Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

jenes bloß sinnlich Wohlgefällige, nach Maaßgabe der Em-
pfänglichkeit der Einzelnen, bald diese, bald jene, sondern stets
und unwandelbar dieselbe. Allerdings giebt es Menschen,
welche diese Schönheit nicht empfinden, entweder weil ihr
Sinn für solche noch schlummert, oder weil Vorbegriffe und
Verstandesgrillen ihn verschließen. Doch wird die Gleichgül-
tigkeit der ersten erweckt und angeregt, das Vorurtheil, oder
die falsche Gewöhnung der anderen besiegt werden können,
eben weil diese Schönheit nach allgemeinen Naturgesetzen wirkt,
gegen welche die Einzelnen wohl aus Laune, oder Stumpfsinn
sich eine Weile verschliessen mögen, deren Herrschaft indeß sie
auf die Länge nothgedrungen werden anerkennen müssen *).
Bewirkte doch die lebendige Beredsamkeit Winckelmanns

zweite Aufl. Thl. 1. S. 267.). Dagegen fand Burckhardt (Tra-
vels in Nubia p.
264) bey einem schön gebildeten Stamme von
zweifelhafter Abkunft Widerwillen gegen die Weissen; die Farbe
schien ihnen krankhaft; also entschied in diesem Falle höchst wahr-
scheinlich nur diese; eben wie der malayischen Bemannung eines
ostindischen Schiffes, welches im verflossenen Jahre in der Elbe
vor Anker lag, die hellen Nordteutschen nach gar nichts aussahen.
-- Schelling scheint also eine mehr christliche, als antike An-
sicht auszusprechen, wo er (a. a. O. S. 373.) sagt: "Diese Schön-
heit, welche aus der vollkommenen Durchdringung sittlicher Güte
und sinnlicher Anmuth hervorgeht."
*) Heydenreich (aesth. Wörterbuch etc. Bd. 4. S. 74.) un-
terscheidet ein allgemeines Ideal schöner Form, was der Mensch a
priori
besitze, von Idealen für bestimmte Gattungen von Gegen-
ständen (von den, in der vorangehenden Untersuchung, angeführ-
ten Verkörperungen abstracter Begriffe.) Dieser allgemeine Ideal-
begriff ist in Bezug auf die besondere Schönheit des Maßes und
der Verhältnisse einzuräumen; insofern nemlich Ideal an dieser
Stelle nicht sowohl ein vollendetes, deutliches, ausgerundetes Ur-
bild, als vielmehr eine ursprüngliche Empfänglichkeit, einen ein-
geborenen Sinn bedeuten sollte; was allerdings in Frage steht.

jenes bloß ſinnlich Wohlgefaͤllige, nach Maaßgabe der Em-
pfaͤnglichkeit der Einzelnen, bald dieſe, bald jene, ſondern ſtets
und unwandelbar dieſelbe. Allerdings giebt es Menſchen,
welche dieſe Schoͤnheit nicht empfinden, entweder weil ihr
Sinn fuͤr ſolche noch ſchlummert, oder weil Vorbegriffe und
Verſtandesgrillen ihn verſchließen. Doch wird die Gleichguͤl-
tigkeit der erſten erweckt und angeregt, das Vorurtheil, oder
die falſche Gewoͤhnung der anderen beſiegt werden koͤnnen,
eben weil dieſe Schoͤnheit nach allgemeinen Naturgeſetzen wirkt,
gegen welche die Einzelnen wohl aus Laune, oder Stumpfſinn
ſich eine Weile verſchlieſſen moͤgen, deren Herrſchaft indeß ſie
auf die Laͤnge nothgedrungen werden anerkennen muͤſſen *).
Bewirkte doch die lebendige Beredſamkeit Winckelmanns

zweite Aufl. Thl. 1. S. 267.). Dagegen fand Burckhardt (Tra-
vels in Nubia p.
264) bey einem ſchoͤn gebildeten Stamme von
zweifelhafter Abkunft Widerwillen gegen die Weiſſen; die Farbe
ſchien ihnen krankhaft; alſo entſchied in dieſem Falle hoͤchſt wahr-
ſcheinlich nur dieſe; eben wie der malayiſchen Bemannung eines
oſtindiſchen Schiffes, welches im verfloſſenen Jahre in der Elbe
vor Anker lag, die hellen Nordteutſchen nach gar nichts ausſahen.
Schelling ſcheint alſo eine mehr chriſtliche, als antike An-
ſicht auszuſprechen, wo er (a. a. O. S. 373.) ſagt: „Dieſe Schoͤn-
heit, welche aus der vollkommenen Durchdringung ſittlicher Guͤte
und ſinnlicher Anmuth hervorgeht.“
*) Heydenreich (aeſth. Woͤrterbuch etc. Bd. 4. S. 74.) un-
terſcheidet ein allgemeines Ideal ſchoͤner Form, was der Menſch a
priori
beſitze, von Idealen fuͤr beſtimmte Gattungen von Gegen-
ſtaͤnden (von den, in der vorangehenden Unterſuchung, angefuͤhr-
ten Verkoͤrperungen abſtracter Begriffe.) Dieſer allgemeine Ideal-
begriff iſt in Bezug auf die beſondere Schoͤnheit des Maßes und
der Verhaͤltniſſe einzuraͤumen; inſofern nemlich Ideal an dieſer
Stelle nicht ſowohl ein vollendetes, deutliches, ausgerundetes Ur-
bild, als vielmehr eine urſpruͤngliche Empfaͤnglichkeit, einen ein-
geborenen Sinn bedeuten ſollte; was allerdings in Frage ſteht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="143"/>
jenes bloß &#x017F;innlich Wohlgefa&#x0364;llige, nach Maaßgabe der Em-<lb/>
pfa&#x0364;nglichkeit der Einzelnen, bald die&#x017F;e, bald jene, &#x017F;ondern &#x017F;tets<lb/>
und unwandelbar die&#x017F;elbe. Allerdings giebt es Men&#x017F;chen,<lb/>
welche die&#x017F;e Scho&#x0364;nheit nicht empfinden, entweder weil ihr<lb/>
Sinn fu&#x0364;r &#x017F;olche noch &#x017F;chlummert, oder weil Vorbegriffe und<lb/>
Ver&#x017F;tandesgrillen ihn ver&#x017F;chließen. Doch wird die Gleichgu&#x0364;l-<lb/>
tigkeit der er&#x017F;ten erweckt und angeregt, das Vorurtheil, oder<lb/>
die fal&#x017F;che Gewo&#x0364;hnung der anderen be&#x017F;iegt werden ko&#x0364;nnen,<lb/>
eben weil die&#x017F;e Scho&#x0364;nheit nach allgemeinen Naturge&#x017F;etzen wirkt,<lb/>
gegen welche die Einzelnen wohl aus Laune, oder Stumpf&#x017F;inn<lb/>
&#x017F;ich eine Weile ver&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en mo&#x0364;gen, deren Herr&#x017F;chaft indeß &#x017F;ie<lb/>
auf die La&#x0364;nge nothgedrungen werden anerkennen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/100166962">Heydenreich</persName></hi> (ae&#x017F;th. Wo&#x0364;rterbuch etc. Bd. 4. S. 74.) un-<lb/>
ter&#x017F;cheidet ein allgemeines Ideal &#x017F;cho&#x0364;ner Form, was der Men&#x017F;ch <hi rendition="#aq">a<lb/>
priori</hi> be&#x017F;itze, von Idealen fu&#x0364;r be&#x017F;timmte Gattungen von Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden (von den, in der vorangehenden Unter&#x017F;uchung, angefu&#x0364;hr-<lb/>
ten Verko&#x0364;rperungen ab&#x017F;tracter Begriffe.) Die&#x017F;er allgemeine Ideal-<lb/>
begriff i&#x017F;t in Bezug auf die be&#x017F;ondere Scho&#x0364;nheit des Maßes und<lb/>
der Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e einzura&#x0364;umen; in&#x017F;ofern nemlich Ideal an die&#x017F;er<lb/>
Stelle nicht &#x017F;owohl ein vollendetes, deutliches, ausgerundetes Ur-<lb/>
bild, als vielmehr eine ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Empfa&#x0364;nglichkeit, einen ein-<lb/>
geborenen Sinn bedeuten &#x017F;ollte; was allerdings in Frage &#x017F;teht.</note>.<lb/>
Bewirkte doch die lebendige Bered&#x017F;amkeit <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118633600">Winckelmanns</persName></hi><lb/><note xml:id="fn20b" prev="#fn20a" place="foot" n="**)">zweite Aufl. Thl. 1. S. 267.). Dagegen fand <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118702203">Burckhardt</persName></hi> (<hi rendition="#aq">Tra-<lb/>
vels in <placeName>Nubia</placeName> p.</hi> 264) bey einem &#x017F;cho&#x0364;n gebildeten Stamme von<lb/>
zweifelhafter Abkunft Widerwillen gegen die Wei&#x017F;&#x017F;en; die Farbe<lb/>
&#x017F;chien ihnen krankhaft; al&#x017F;o ent&#x017F;chied in die&#x017F;em Falle ho&#x0364;ch&#x017F;t wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich nur die&#x017F;e; eben wie der malayi&#x017F;chen Bemannung eines<lb/>
o&#x017F;tindi&#x017F;chen Schiffes, welches im verflo&#x017F;&#x017F;enen Jahre in der <placeName>Elbe</placeName><lb/>
vor Anker lag, die hellen Nordteut&#x017F;chen nach gar nichts aus&#x017F;ahen.<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118607057">Schelling</persName></hi> &#x017F;cheint al&#x017F;o eine mehr chri&#x017F;tliche, als antike An-<lb/>
&#x017F;icht auszu&#x017F;prechen, wo er (a. a. O. S. 373.) &#x017F;agt: &#x201E;Die&#x017F;e Scho&#x0364;n-<lb/>
heit, welche aus der vollkommenen Durchdringung &#x017F;ittlicher Gu&#x0364;te<lb/>
und &#x017F;innlicher Anmuth hervorgeht.&#x201C;</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0161] jenes bloß ſinnlich Wohlgefaͤllige, nach Maaßgabe der Em- pfaͤnglichkeit der Einzelnen, bald dieſe, bald jene, ſondern ſtets und unwandelbar dieſelbe. Allerdings giebt es Menſchen, welche dieſe Schoͤnheit nicht empfinden, entweder weil ihr Sinn fuͤr ſolche noch ſchlummert, oder weil Vorbegriffe und Verſtandesgrillen ihn verſchließen. Doch wird die Gleichguͤl- tigkeit der erſten erweckt und angeregt, das Vorurtheil, oder die falſche Gewoͤhnung der anderen beſiegt werden koͤnnen, eben weil dieſe Schoͤnheit nach allgemeinen Naturgeſetzen wirkt, gegen welche die Einzelnen wohl aus Laune, oder Stumpfſinn ſich eine Weile verſchlieſſen moͤgen, deren Herrſchaft indeß ſie auf die Laͤnge nothgedrungen werden anerkennen muͤſſen *). Bewirkte doch die lebendige Beredſamkeit Winckelmanns **) *) Heydenreich (aeſth. Woͤrterbuch etc. Bd. 4. S. 74.) un- terſcheidet ein allgemeines Ideal ſchoͤner Form, was der Menſch a priori beſitze, von Idealen fuͤr beſtimmte Gattungen von Gegen- ſtaͤnden (von den, in der vorangehenden Unterſuchung, angefuͤhr- ten Verkoͤrperungen abſtracter Begriffe.) Dieſer allgemeine Ideal- begriff iſt in Bezug auf die beſondere Schoͤnheit des Maßes und der Verhaͤltniſſe einzuraͤumen; inſofern nemlich Ideal an dieſer Stelle nicht ſowohl ein vollendetes, deutliches, ausgerundetes Ur- bild, als vielmehr eine urſpruͤngliche Empfaͤnglichkeit, einen ein- geborenen Sinn bedeuten ſollte; was allerdings in Frage ſteht. **) zweite Aufl. Thl. 1. S. 267.). Dagegen fand Burckhardt (Tra- vels in Nubia p. 264) bey einem ſchoͤn gebildeten Stamme von zweifelhafter Abkunft Widerwillen gegen die Weiſſen; die Farbe ſchien ihnen krankhaft; alſo entſchied in dieſem Falle hoͤchſt wahr- ſcheinlich nur dieſe; eben wie der malayiſchen Bemannung eines oſtindiſchen Schiffes, welches im verfloſſenen Jahre in der Elbe vor Anker lag, die hellen Nordteutſchen nach gar nichts ausſahen. — Schelling ſcheint alſo eine mehr chriſtliche, als antike An- ſicht auszuſprechen, wo er (a. a. O. S. 373.) ſagt: „Dieſe Schoͤn- heit, welche aus der vollkommenen Durchdringung ſittlicher Guͤte und ſinnlicher Anmuth hervorgeht.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/161
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/161>, abgerufen am 21.11.2024.