denen Malerey eigenthümlich wäre, welche Vasari dem Gio- vanni da Milano beymißt und mit verdientem Lobe belegt.
Diese, das alte Altargemälde der Klosterkirche Ognisanti (der Observanten), befindet sich gegenwärtig auf einem ver- nachlässigten Seitenaltare des Kreuzschiffes; es ist bey dieser Versetzung offenbar zerstückt und verkleinert worden. Die Oberfläche der erhaltenen Stücke blieb indeß unberührt; sie zeigt überall dieselbe zarte Beendigung durch häufige, sich schräg durchkreuzende Striche; eine Manier, welche die florentinische Schule seit Giotto mit einer bequemeren, flüssigeren vertauscht, doch im funfzehnten Jahrhunderte, vielleicht nicht ohne alle Berücksichtigung der Arbeiten des Giovanni da Milano von Neuem ergriffen hat.
Die noch vorhandenen Abtheilungen dieser Tafel enthal- ten von der Linken zur Rechten, die erste, zwey weibliche Hei- lige, deren sehnsuchtsvoller Blick an jene kleineren Figuren des oben bezeichneten Bildes erinnert; sie haben mehr Anmuth, als Schönheit der Form; ihre Gewänder sind wohl gelegt und bis auf die reichen Säume mit größtem Fleiße ausge- führt. Bewundernswerth sind die beiden Heiligen der zwey- ten Abtheilung, Stephanus und Laurentius, in deren etwas individuellen Köpfen eine Ausbildung des Einzelnen, eine Ruhe, Heiterkeit und Einfalt des Ausdruckes, welche sogar den Arcagno weit übertrifft. In den nachfolgenden Figuren, dem Täufer und dem Apostel Paulus, erreichen die Köpfe, bey gleichem Fleiße der Ausführung, doch nicht so ganz den Werth der vorangehenden; obwohl die Hand des Johannes, welche nach dem fehlenden Mittelstücke hindeutet, mehr Beobachtung der Natur und reifere Formenkenntniß verräth, als man bey einem so alten Maler vorauszusetzen berechtigt ist; wie denn
denen Malerey eigenthuͤmlich waͤre, welche Vaſari dem Gio- vanni da Milano beymißt und mit verdientem Lobe belegt.
Dieſe, das alte Altargemaͤlde der Kloſterkirche Ogniſanti (der Obſervanten), befindet ſich gegenwaͤrtig auf einem ver- nachlaͤſſigten Seitenaltare des Kreuzſchiffes; es iſt bey dieſer Verſetzung offenbar zerſtuͤckt und verkleinert worden. Die Oberflaͤche der erhaltenen Stuͤcke blieb indeß unberuͤhrt; ſie zeigt uͤberall dieſelbe zarte Beendigung durch haͤufige, ſich ſchraͤg durchkreuzende Striche; eine Manier, welche die florentiniſche Schule ſeit Giotto mit einer bequemeren, fluͤſſigeren vertauſcht, doch im funfzehnten Jahrhunderte, vielleicht nicht ohne alle Beruͤckſichtigung der Arbeiten des Giovanni da Milano von Neuem ergriffen hat.
Die noch vorhandenen Abtheilungen dieſer Tafel enthal- ten von der Linken zur Rechten, die erſte, zwey weibliche Hei- lige, deren ſehnſuchtsvoller Blick an jene kleineren Figuren des oben bezeichneten Bildes erinnert; ſie haben mehr Anmuth, als Schoͤnheit der Form; ihre Gewaͤnder ſind wohl gelegt und bis auf die reichen Saͤume mit groͤßtem Fleiße ausge- fuͤhrt. Bewundernswerth ſind die beiden Heiligen der zwey- ten Abtheilung, Stephanus und Laurentius, in deren etwas individuellen Koͤpfen eine Ausbildung des Einzelnen, eine Ruhe, Heiterkeit und Einfalt des Ausdruckes, welche ſogar den Arcagno weit uͤbertrifft. In den nachfolgenden Figuren, dem Taͤufer und dem Apoſtel Paulus, erreichen die Koͤpfe, bey gleichem Fleiße der Ausfuͤhrung, doch nicht ſo ganz den Werth der vorangehenden; obwohl die Hand des Johannes, welche nach dem fehlenden Mittelſtuͤcke hindeutet, mehr Beobachtung der Natur und reifere Formenkenntniß verraͤth, als man bey einem ſo alten Maler vorauszuſetzen berechtigt iſt; wie denn
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denen Malerey eigenthuͤmlich waͤre, welche Vaſari dem Gio-
vanni da Milano beymißt und mit verdientem Lobe belegt.
Dieſe, das alte Altargemaͤlde der Kloſterkirche Ogniſanti
(der Obſervanten), befindet ſich gegenwaͤrtig auf einem ver-
nachlaͤſſigten Seitenaltare des Kreuzſchiffes; es iſt bey dieſer
Verſetzung offenbar zerſtuͤckt und verkleinert worden. Die
Oberflaͤche der erhaltenen Stuͤcke blieb indeß unberuͤhrt; ſie
zeigt uͤberall dieſelbe zarte Beendigung durch haͤufige, ſich ſchraͤg
durchkreuzende Striche; eine Manier, welche die florentiniſche
Schule ſeit Giotto mit einer bequemeren, fluͤſſigeren vertauſcht,
doch im funfzehnten Jahrhunderte, vielleicht nicht ohne alle
Beruͤckſichtigung der Arbeiten des Giovanni da Milano von
Neuem ergriffen hat.
Die noch vorhandenen Abtheilungen dieſer Tafel enthal-
ten von der Linken zur Rechten, die erſte, zwey weibliche Hei-
lige, deren ſehnſuchtsvoller Blick an jene kleineren Figuren des
oben bezeichneten Bildes erinnert; ſie haben mehr Anmuth,
als Schoͤnheit der Form; ihre Gewaͤnder ſind wohl gelegt
und bis auf die reichen Saͤume mit groͤßtem Fleiße ausge-
fuͤhrt. Bewundernswerth ſind die beiden Heiligen der zwey-
ten Abtheilung, Stephanus und Laurentius, in deren etwas
individuellen Koͤpfen eine Ausbildung des Einzelnen, eine
Ruhe, Heiterkeit und Einfalt des Ausdruckes, welche ſogar den
Arcagno weit uͤbertrifft. In den nachfolgenden Figuren, dem
Taͤufer und dem Apoſtel Paulus, erreichen die Koͤpfe, bey
gleichem Fleiße der Ausfuͤhrung, doch nicht ſo ganz den Werth
der vorangehenden; obwohl die Hand des Johannes, welche
nach dem fehlenden Mittelſtuͤcke hindeutet, mehr Beobachtung
der Natur und reifere Formenkenntniß verraͤth, als man bey
einem ſo alten Maler vorauszuſetzen berechtigt iſt; wie denn
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/104>, abgerufen am 21.11.2024.
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