Sprich: wovon nährst du dich? von Früchten wol und Laube? -- "Nein! meinem Stamm und Stand gemäß, von blut'gem Raube." --
Und fragtest du erst, die du fraßest, ob sie Gatten, Ob Eltern sie daheim, oder ob Kinder hatten? --
Sie sprach: Nein, Alt und Jung fraß ich ohn' Unterscheid; Doch das that ich, wem that die Unschuld was zu Leid?
Die Aeffin sprach: Zu Leid wird sie auch nie was thun; Der Kinder Unschuld büßt die Schuld der Mutter nun.
Doch ists ein Widerspruch, unschuld'ge Löwenbrut; Die Milch, die sie an dir getrunken, war schon Blut.
83.
Der König Löwe hält im Walde Mittagsruh, Verdrießlich gehen ihm die Augen auf und zu.
Die Sorge kann er sich nicht aus dem Sinne schlagen; Den Unmuth minder noch verträumen als verjagen.
Da sieht er über sich im Baum ein Eichhorn hüpfen, Behaglich durchs Gezweig und unermüdlich schlüpfen.
Sprich: wovon naͤhrſt du dich? von Fruͤchten wol und Laube? — „Nein! meinem Stamm und Stand gemaͤß, von blut'gem Raube.“ —
Und fragteſt du erſt, die du fraßeſt, ob ſie Gatten, Ob Eltern ſie daheim, oder ob Kinder hatten? —
Sie ſprach: Nein, Alt und Jung fraß ich ohn' Unterſcheid; Doch das that ich, wem that die Unſchuld was zu Leid?
Die Aeffin ſprach: Zu Leid wird ſie auch nie was thun; Der Kinder Unſchuld buͤßt die Schuld der Mutter nun.
Doch iſts ein Widerſpruch, unſchuld'ge Loͤwenbrut; Die Milch, die ſie an dir getrunken, war ſchon Blut.
83.
Der Koͤnig Loͤwe haͤlt im Walde Mittagsruh, Verdrießlich gehen ihm die Augen auf und zu.
Die Sorge kann er ſich nicht aus dem Sinne ſchlagen; Den Unmuth minder noch vertraͤumen als verjagen.
Da ſieht er uͤber ſich im Baum ein Eichhorn huͤpfen, Behaglich durchs Gezweig und unermuͤdlich ſchluͤpfen.
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Sprich: wovon naͤhrſt du dich? von Fruͤchten wol und Laube? —
„Nein! meinem Stamm und Stand gemaͤß, von blut'gem Raube.“ —
Und fragteſt du erſt, die du fraßeſt, ob ſie Gatten,
Ob Eltern ſie daheim, oder ob Kinder hatten? —
Sie ſprach: Nein, Alt und Jung fraß ich ohn' Unterſcheid;
Doch das that ich, wem that die Unſchuld was zu Leid?
Die Aeffin ſprach: Zu Leid wird ſie auch nie was thun;
Der Kinder Unſchuld buͤßt die Schuld der Mutter nun.
Doch iſts ein Widerſpruch, unſchuld'ge Loͤwenbrut;
Die Milch, die ſie an dir getrunken, war ſchon Blut.
83.
Der Koͤnig Loͤwe haͤlt im Walde Mittagsruh,
Verdrießlich gehen ihm die Augen auf und zu.
Die Sorge kann er ſich nicht aus dem Sinne ſchlagen;
Den Unmuth minder noch vertraͤumen als verjagen.
Da ſieht er uͤber ſich im Baum ein Eichhorn huͤpfen,
Behaglich durchs Gezweig und unermuͤdlich ſchluͤpfen.
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Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/84>, abgerufen am 19.02.2025.
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