sinnlich angenehmen Dinge der inneren Schaalheit wegen ab- geneigt sind.
Uebrigens ist nicht mit Sicherheit anzugeben, worauf denn eigentlich die sinnliche Annehmlichkeit sichtbarer Dinge beruhe, da jegliches Auge nach Maaßgabe seiner Gesundheit und Scharfsicht verschieden empfindet, woher der richtige, ob- wohl einzig auf diese niedrigste Stufe der Schönheit anwendbare Gemeinspruch entstanden: daß über den Geschmack nichts ent- schieden werden könne. In Bezug auf diese rein sinnliche An- nehmlichkeit, welche wir voraussetzlich von dem sinnlichen Reize anschaulich angeregter Vorstellungen des Geistes (z. B. vom Ueppigen und Wohllüstigen) zu unterscheiden wissen, müssen wir uns allerdings damit begnügen, daß es, wie einen mittleren Zustand des Auges, so auch eine mittlere Beschaf- fenheit des Anschaulichen geben muß, welche gleichweit von buttriger Weiche und schneidender Härte entfernt, wenigstens die Mehrzahl gesunder Gesichtssinnen befriedigen wird. Diese Art der Schönheit nimmt in den ansichtlichen Dingen etwa dieselbe Stelle ein, als in der Musik der einzelne Ton, dessen verhältnißmäßige Reinheit, wie sehr sie immer den Gesammt- eindruck befördern mag, doch an und für sich unbezweifelt ein rein sinnliches Wohlgefallen hervorbringt. Auch an den Pflan- zenformen kann sie beobachtet werden, deren Eindruck noth- wendig frey ist von sittlichen Nebenvorstellungen, welche in den animalischen Formen den reinsinnlichen Eindruck durch- kreuzen. Der Feldkümmel *) z. B., dessen schöne Blüthen- formen, dessen zierlich ausgeschärfte Blätter in der Nähe be- trachtet Bewunderung erregen, ist mir in meinen ländlichen
*)Chaerophyllum silvestre.
ſinnlich angenehmen Dinge der inneren Schaalheit wegen ab- geneigt ſind.
Uebrigens iſt nicht mit Sicherheit anzugeben, worauf denn eigentlich die ſinnliche Annehmlichkeit ſichtbarer Dinge beruhe, da jegliches Auge nach Maaßgabe ſeiner Geſundheit und Scharfſicht verſchieden empfindet, woher der richtige, ob- wohl einzig auf dieſe niedrigſte Stufe der Schoͤnheit anwendbare Gemeinſpruch entſtanden: daß uͤber den Geſchmack nichts ent- ſchieden werden koͤnne. In Bezug auf dieſe rein ſinnliche An- nehmlichkeit, welche wir vorausſetzlich von dem ſinnlichen Reize anſchaulich angeregter Vorſtellungen des Geiſtes (z. B. vom Ueppigen und Wohlluͤſtigen) zu unterſcheiden wiſſen, muͤſſen wir uns allerdings damit begnuͤgen, daß es, wie einen mittleren Zuſtand des Auges, ſo auch eine mittlere Beſchaf- fenheit des Anſchaulichen geben muß, welche gleichweit von buttriger Weiche und ſchneidender Haͤrte entfernt, wenigſtens die Mehrzahl geſunder Geſichtsſinnen befriedigen wird. Dieſe Art der Schoͤnheit nimmt in den anſichtlichen Dingen etwa dieſelbe Stelle ein, als in der Muſik der einzelne Ton, deſſen verhaͤltnißmaͤßige Reinheit, wie ſehr ſie immer den Geſammt- eindruck befoͤrdern mag, doch an und fuͤr ſich unbezweifelt ein rein ſinnliches Wohlgefallen hervorbringt. Auch an den Pflan- zenformen kann ſie beobachtet werden, deren Eindruck noth- wendig frey iſt von ſittlichen Nebenvorſtellungen, welche in den animaliſchen Formen den reinſinnlichen Eindruck durch- kreuzen. Der Feldkuͤmmel *) z. B., deſſen ſchoͤne Bluͤthen- formen, deſſen zierlich ausgeſchaͤrfte Blaͤtter in der Naͤhe be- trachtet Bewunderung erregen, iſt mir in meinen laͤndlichen
*)Chaerophyllum silvestre.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0157"n="139"/>ſinnlich angenehmen Dinge der inneren Schaalheit wegen ab-<lb/>
geneigt ſind.</p><lb/><p>Uebrigens iſt nicht mit Sicherheit anzugeben, worauf<lb/>
denn eigentlich die ſinnliche Annehmlichkeit ſichtbarer Dinge<lb/>
beruhe, da jegliches Auge nach Maaßgabe ſeiner Geſundheit<lb/>
und Scharfſicht verſchieden empfindet, woher der richtige, ob-<lb/>
wohl einzig auf dieſe niedrigſte Stufe der Schoͤnheit anwendbare<lb/>
Gemeinſpruch entſtanden: daß uͤber den Geſchmack nichts ent-<lb/>ſchieden werden koͤnne. In Bezug auf dieſe rein <choice><sic>ſiunliche</sic><corr>ſinnliche</corr></choice> An-<lb/>
nehmlichkeit, welche wir vorausſetzlich von dem ſinnlichen<lb/>
Reize anſchaulich angeregter Vorſtellungen des Geiſtes (z. B.<lb/>
vom Ueppigen und Wohlluͤſtigen) zu unterſcheiden wiſſen,<lb/>
muͤſſen wir uns allerdings damit begnuͤgen, daß es, wie einen<lb/>
mittleren Zuſtand des Auges, ſo auch eine mittlere Beſchaf-<lb/>
fenheit des Anſchaulichen geben muß, welche gleichweit von<lb/>
buttriger Weiche und ſchneidender Haͤrte entfernt, wenigſtens<lb/>
die Mehrzahl geſunder Geſichtsſinnen befriedigen wird. Dieſe<lb/>
Art der Schoͤnheit nimmt in den anſichtlichen Dingen etwa<lb/>
dieſelbe Stelle ein, als in der Muſik der einzelne Ton, deſſen<lb/>
verhaͤltnißmaͤßige Reinheit, wie ſehr ſie immer den Geſammt-<lb/>
eindruck befoͤrdern mag, doch an und fuͤr ſich unbezweifelt ein<lb/>
rein ſinnliches Wohlgefallen hervorbringt. Auch an den Pflan-<lb/>
zenformen kann ſie beobachtet werden, deren Eindruck noth-<lb/>
wendig frey iſt von ſittlichen Nebenvorſtellungen, welche in<lb/>
den animaliſchen Formen den reinſinnlichen Eindruck durch-<lb/>
kreuzen. Der Feldkuͤmmel <noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#aq">Chaerophyllum silvestre.</hi></note> z. B., deſſen ſchoͤne Bluͤthen-<lb/>
formen, deſſen zierlich ausgeſchaͤrfte Blaͤtter in der Naͤhe be-<lb/>
trachtet Bewunderung erregen, iſt mir in meinen laͤndlichen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[139/0157]
ſinnlich angenehmen Dinge der inneren Schaalheit wegen ab-
geneigt ſind.
Uebrigens iſt nicht mit Sicherheit anzugeben, worauf
denn eigentlich die ſinnliche Annehmlichkeit ſichtbarer Dinge
beruhe, da jegliches Auge nach Maaßgabe ſeiner Geſundheit
und Scharfſicht verſchieden empfindet, woher der richtige, ob-
wohl einzig auf dieſe niedrigſte Stufe der Schoͤnheit anwendbare
Gemeinſpruch entſtanden: daß uͤber den Geſchmack nichts ent-
ſchieden werden koͤnne. In Bezug auf dieſe rein ſinnliche An-
nehmlichkeit, welche wir vorausſetzlich von dem ſinnlichen
Reize anſchaulich angeregter Vorſtellungen des Geiſtes (z. B.
vom Ueppigen und Wohlluͤſtigen) zu unterſcheiden wiſſen,
muͤſſen wir uns allerdings damit begnuͤgen, daß es, wie einen
mittleren Zuſtand des Auges, ſo auch eine mittlere Beſchaf-
fenheit des Anſchaulichen geben muß, welche gleichweit von
buttriger Weiche und ſchneidender Haͤrte entfernt, wenigſtens
die Mehrzahl geſunder Geſichtsſinnen befriedigen wird. Dieſe
Art der Schoͤnheit nimmt in den anſichtlichen Dingen etwa
dieſelbe Stelle ein, als in der Muſik der einzelne Ton, deſſen
verhaͤltnißmaͤßige Reinheit, wie ſehr ſie immer den Geſammt-
eindruck befoͤrdern mag, doch an und fuͤr ſich unbezweifelt ein
rein ſinnliches Wohlgefallen hervorbringt. Auch an den Pflan-
zenformen kann ſie beobachtet werden, deren Eindruck noth-
wendig frey iſt von ſittlichen Nebenvorſtellungen, welche in
den animaliſchen Formen den reinſinnlichen Eindruck durch-
kreuzen. Der Feldkuͤmmel *) z. B., deſſen ſchoͤne Bluͤthen-
formen, deſſen zierlich ausgeſchaͤrfte Blaͤtter in der Naͤhe be-
trachtet Bewunderung erregen, iſt mir in meinen laͤndlichen
*) Chaerophyllum silvestre.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/157>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.