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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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ihr Bett. Dann mußten wir ihr, jedes aus un-
serm Leben, etwas erzählen, das sie noch nicht
gehört oder gern wieder hören wollte. "Wun-
dern sie sich nicht, Freundin, warum mein herr-
licher Freund dort -- sie blickte nach ihrem Man-
ne -- mich nicht über das belehrt, was hinter
dem Vorhange glänzt, an dem ich so nahe bin,
daß ich ihn schon berühre?" -- Nein, Deborah,
mich wundert das nicht. Jhr Wandel war im
Himmel; ihr reines seliges Herz hat hier schon
Gott geschaut. -- "Was sollte dein Freund dich
lehren, du himmlisches Gemüth? sagte ihr Mann.
Uns lehre dein Weg, uns lehre dein heiliges
Herz. Du siehest den Himmel offen, und wirst
auch mit uns noch einen neuen Frühling sehen."--

Die Kinder waren ganz in liebender Rührung
hingegeben. Unsere Kinder sind durch dies Kran-
kenbett, und besonders durch die letzten Szenen,
am Gemüth sehr schnell gereift. Betty ist in
tiefe Schwermuth versunken. Jhr getrübter Blick
verwechselt Schuld und Ursache. Sie kann sich
nicht trösten, daß ihr Fall der Mutter Hinschei-

ihr Bett. Dann mußten wir ihr, jedes aus un-
ſerm Leben, etwas erzählen, das ſie noch nicht
gehört oder gern wieder hören wollte. „Wun-
dern ſie ſich nicht, Freundin, warum mein herr-
licher Freund dort — ſie blickte nach ihrem Man-
ne — mich nicht über das belehrt, was hinter
dem Vorhange glänzt, an dem ich ſo nahe bin,
daß ich ihn ſchon berühre?‟ — Nein, Deborah,
mich wundert das nicht. Jhr Wandel war im
Himmel; ihr reines ſeliges Herz hat hier ſchon
Gott geſchaut. — „Was ſollte dein Freund dich
lehren, du himmliſches Gemüth? ſagte ihr Mann.
Uns lehre dein Weg, uns lehre dein heiliges
Herz. Du ſieheſt den Himmel offen, und wirſt
auch mit uns noch einen neuen Frühling ſehen.‟—

Die Kinder waren ganz in liebender Rührung
hingegeben. Unſere Kinder ſind durch dies Kran-
kenbett, und beſonders durch die letzten Szenen,
am Gemüth ſehr ſchnell gereift. Betty iſt in
tiefe Schwermuth verſunken. Jhr getrübter Blick
verwechſelt Schuld und Urſache. Sie kann ſich
nicht tröſten, daß ihr Fall der Mutter Hinſchei-

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[104/0112] ihr Bett. Dann mußten wir ihr, jedes aus un- ſerm Leben, etwas erzählen, das ſie noch nicht gehört oder gern wieder hören wollte. „Wun- dern ſie ſich nicht, Freundin, warum mein herr- licher Freund dort — ſie blickte nach ihrem Man- ne — mich nicht über das belehrt, was hinter dem Vorhange glänzt, an dem ich ſo nahe bin, daß ich ihn ſchon berühre?‟ — Nein, Deborah, mich wundert das nicht. Jhr Wandel war im Himmel; ihr reines ſeliges Herz hat hier ſchon Gott geſchaut. — „Was ſollte dein Freund dich lehren, du himmliſches Gemüth? ſagte ihr Mann. Uns lehre dein Weg, uns lehre dein heiliges Herz. Du ſieheſt den Himmel offen, und wirſt auch mit uns noch einen neuen Frühling ſehen.‟— Die Kinder waren ganz in liebender Rührung hingegeben. Unſere Kinder ſind durch dies Kran- kenbett, und beſonders durch die letzten Szenen, am Gemüth ſehr ſchnell gereift. Betty iſt in tiefe Schwermuth verſunken. Jhr getrübter Blick verwechſelt Schuld und Urſache. Sie kann ſich nicht tröſten, daß ihr Fall der Mutter Hinſchei-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/112>, abgerufen am 21.11.2024.