brüderung des Bigallo, Kindern, welche in der damals sehr volkreichen und belebten Stadt sich verloren hatten, eine vor- übergehende Zuflucht zu gewähren. Er schilderte die Freude von Müttern, welche ihre Kinder hier wieder aufgefunden ha- ben; die Betrübniß einiger Anderen, welche sie noch vermis- sen; das Behagen von Kindern, welche, auf den Armen ihrer Ammen oder Mütter gewiegt, gekoset, beschenkt, bereits ihr vergangenes Leiden und Sehnen verschmerzt haben. Unstreitig ist dieses Fragment schöner und belebter, als jene Malereyen der äußeren Wand. Indeß war auch der Gegenstand einla- dender, lag die Stelle, an der es gemalt worden, dem Auge näher. Uebrigens ist die Manier so ganz dieselbe, daß, wer diese Malereyen ohne vorgefaßte Meinung betrachtet, ihre durch- gehende Uebereinstimmung unbedenklich anerkennen wird. Ge- wiß würden auch die florentinischen Topographen schon längst von ihrem Vorurtheil zurückgekommen seyn, hätten sie nicht übersehn, daß jener Arbeit des Chelini ein Brand vorangegan- gen war, welcher nach der Anlage des Gebäudes nur den Dachstuhl verzehrt haben konnte, doch eben daher besonders das obere Gemäuer nebst dessen Verzierungen beschädigt haben mußte.
Ich halte aber auch eine Tafel in der Sacristey der flo- rentinischen Pfarrkirche s. Remigio (das Volk nennt diese Kirche: s. Romeo), welche Vasari*) als eines der schönsten Werke des Giottino bezeichnet und ausführlich und glücklich beschreibt, vielmehr für eine Arbeit des Piero Chelini.
Diese Tafel, eine Ruhe nach der Abnahme vom Kreuze, ist auf Goldgrund gemalt und von einem Rahmen von spä-
bruͤderung des Bigallo, Kindern, welche in der damals ſehr volkreichen und belebten Stadt ſich verloren hatten, eine vor- uͤbergehende Zuflucht zu gewaͤhren. Er ſchilderte die Freude von Muͤttern, welche ihre Kinder hier wieder aufgefunden ha- ben; die Betruͤbniß einiger Anderen, welche ſie noch vermiſ- ſen; das Behagen von Kindern, welche, auf den Armen ihrer Ammen oder Muͤtter gewiegt, gekoſet, beſchenkt, bereits ihr vergangenes Leiden und Sehnen verſchmerzt haben. Unſtreitig iſt dieſes Fragment ſchoͤner und belebter, als jene Malereyen der aͤußeren Wand. Indeß war auch der Gegenſtand einla- dender, lag die Stelle, an der es gemalt worden, dem Auge naͤher. Uebrigens iſt die Manier ſo ganz dieſelbe, daß, wer dieſe Malereyen ohne vorgefaßte Meinung betrachtet, ihre durch- gehende Uebereinſtimmung unbedenklich anerkennen wird. Ge- wiß wuͤrden auch die florentiniſchen Topographen ſchon laͤngſt von ihrem Vorurtheil zuruͤckgekommen ſeyn, haͤtten ſie nicht uͤberſehn, daß jener Arbeit des Chelini ein Brand vorangegan- gen war, welcher nach der Anlage des Gebaͤudes nur den Dachſtuhl verzehrt haben konnte, doch eben daher beſonders das obere Gemaͤuer nebſt deſſen Verzierungen beſchaͤdigt haben mußte.
Ich halte aber auch eine Tafel in der Sacriſtey der flo- rentiniſchen Pfarrkirche ſ. Remigio (das Volk nennt dieſe Kirche: ſ. Romeo), welche Vaſari*) als eines der ſchoͤnſten Werke des Giottino bezeichnet und ausfuͤhrlich und gluͤcklich beſchreibt, vielmehr fuͤr eine Arbeit des Piero Chelini.
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bruͤderung des Bigallo, Kindern, welche in der damals ſehr
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von Muͤttern, welche ihre Kinder hier wieder aufgefunden ha-
ben; die Betruͤbniß einiger Anderen, welche ſie noch vermiſ-
ſen; das Behagen von Kindern, welche, auf den Armen ihrer
Ammen oder Muͤtter gewiegt, gekoſet, beſchenkt, bereits ihr
vergangenes Leiden und Sehnen verſchmerzt haben. Unſtreitig
iſt dieſes Fragment ſchoͤner und belebter, als jene Malereyen
der aͤußeren Wand. Indeß war auch der Gegenſtand einla-
dender, lag die Stelle, an der es gemalt worden, dem Auge
naͤher. Uebrigens iſt die Manier ſo ganz dieſelbe, daß, wer
dieſe Malereyen ohne vorgefaßte Meinung betrachtet, ihre durch-
gehende Uebereinſtimmung unbedenklich anerkennen wird. Ge-
wiß wuͤrden auch die florentiniſchen Topographen ſchon laͤngſt
von ihrem Vorurtheil zuruͤckgekommen ſeyn, haͤtten ſie nicht
uͤberſehn, daß jener Arbeit des Chelini ein Brand vorangegan-
gen war, welcher nach der Anlage des Gebaͤudes nur den
Dachſtuhl verzehrt haben konnte, doch eben daher beſonders
das obere Gemaͤuer nebſt deſſen Verzierungen beſchaͤdigt haben
mußte.
Ich halte aber auch eine Tafel in der Sacriſtey der flo-
rentiniſchen Pfarrkirche ſ. Remigio (das Volk nennt dieſe
Kirche: ſ. Romeo), welche Vaſari *) als eines der ſchoͤnſten
Werke des Giottino bezeichnet und ausfuͤhrlich und gluͤcklich
beſchreibt, vielmehr fuͤr eine Arbeit des Piero Chelini.
Dieſe Tafel, eine Ruhe nach der Abnahme vom Kreuze,
iſt auf Goldgrund gemalt und von einem Rahmen von ſpaͤ-
*) To. I. vita di Tommaso, detto Giottino. Ed. cit. p. 191.
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/190>, abgerufen am 28.11.2024.
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