Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.müssen, welches sie doch so gar nicht ist. Über ein ihr unverständliches Wort kann sie lange grü- beln, ehe sie nur fragt, und hat sie gefragt, und die Antwort ist ihr nicht klar, so kann sie vor Hef- tigkeit mit dem Fuß stampfen. Vor einigen Ta- gen fing sie an die Puppe zu schlagen, als Hertha ihr nicht sagen wollte, wo die Sonne eigentlich wohne, und warum sie alle Abend denselben Weg nach Hause nehme, wenn sie unterginge? Warum schlägst Du die Puppe? rief ich ihr von meinem Schreibtisch zu. Weil sie so dumm ist, und nicht reden kann, war die Antwort. Die Puppe darf wohl dumm seyn, sagte ich ihr, die Menschen dürfen das aber nicht, die sollen klug und verstän- dig werden, und sanft dazu und freundlich. "Jch will aber -- -- nicht freundlich seyn" -- die drei letzten Worte blieben ihr auf der Zunge; denn ich sahe sie unverwandt an, und sie wagte es nicht, sie auszusprechen. Willst Du immer freund- lich und verständig seyn? fragte ich, mich an Se- raphine wendend. Ja, rief das Kind, und fiel mir um den Hals. Dann lief sie zu Milly, strei- chelte sie sanft auf den Backen, und sagte bittend: müſſen, welches ſie doch ſo gar nicht iſt. Über ein ihr unverſtändliches Wort kann ſie lange grü- beln, ehe ſie nur fragt, und hat ſie gefragt, und die Antwort iſt ihr nicht klar, ſo kann ſie vor Hef- tigkeit mit dem Fuß ſtampfen. Vor einigen Ta- gen fing ſie an die Puppe zu ſchlagen, als Hertha ihr nicht ſagen wollte, wo die Sonne eigentlich wohne, und warum ſie alle Abend denſelben Weg nach Hauſe nehme, wenn ſie unterginge? Warum ſchlägſt Du die Puppe? rief ich ihr von meinem Schreibtiſch zu. Weil ſie ſo dumm iſt, und nicht reden kann, war die Antwort. Die Puppe darf wohl dumm ſeyn, ſagte ich ihr, die Menſchen dürfen das aber nicht, die ſollen klug und verſtän- dig werden, und ſanft dazu und freundlich. „Jch will aber — — nicht freundlich ſeyn‟ — die drei letzten Worte blieben ihr auf der Zunge; denn ich ſahe ſie unverwandt an, und ſie wagte es nicht, ſie auszuſprechen. Willſt Du immer freund- lich und verſtändig ſeyn? fragte ich, mich an Se- raphine wendend. Ja, rief das Kind, und fiel mir um den Hals. Dann lief ſie zu Milly, ſtrei- chelte ſie ſanft auf den Backen, und ſagte bittend: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0371" n="363"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> müſſen, welches ſie doch ſo gar nicht iſt. Über<lb/> ein ihr unverſtändliches Wort kann ſie lange grü-<lb/> beln, ehe ſie nur fragt, und hat ſie gefragt, und<lb/> die Antwort iſt ihr nicht klar, ſo kann ſie vor Hef-<lb/> tigkeit mit dem Fuß ſtampfen. Vor einigen Ta-<lb/> gen fing ſie an die Puppe zu ſchlagen, als Hertha<lb/> ihr nicht ſagen wollte, wo die Sonne eigentlich<lb/> wohne, und warum ſie alle Abend denſelben Weg<lb/> nach Hauſe nehme, wenn ſie unterginge? Warum<lb/> ſchlägſt Du die Puppe? rief ich ihr von meinem<lb/> Schreibtiſch zu. Weil ſie ſo dumm iſt, und nicht<lb/> reden kann, war die Antwort. Die Puppe darf<lb/> wohl dumm ſeyn, ſagte ich ihr, die Menſchen<lb/> dürfen das aber nicht, die ſollen klug und verſtän-<lb/> dig werden, und ſanft dazu und freundlich. „Jch<lb/> will aber — — nicht freundlich ſeyn‟ — die<lb/> drei letzten Worte blieben ihr auf der Zunge;<lb/> denn ich ſahe ſie unverwandt an, und ſie wagte es<lb/> nicht, ſie auszuſprechen. Willſt <hi rendition="#g">Du</hi> immer freund-<lb/> lich und verſtändig ſeyn? fragte ich, mich an Se-<lb/> raphine wendend. Ja, rief das Kind, und fiel<lb/> mir um den Hals. Dann lief ſie zu Milly, ſtrei-<lb/> chelte ſie ſanft auf den Backen, und ſagte bittend:<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [363/0371]
müſſen, welches ſie doch ſo gar nicht iſt. Über
ein ihr unverſtändliches Wort kann ſie lange grü-
beln, ehe ſie nur fragt, und hat ſie gefragt, und
die Antwort iſt ihr nicht klar, ſo kann ſie vor Hef-
tigkeit mit dem Fuß ſtampfen. Vor einigen Ta-
gen fing ſie an die Puppe zu ſchlagen, als Hertha
ihr nicht ſagen wollte, wo die Sonne eigentlich
wohne, und warum ſie alle Abend denſelben Weg
nach Hauſe nehme, wenn ſie unterginge? Warum
ſchlägſt Du die Puppe? rief ich ihr von meinem
Schreibtiſch zu. Weil ſie ſo dumm iſt, und nicht
reden kann, war die Antwort. Die Puppe darf
wohl dumm ſeyn, ſagte ich ihr, die Menſchen
dürfen das aber nicht, die ſollen klug und verſtän-
dig werden, und ſanft dazu und freundlich. „Jch
will aber — — nicht freundlich ſeyn‟ — die
drei letzten Worte blieben ihr auf der Zunge;
denn ich ſahe ſie unverwandt an, und ſie wagte es
nicht, ſie auszuſprechen. Willſt Du immer freund-
lich und verſtändig ſeyn? fragte ich, mich an Se-
raphine wendend. Ja, rief das Kind, und fiel
mir um den Hals. Dann lief ſie zu Milly, ſtrei-
chelte ſie ſanft auf den Backen, und ſagte bittend:
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |