der griechischen Kunst ihren Ursprung aus der Schriftbildnerey der ältesten Zeiten beurkundet; also liegt es nur in solchem, was unmittelbar durch die Anschauung dem Geiste einleuchtet. Der näheren Bestimmung des Grundes dieser von Erklärungen unabhängigen Erfaßlichkeit setzten sich indeß tief eingewurzelte Vorurtheile entgegen, welche, so dunkel und verworren ihr Ursprung ist, doch, von vortrefflichen Geistern scheinbar be- gründet, während des letzten Menschenalters an Muth und Hartnäckigkeit noch um Vieles zugenommen. Denn es ist eben nur die traditionelle, nirgend erwiesene Voraussetzung einer dem Künstler angeborenen Kraft, sich eigene Formen der Darstellung zu erschaffen, welche über die Thatsache verblendete und noch immer verblendet: daß die Griechen (entweder weil durch die Erfindung und Ausbildung der Buchstabenschrift die Gestalt des dürren Begriffsdienstes schon entbunden worden, oder auch, weil die Natur sich gefallen, in ihnen selbst, wie noch die Trümmer des Volkes beweisen, die Gestalt in höhe- rem Maße zu beseelen) zuerst die innere, nothwendige, gege- bene Bedeutsamkeit entdeckten, welche, wenn wir nur sehen wollten, über alle Gebilde der Natur verbreitet ist. Auf die- ser allgemeinsten Bedingung aller bildenden Kunst beruhet jene unmittelbare Verständlichkeit griechischer Kunstgebilde, welche wir täglich bewundern, ohne jederzeit deren wahren Grund uns einzuräumen. Denn man geht wohl, um ihn nur läugnen zu dürfen, so weit, historische Unwahrheiten zu behaupten, wie diese, daß die Aegypter, welche weltkundig nur die allge- meinsten Züge der menschlichen Gestalt erfaßt, und selbst diese meist höchst willkührlich verwendet haben, doch der Naturge- staltung näher geblieben, als die Griechen, deren Kenntniß der Naturformen, deren Gefühl für deren zarteste Uebergänge,
der griechiſchen Kunſt ihren Urſprung aus der Schriftbildnerey der aͤlteſten Zeiten beurkundet; alſo liegt es nur in ſolchem, was unmittelbar durch die Anſchauung dem Geiſte einleuchtet. Der naͤheren Beſtimmung des Grundes dieſer von Erklaͤrungen unabhaͤngigen Erfaßlichkeit ſetzten ſich indeß tief eingewurzelte Vorurtheile entgegen, welche, ſo dunkel und verworren ihr Urſprung iſt, doch, von vortrefflichen Geiſtern ſcheinbar be- gruͤndet, waͤhrend des letzten Menſchenalters an Muth und Hartnaͤckigkeit noch um Vieles zugenommen. Denn es iſt eben nur die traditionelle, nirgend erwieſene Vorausſetzung einer dem Kuͤnſtler angeborenen Kraft, ſich eigene Formen der Darſtellung zu erſchaffen, welche uͤber die Thatſache verblendete und noch immer verblendet: daß die Griechen (entweder weil durch die Erfindung und Ausbildung der Buchſtabenſchrift die Geſtalt des duͤrren Begriffsdienſtes ſchon entbunden worden, oder auch, weil die Natur ſich gefallen, in ihnen ſelbſt, wie noch die Truͤmmer des Volkes beweiſen, die Geſtalt in hoͤhe- rem Maße zu beſeelen) zuerſt die innere, nothwendige, gege- bene Bedeutſamkeit entdeckten, welche, wenn wir nur ſehen wollten, uͤber alle Gebilde der Natur verbreitet iſt. Auf die- ſer allgemeinſten Bedingung aller bildenden Kunſt beruhet jene unmittelbare Verſtaͤndlichkeit griechiſcher Kunſtgebilde, welche wir taͤglich bewundern, ohne jederzeit deren wahren Grund uns einzuraͤumen. Denn man geht wohl, um ihn nur laͤugnen zu duͤrfen, ſo weit, hiſtoriſche Unwahrheiten zu behaupten, wie dieſe, daß die Aegypter, welche weltkundig nur die allge- meinſten Zuͤge der menſchlichen Geſtalt erfaßt, und ſelbſt dieſe meiſt hoͤchſt willkuͤhrlich verwendet haben, doch der Naturge- ſtaltung naͤher geblieben, als die Griechen, deren Kenntniß der Naturformen, deren Gefuͤhl fuͤr deren zarteſte Uebergaͤnge,
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der griechiſchen Kunſt ihren Urſprung aus der Schriftbildnerey
der aͤlteſten Zeiten beurkundet; alſo liegt es nur in ſolchem,
was unmittelbar durch die Anſchauung dem Geiſte einleuchtet.
Der naͤheren Beſtimmung des Grundes dieſer von Erklaͤrungen
unabhaͤngigen Erfaßlichkeit ſetzten ſich indeß tief eingewurzelte
Vorurtheile entgegen, welche, ſo dunkel und verworren ihr
Urſprung iſt, doch, von vortrefflichen Geiſtern ſcheinbar be-
gruͤndet, waͤhrend des letzten Menſchenalters an Muth und
Hartnaͤckigkeit noch um Vieles zugenommen. Denn es iſt
eben nur die traditionelle, nirgend erwieſene Vorausſetzung
einer dem Kuͤnſtler angeborenen Kraft, ſich eigene Formen der
Darſtellung zu erſchaffen, welche uͤber die Thatſache verblendete
und noch immer verblendet: daß die Griechen (entweder weil
durch die Erfindung und Ausbildung der Buchſtabenſchrift die
Geſtalt des duͤrren Begriffsdienſtes ſchon entbunden worden,
oder auch, weil die Natur ſich gefallen, in ihnen ſelbſt, wie
noch die Truͤmmer des Volkes beweiſen, die Geſtalt in hoͤhe-
rem Maße zu beſeelen) zuerſt die innere, nothwendige, gege-
bene Bedeutſamkeit entdeckten, welche, wenn wir nur ſehen
wollten, uͤber alle Gebilde der Natur verbreitet iſt. Auf die-
ſer allgemeinſten Bedingung aller bildenden Kunſt beruhet jene
unmittelbare Verſtaͤndlichkeit griechiſcher Kunſtgebilde, welche
wir taͤglich bewundern, ohne jederzeit deren wahren Grund uns
einzuraͤumen. Denn man geht wohl, um ihn nur laͤugnen
zu duͤrfen, ſo weit, hiſtoriſche Unwahrheiten zu behaupten,
wie dieſe, daß die Aegypter, welche weltkundig nur die allge-
meinſten Zuͤge der menſchlichen Geſtalt erfaßt, und ſelbſt dieſe
meiſt hoͤchſt willkuͤhrlich verwendet haben, doch der Naturge-
ſtaltung naͤher geblieben, als die Griechen, deren Kenntniß
der Naturformen, deren Gefuͤhl fuͤr deren zarteſte Uebergaͤnge,
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/44>, abgerufen am 03.12.2024.
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