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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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weise an meine Stelle. Mathilde hat jetzt viel
Gewalt über die Kinder. Jhre hohe Miene, ihr
sanfter Ernst, und ihre schöne Milde verschaffen
ihr einige Autorität. Mit Hertha, dem Spaß-
vogel, wollen sie immer scherzen und necken. Und
sie weiß nicht, wenn es Zeit ist, aufzuhören, und
treibt das Spiel zu weit.

Aber die Liebe, womit alle Kinder Jda anhän-
gen, ist ganz anders, und konnte nur einem sehr
liebevollen Gemüthe in dem Grade zu Theil wer-
den. Viel anders sind diese beiden Kinder, als
Jda und Mathilde in dem Alter waren, und so
wollen sie auch auf eine gar andere Weise behan-
delt seyn. Das schöne Gleichmaaß aller Kräfte
findet sich bei keiner so, wie ich es bei Jda fand.
Feurig sind beide. Nur daß Seraphine mehr
Zartheit und Jnnigkeit, und Milly mehr Energie
des Willens und regere Phantasie hat. Sera-
phine zeigt viel Wißbegierde. Milly schaut die
Dinge fast noch schweigend an, und ohne ihr
großes Feuerauge und ihren Trotz würde man sie
vielleicht bei aller Heftigkeit für indolent halten



weiſe an meine Stelle. Mathilde hat jetzt viel
Gewalt über die Kinder. Jhre hohe Miene, ihr
ſanfter Ernſt, und ihre ſchöne Milde verſchaffen
ihr einige Autorität. Mit Hertha, dem Spaß-
vogel, wollen ſie immer ſcherzen und necken. Und
ſie weiß nicht, wenn es Zeit iſt, aufzuhören, und
treibt das Spiel zu weit.

Aber die Liebe, womit alle Kinder Jda anhän-
gen, iſt ganz anders, und konnte nur einem ſehr
liebevollen Gemüthe in dem Grade zu Theil wer-
den. Viel anders ſind dieſe beiden Kinder, als
Jda und Mathilde in dem Alter waren, und ſo
wollen ſie auch auf eine gar andere Weiſe behan-
delt ſeyn. Das ſchöne Gleichmaaß aller Kräfte
findet ſich bei keiner ſo, wie ich es bei Jda fand.
Feurig ſind beide. Nur daß Seraphine mehr
Zartheit und Jnnigkeit, und Milly mehr Energie
des Willens und regere Phantaſie hat. Sera-
phine zeigt viel Wißbegierde. Milly ſchaut die
Dinge faſt noch ſchweigend an, und ohne ihr
großes Feuerauge und ihren Trotz würde man ſie
vielleicht bei aller Heftigkeit für indolent halten

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[362/0370] weiſe an meine Stelle. Mathilde hat jetzt viel Gewalt über die Kinder. Jhre hohe Miene, ihr ſanfter Ernſt, und ihre ſchöne Milde verſchaffen ihr einige Autorität. Mit Hertha, dem Spaß- vogel, wollen ſie immer ſcherzen und necken. Und ſie weiß nicht, wenn es Zeit iſt, aufzuhören, und treibt das Spiel zu weit. Aber die Liebe, womit alle Kinder Jda anhän- gen, iſt ganz anders, und konnte nur einem ſehr liebevollen Gemüthe in dem Grade zu Theil wer- den. Viel anders ſind dieſe beiden Kinder, als Jda und Mathilde in dem Alter waren, und ſo wollen ſie auch auf eine gar andere Weiſe behan- delt ſeyn. Das ſchöne Gleichmaaß aller Kräfte findet ſich bei keiner ſo, wie ich es bei Jda fand. Feurig ſind beide. Nur daß Seraphine mehr Zartheit und Jnnigkeit, und Milly mehr Energie des Willens und regere Phantaſie hat. Sera- phine zeigt viel Wißbegierde. Milly ſchaut die Dinge faſt noch ſchweigend an, und ohne ihr großes Feuerauge und ihren Trotz würde man ſie vielleicht bei aller Heftigkeit für indolent halten

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/370>, abgerufen am 21.11.2024.