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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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statt des Ultramarins Smalte in dem sonst auch sehr restau-
rirten Mantel der Madonna; statt der regelmäßigen Glorie,
von welcher in dem Münchener Bilde die Spur, in der Co-
pie von S. Frediano die Anlage zu sehen ist, in diesem ver-
streute Engel durch schwerfällige Wolken halb verhüllt, einige
derselben frey nach Genien in der Galathea der Farnesina;
die Charaktere verbildet, lässig, gleichgültig, zum Modernen
sich hinneigend; in den nackten Theilen der Kinder osteolo-
gisch-anatomischer Prunk; in den Gewändern, besonders im
rothen Leibgewande der Madonna das Original ganz miß-
verstanden. Dieses gilt voraussetzlich die erhaltenen, alten
Theile des Bildes; ich habe sie sorgfältig von den Retouchen
unterschieden, welche das Ganze auf das Roheste besudeln.
Die letzten werden des Ignazio Hughford Werk seyn, der auch
in dem Verkaufe die Hand gehalten, überhaupt seiner Zeit
in Dingen der Kunst großes Ansehn genoß.

Den Namen Raphaels, dessen Lanzi erwähnt, konnte ich
nicht auffinden, wohl aber die Worte: A. D. M. DXVI. DIE
XXVII. MEN. MAR.
Was damit gemeint sey, wage ich
nicht zu entscheiden; schwerlich das Dat des Bildes, wahr-
scheinlich auf Unkundige berechnete Täuschung. Unter allen
Umständen wird ein so viel neueres, auch an sich selbst ganz
unraphaelisches Gemälde keinem Besonnenen für das Original
eines Bildes gelten können, welches offenbar älter ist, mit den
Angaben des Vasari genauer übereintrifft, endlich auch durch
seine Vorzüge Anspruch hat, dem Raphael ohne Zweifel und
Anstehn beygemessen zu werden.

Früher als diese heilige Familie des Canigiani hätte Ra-
phael
, wenn wir dem Vasari folgen, die berühmte Madonna
del Cardellino, jetzt in der Tribune der florentinischen Gallerie

ſtatt des Ultramarins Smalte in dem ſonſt auch ſehr reſtau-
rirten Mantel der Madonna; ſtatt der regelmaͤßigen Glorie,
von welcher in dem Muͤnchener Bilde die Spur, in der Co-
pie von S. Frediano die Anlage zu ſehen iſt, in dieſem ver-
ſtreute Engel durch ſchwerfaͤllige Wolken halb verhuͤllt, einige
derſelben frey nach Genien in der Galathea der Farneſina;
die Charaktere verbildet, laͤſſig, gleichguͤltig, zum Modernen
ſich hinneigend; in den nackten Theilen der Kinder oſteolo-
giſch-anatomiſcher Prunk; in den Gewaͤndern, beſonders im
rothen Leibgewande der Madonna das Original ganz miß-
verſtanden. Dieſes gilt vorausſetzlich die erhaltenen, alten
Theile des Bildes; ich habe ſie ſorgfaͤltig von den Retouchen
unterſchieden, welche das Ganze auf das Roheſte beſudeln.
Die letzten werden des Ignazio Hughford Werk ſeyn, der auch
in dem Verkaufe die Hand gehalten, uͤberhaupt ſeiner Zeit
in Dingen der Kunſt großes Anſehn genoß.

Den Namen Raphaels, deſſen Lanzi erwaͤhnt, konnte ich
nicht auffinden, wohl aber die Worte: A. D. M. DXVI. DIE
XXVII. MEN. MAR.
Was damit gemeint ſey, wage ich
nicht zu entſcheiden; ſchwerlich das Dat des Bildes, wahr-
ſcheinlich auf Unkundige berechnete Taͤuſchung. Unter allen
Umſtaͤnden wird ein ſo viel neueres, auch an ſich ſelbſt ganz
unraphaeliſches Gemaͤlde keinem Beſonnenen fuͤr das Original
eines Bildes gelten koͤnnen, welches offenbar aͤlter iſt, mit den
Angaben des Vaſari genauer uͤbereintrifft, endlich auch durch
ſeine Vorzuͤge Anſpruch hat, dem Raphael ohne Zweifel und
Anſtehn beygemeſſen zu werden.

Fruͤher als dieſe heilige Familie des Canigiani haͤtte Ra-
phael
, wenn wir dem Vaſari folgen, die beruͤhmte Madonna
del Cardellino, jetzt in der Tribune der florentiniſchen Gallerie

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[66/0088] ſtatt des Ultramarins Smalte in dem ſonſt auch ſehr reſtau- rirten Mantel der Madonna; ſtatt der regelmaͤßigen Glorie, von welcher in dem Muͤnchener Bilde die Spur, in der Co- pie von S. Frediano die Anlage zu ſehen iſt, in dieſem ver- ſtreute Engel durch ſchwerfaͤllige Wolken halb verhuͤllt, einige derſelben frey nach Genien in der Galathea der Farneſina; die Charaktere verbildet, laͤſſig, gleichguͤltig, zum Modernen ſich hinneigend; in den nackten Theilen der Kinder oſteolo- giſch-anatomiſcher Prunk; in den Gewaͤndern, beſonders im rothen Leibgewande der Madonna das Original ganz miß- verſtanden. Dieſes gilt vorausſetzlich die erhaltenen, alten Theile des Bildes; ich habe ſie ſorgfaͤltig von den Retouchen unterſchieden, welche das Ganze auf das Roheſte beſudeln. Die letzten werden des Ignazio Hughford Werk ſeyn, der auch in dem Verkaufe die Hand gehalten, uͤberhaupt ſeiner Zeit in Dingen der Kunſt großes Anſehn genoß. Den Namen Raphaels, deſſen Lanzi erwaͤhnt, konnte ich nicht auffinden, wohl aber die Worte: A. D. M. DXVI. DIE XXVII. MEN. MAR. Was damit gemeint ſey, wage ich nicht zu entſcheiden; ſchwerlich das Dat des Bildes, wahr- ſcheinlich auf Unkundige berechnete Taͤuſchung. Unter allen Umſtaͤnden wird ein ſo viel neueres, auch an ſich ſelbſt ganz unraphaeliſches Gemaͤlde keinem Beſonnenen fuͤr das Original eines Bildes gelten koͤnnen, welches offenbar aͤlter iſt, mit den Angaben des Vaſari genauer uͤbereintrifft, endlich auch durch ſeine Vorzuͤge Anſpruch hat, dem Raphael ohne Zweifel und Anſtehn beygemeſſen zu werden. Fruͤher als dieſe heilige Familie des Canigiani haͤtte Ra- phael, wenn wir dem Vaſari folgen, die beruͤhmte Madonna del Cardellino, jetzt in der Tribune der florentiniſchen Gallerie

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/88>, abgerufen am 23.11.2024.