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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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nicht schon früh von den Erbärmlichkeiten der
Konvenienz in den reinsten Genüssen beschränkt
werden: laßt, o laßt sie Kinder seyn, damit sie
Menschen werden mögen, und laßt sie der Mor-
genröthe des Lebens sich ungestört freuen, damit
sie diesen einen Theil ihres Lebens wenigstens ge-
nossen haben, wenn das Schicksal ihnen auch den
Rest mit bitteren Erfahrungen mischen sollte!

Meine Jugend war nicht froh: o könnte ich wie-
der Kind seyn wie Jda, und glücklich seyn, wie
sie! Darbend an aller Nahrung, die mein rascher
Geist und mein glühendes Herz begehrten, schmach-
tete ich meine Kindheit in einem engen Bezirke
dahin. Tausend Fragen arbeiteten in meiner
Seele, für die ich keine Worte hatte, sie darein
zu kleiden, und hätte ich sie aussprechen können:
so war kein Ohr dafür in meiner Nähe! Da wollt'
ich zu den Büchern und sie fragen: aber sie gaben
dem noch unmündigen Geiste keine Antwort. Da
wollt' ich zur herrlichen Mutter, daß sie mich auf-
nähme an ihr Herz: aber den Himmel voll Ster-
ne begränzten hohe Mauern, und Mauern schie-

nicht ſchon früh von den Erbärmlichkeiten der
Konvenienz in den reinſten Genüſſen beſchränkt
werden: laßt, o laßt ſie Kinder ſeyn, damit ſie
Menſchen werden mögen, und laßt ſie der Mor-
genröthe des Lebens ſich ungeſtört freuen, damit
ſie dieſen einen Theil ihres Lebens wenigſtens ge-
noſſen haben, wenn das Schickſal ihnen auch den
Reſt mit bitteren Erfahrungen miſchen ſollte!

Meine Jugend war nicht froh: o könnte ich wie-
der Kind ſeyn wie Jda, und glücklich ſeyn, wie
ſie! Darbend an aller Nahrung, die mein raſcher
Geiſt und mein glühendes Herz begehrten, ſchmach-
tete ich meine Kindheit in einem engen Bezirke
dahin. Tauſend Fragen arbeiteten in meiner
Seele, für die ich keine Worte hatte, ſie darein
zu kleiden, und hätte ich ſie ausſprechen können:
ſo war kein Ohr dafür in meiner Nähe! Da wollt’
ich zu den Büchern und ſie fragen: aber ſie gaben
dem noch unmündigen Geiſte keine Antwort. Da
wollt’ ich zur herrlichen Mutter, daß ſie mich auf-
nähme an ihr Herz: aber den Himmel voll Ster-
ne begränzten hohe Mauern, und Mauern ſchie-

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[23/0031] nicht ſchon früh von den Erbärmlichkeiten der Konvenienz in den reinſten Genüſſen beſchränkt werden: laßt, o laßt ſie Kinder ſeyn, damit ſie Menſchen werden mögen, und laßt ſie der Mor- genröthe des Lebens ſich ungeſtört freuen, damit ſie dieſen einen Theil ihres Lebens wenigſtens ge- noſſen haben, wenn das Schickſal ihnen auch den Reſt mit bitteren Erfahrungen miſchen ſollte! Meine Jugend war nicht froh: o könnte ich wie- der Kind ſeyn wie Jda, und glücklich ſeyn, wie ſie! Darbend an aller Nahrung, die mein raſcher Geiſt und mein glühendes Herz begehrten, ſchmach- tete ich meine Kindheit in einem engen Bezirke dahin. Tauſend Fragen arbeiteten in meiner Seele, für die ich keine Worte hatte, ſie darein zu kleiden, und hätte ich ſie ausſprechen können: ſo war kein Ohr dafür in meiner Nähe! Da wollt’ ich zu den Büchern und ſie fragen: aber ſie gaben dem noch unmündigen Geiſte keine Antwort. Da wollt’ ich zur herrlichen Mutter, daß ſie mich auf- nähme an ihr Herz: aber den Himmel voll Ster- ne begränzten hohe Mauern, und Mauern ſchie-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/31>, abgerufen am 09.11.2024.