Unreinen auswich, ohne daß Du ſie
zu erinnern brauchteſt! Eines Abends, ich weiß
nicht wo Du wareſt, kam Woldemar, der im
Garten gearbeitet hatte, mit ganz ſchwarzen, er-
digen Fingern auf ſie zu und wollte ſie neckend
liebkoſen: heftiger hab’ ich das Kind noch nicht
weinen gehört, als da. Woldemar erſchrack,
ging ſtill hinaus, wuſch ſich, brachte ihr eine Ro-
ſe aus dem Garten, ſie lächelte ihm zu, ſchluchzte
aber noch, und nun küßte Woldemar ſie mit dem
ganzen Ungeſtüm ſeiner Liebe. Da lachte der
kleine Engel und ſagte: Jda nicht mehr weinen!
Es war ein herziger Anblick.
Kleide Jda nicht in dunkele Zeuge. Wäre ſie
ein ſehr lebhaftes Kind und triebe ſich gern acht-
los herum, dann würde ich mehr dazu rathen,
damit ſie ſelbſt ſich nicht gewöhnte, ſich mit Flek-
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