wagt. Freylich besaß er wenig gelehrte Bildung; allein Ge- nialität und Energie des Willens brachte dafür in sein Ver- hältniß zu Raphael, zum Buonarota: Voraussicht dessen, was ihrem Talent erreichbar, Glauben an die Möglichkeit des noch Unerprobten, Muth zu den größten Unternehmungen, endlich die Kraft, vor Zersplitterungen sich zu bewahren, welche für das Große schwachen Charakteren die Mittel entziehn.
Hingegen war der Günstling der Literärgeschichte, Leo X., zwar ein vielseitig gebildeter Herr, allein weder, gleich jenem, ein politischer, noch überhaupt ein Charakter *). Neben ge- lehrten Forschungen, Musik und bildender Kunst ergötzte ihn gelegentlich auch die Thorheit; in dem Gedränge der für die kirchliche Stiftung erfolgreichsten Begebenheiten behielt das beschränkte Interesse seines Hauses für ihn mehr Wichtigkeit, als mit den Pflichten seiner Stellung, mit Gerechtigkeit und Dankbarkeit verträglich war. Die Zersplitterung seiner Theil- nahme, mit daraus hervorgehender Vergeudung seiner uner- meßlichen Hülfsquellen, hinderte ihn, seinen künstlerischen Un- nehmungen in der Anlage Großartigkeit, in der Ausführung Nachdruck zu geben. Wenn daher Julius die Zeit und Pro- ductionskraft Raphaels, wie wir gesehen haben, ganz in An- spruch genommen, für kleinere Arbeiten ihm wenig Muße ge- lassen hatte, verwendete hingegen der Künstler unter Leo seine besten Kräfte ganz an untergeordnete Werke für entlegene Kirchen und begüterte Einzelne.
Nachdem Raphael die Unternehmung Julius II. im Sinne der ersten Anlage ergänzt hatte, malte er bis zu sei-
wagt. Freylich beſaß er wenig gelehrte Bildung; allein Ge- nialitaͤt und Energie des Willens brachte dafuͤr in ſein Ver- haͤltniß zu Raphael, zum Buonarota: Vorausſicht deſſen, was ihrem Talent erreichbar, Glauben an die Moͤglichkeit des noch Unerprobten, Muth zu den groͤßten Unternehmungen, endlich die Kraft, vor Zerſplitterungen ſich zu bewahren, welche fuͤr das Große ſchwachen Charakteren die Mittel entziehn.
Hingegen war der Guͤnſtling der Literaͤrgeſchichte, Leo X., zwar ein vielſeitig gebildeter Herr, allein weder, gleich jenem, ein politiſcher, noch uͤberhaupt ein Charakter *). Neben ge- lehrten Forſchungen, Muſik und bildender Kunſt ergoͤtzte ihn gelegentlich auch die Thorheit; in dem Gedraͤnge der fuͤr die kirchliche Stiftung erfolgreichſten Begebenheiten behielt das beſchraͤnkte Intereſſe ſeines Hauſes fuͤr ihn mehr Wichtigkeit, als mit den Pflichten ſeiner Stellung, mit Gerechtigkeit und Dankbarkeit vertraͤglich war. Die Zerſplitterung ſeiner Theil- nahme, mit daraus hervorgehender Vergeudung ſeiner uner- meßlichen Huͤlfsquellen, hinderte ihn, ſeinen kuͤnſtleriſchen Un- nehmungen in der Anlage Großartigkeit, in der Ausfuͤhrung Nachdruck zu geben. Wenn daher Julius die Zeit und Pro- ductionskraft Raphaels, wie wir geſehen haben, ganz in An- ſpruch genommen, fuͤr kleinere Arbeiten ihm wenig Muße ge- laſſen hatte, verwendete hingegen der Kuͤnſtler unter Leo ſeine beſten Kraͤfte ganz an untergeordnete Werke fuͤr entlegene Kirchen und beguͤterte Einzelne.
Nachdem Raphael die Unternehmung Julius II. im Sinne der erſten Anlage ergaͤnzt hatte, malte er bis zu ſei-
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haͤltniß zu Raphael, zum Buonarota: Vorausſicht deſſen, was
ihrem Talent erreichbar, Glauben an die Moͤglichkeit des noch
Unerprobten, Muth zu den groͤßten Unternehmungen, endlich
die Kraft, vor Zerſplitterungen ſich zu bewahren, welche fuͤr
das Große ſchwachen Charakteren die Mittel entziehn.
Hingegen war der Guͤnſtling der Literaͤrgeſchichte, Leo X.,
zwar ein vielſeitig gebildeter Herr, allein weder, gleich jenem,
ein politiſcher, noch uͤberhaupt ein Charakter *). Neben ge-
lehrten Forſchungen, Muſik und bildender Kunſt ergoͤtzte ihn
gelegentlich auch die Thorheit; in dem Gedraͤnge der fuͤr die
kirchliche Stiftung erfolgreichſten Begebenheiten behielt das
beſchraͤnkte Intereſſe ſeines Hauſes fuͤr ihn mehr Wichtigkeit,
als mit den Pflichten ſeiner Stellung, mit Gerechtigkeit und
Dankbarkeit vertraͤglich war. Die Zerſplitterung ſeiner Theil-
nahme, mit daraus hervorgehender Vergeudung ſeiner uner-
meßlichen Huͤlfsquellen, hinderte ihn, ſeinen kuͤnſtleriſchen Un-
nehmungen in der Anlage Großartigkeit, in der Ausfuͤhrung
Nachdruck zu geben. Wenn daher Julius die Zeit und Pro-
ductionskraft Raphaels, wie wir geſehen haben, ganz in An-
ſpruch genommen, fuͤr kleinere Arbeiten ihm wenig Muße ge-
laſſen hatte, verwendete hingegen der Kuͤnſtler unter Leo ſeine
beſten Kraͤfte ganz an untergeordnete Werke fuͤr entlegene
Kirchen und beguͤterte Einzelne.
Nachdem Raphael die Unternehmung Julius II. im
Sinne der erſten Anlage ergaͤnzt hatte, malte er bis zu ſei-
*) S. ſeine Lobredner, den Ammirato, opuscoli, vita dì Leone X.,
oder Roscoe , life of Leo X.
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/145>, abgerufen am 16.07.2024.
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